Seit 2012 findet das Angeliter Open Air im malerischen Ambiente eines Dreiseitenhof in Taarstedt im Herzen von Schleswig-Holstein statt. Dabei steht handgemachte Live-Musik im Fokus des kleinen, aber überaus feinen Festivals. In diesem Jahr führten Kettcar und The Baboon Show das von Punkrock und Deutschrock der alten Schule dominierten Line-Ups an. Um die 2500 Gäste begeisterte das Festival bei bestem Wetter am vergangenen Wochenende.
Egal, ob Bands, Crew oder Besuchende: der Satz, der an diesem Wochenende am häufigsten fiel, lautete „Das Angeliter Open Air in Taarstedt ist das schönste Festival“. Normalerweise sollte man mit solchen Superlativen auf jeden Fall sorgsam umgehen, doch in diesem Fall lieferte das Open Air unzählige Argumente dafür diese Aussage immer wieder zu bewahrheiten. Nach zwei Tagen in Schleswig-Holstein können wir uns dem nur anschließen. Der allererste Eindruck des Festivals ist einfach nur unglaublich süß und herzlich. Das Gelände befindet sich rund um einen Dreiseitenhof, der mit mehreren Scheunen und Kopfsteinpflaster einen ganz eigenen Charme versprühte. In diese einzigartige Location wurde alles, was man für ein Festival benötigt, integriert. Gemäß Geländeplan, gab es zwei Orte an denen die Musik spielte sowie eine Food- und Chillout Area. Die gesamte Atmosphäre war das ganze Wochenende lang herzlich und überaus familiär. Man merkte, dass die Fans hauptsächlich aus der Nachbarschaft kamen, sodass es eher wie ein großes Dorffest anmutete.
Untypisch für ein solches war jedoch die verhältnismäßig große Bühne, auf der ein mehr als hervorragendes Line-Up Einzug erhielt. Am Freitagabend starteten Massendefekt, die nach Skinny Lister die Bühne stürmten, für uns die Party. Was auch hier den kleinen, feinen Unterschied gemacht hat: Neben der Bühne gab es in der einen Scheune eine Interviewarea, die sich sehen lassen konnte. Direkt nach ihrem Auftritt konnte man also der britischen Folkloreband ganz nah sein. Auf diesen Plätzen sollten ihnen noch viele Bands folgen. Die andere Hälfte der Scheune beherbergte das qualitativ hochwertige Merch. Es war durchweg zu bemerken, dass Marketing und Produktion auf Profiniveau betrieben wurde, was problemlos mit Major Festivals konkurrieren könnte. Da ist es nicht verwunderlich, dass so manche namhafte Bands sich auf der Hauptbühne in die Hand gaben. Hier standen als nächstes das Wingenfelder Quartett auf der Bühne.
Wer dachte, dies sei eine typische, langweilige Altmännerband, irrte gewaltig. Mit ihren charismatischen Stimmen regten die Wingenfelder-Brüder mit ihrem Akustik-Projekt zum Discofox tanzen an. In ihrem einstündigen Set zeigten sie, dass sie sowohl die lauten als auch die leisen Töne bravourös beherrschten. Auf den Politiksong „Revolution“ folgte die ruhigste Nummer des Sets. So oder so vereinnahmten sie mit ihrer Bühnenerfahrung und ihren Akustikgitarren ihr Publikum. Zudem verkündete Kai Wingenfelder, dass genau nach 14 Jahren, sechs Monaten und 28 Tagen und einer Abschiedstour Schluss sein wird mit Wingenfelder. Doch für die Fans bedeutet dies keinen Grund zum Traurigsein, da ihre musikalische Kreativität vom Ende des Jahres an wieder in Fury in the Slaughterhouse fließen wird. „Klassenfahrt“ war der letzte Song eines ergreifenden und überzeugenden Sets.
Ein weiterer Positivpunkt befand sich neben der stimmigen Lichtshow in der Konzeption der Bühnen und Umbauphasen. Jede Band auf der Hauptbühne hat eine Stunde gespielt und hatte eine halbe Stunde Umbaupause. In dieser Zeit sorgte dann die zweite, kleine Bühne für Unterhaltung. Dort wurden Ansagen auch manchmal ohne Mikro gemacht, wie bei Ukulela RASA. Dafür war das anwesende Publikum mindestens genauso laut wie vor der großen Bühne, wenn nicht sogar noch lauter. Zudem wurde begeistert mitgesungen und mitgeswoft. Durch die Begrenzung auf maximal eine Stunde waren die Artists zudem gezwungen sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren und unnötige Ansagen oder das Tamtam um die Zugabe ganz wegzulassen.
So gab es auch bei den folgenden Rogers die volle Ladung von 60 Minuten Musik auf die Ohren. Die Show wurde von einem eigens konzipierten Angeliter Open Air Jingle eingeleitet. Unter am Ende sternenklaren Himmel rockten sich die Rogers durch ihr Set und sorgten umfassend für gute Laune. Zu „Ich Mag Bier“ wurde endlich der erste Tanzkreis eröffnet nach einem etwas verhaltenen Anfang. Doch sobald Norddeutsche aufgetaut sind, gab es kein Halten mehr, vor allem da der Sound on Point war. „Kreuzberger Nächte“ wurde zum Partysong auserkoren, bei der es zusätzlich eine Polanaise geben sollte. Doch soweit kam es gar nicht erst, denn mittlerweile hüpften alle munter kreuz und quer und ließen ihrer Energie freien Lauf. Immer wieder motivierte die Band ihr Publikum, vor dem sie in ihrer gesamten Bandgeschichte noch nie so hoch im Norden gespielt hätten. Mit „Einen Scheiss muss ich“ machten die Rogers das Publikum bettfertig. Wer sich dort noch nicht gesehen hat, konnte sich mit dem letzten Act des Abends, Drei Meter Feldweg, mit ganz viel Elan und Energie noch einmal ordentlich austoben.
Der zweite Tag des Wochenendes lockte deutlich mehr Leute als der Vortag an. Dafür dürften vor allem Selig aus Hamburg verantwortlich gewesen sein. Frontmann Jan Plewka rockte barfuß zu manchmal schon fast in die psychedelisch gehende Richtung der Rockmusik, welche für Selig über lange Zeiten prägend war. Er kommentierte das ganze mit „Wie in den 90ern, nur irgendwie geiler“. Das sahen die Fans genauso und genossen die ausgeprägten Melodiepassagen genauso wie die bekannten Hits dieser vergangenen Dekade. Die Stimmung war von vorne bis hinten absolut mitreißend und an manchen Stellen ebenso emotional geprägt als mit der Akustikgitarre DAS Liebeslied überhaupt „Ohne dich“ angestimmt wurde. Dazu haben wir gestandene Männer weinen gesehen – Selig ging mit einem glänzenden Auftritt unter die Haut. Das Konzert endete mit begeisterten „Oh-oh“-Gesängen seitens des Publikums sowie frenetischem Geklatsche im Zugaberhythmus, die noch lange nachdem die Band die Bühne verlassen hatte, anhielten.
Der nächste Ansager kam kaum gegen die Ekstase der jubelnden Menge im Selig– Wahn an. Aber auch hier galt leider, dass eine Zugabe aufgrund des straffen Zeitplans nicht möglich war, denn in einer halben Stunde sollte es schon mit Kettcar weitergehen. In der Zwischenzeit wurde jedoch noch einmal erwähnt, dass dieses Jahr wirklich eine besondere Ausgabe des Festivals stattfand. Er sagte, dass man egal, wohin man schaut, nur freudige Gesichter sah, es keinerlei negative Begegnungen gab und alle warmherzig miteinander waren. Dem konnten wir uns zweifelsfrei anschließen. Wunderbares Sommerwetter ohne viele Wolken am Himmel machten das Wochenende perfekt. Bevor der nächste Act auf der Mainstage stand, erlebte die Interviewarea einen regelrechten Run, da Selig eintrafen und, wie alle Bands, von der sensationellen Stimmung und dem Festival an sich schwärmten.
Auch Kettcar erwähnten die fantastische Stimmung von der ihnen bisher nur berichtet wurde, und freuten sich auf ihren ersten Auftritt auf dem Angeliter Open Air. Dafür warteten sie mit einer ähnlichen Setlist auf wie vor einer Woche in Lüneburg, welche standesgemäß von Politbrechern und Reimers Ansagen über seine Mutter gespickt war. Man merkte den Musikern deutlich an, dass das Programm im Vergleich zur Einzelshow deutlich gestrafft wurde und man darauf bedacht war möglichst viele Songs zu spielen. Das gelang den Herren wunderbar und man konnte spüren wie viel Freude und Emotionen den Auftritt umgab. Die traditionelle Micky Maus Flagge aus Jübek wehte noch als eine halbe Stunde später The Baboon Show mit ihrem schwedischen Punk übernahmen. Eins war sicher: es wurde laut und roh. Für weitere Frauenpower im Lineup sorgten zu späterer Stunde zudem Kochkraft durch KMA.
Alles in allem lässt sich die Aussage vom Anfang definitiv bestätigen. Das Angeliter war eines der schönsten, wenn nicht sogar das schönste, Festival in dieser Saison. Von einer exzellenten Produktion, einer fantastischen Bühne und wundervollem Publikum können sich so manche größere Festivals noch eine Scheibe abschneiden.
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