Selbstreflexion, soziale Kritik und die authentische Darstellung einer queeren Perspektive – diese Elemente bilden das Grundgerüst der EP „bis ich in meinem Kopf ersaufe“ von NIKRA. Im Interview mit uns dem Frontstage Magazine teilt NIKRA Einblicke darüber, wie diese Themen die Songs der EP beeinflusst haben und wie seine künstlerische Entscheidung, konsequent seiner Identität treu zu bleiben, sich in der Musik und den Texten manifestiert.
Frontstage Magazine: In „bis ich in meinem Kopf ersaufe“ spiegelt sich eine Vielzahl von Themen wider, darunter Konsumgeilheit, queere Identität und Selbstoptimierung. Wie würdest du sagen, dass diese Themen die Songs auf der EP beeinflusst haben?
NIKRA: Alle Themen, die du genannt hast, und alle Themen, die sonst noch in der EP Platz gefunden haben, sind Inhalte, die mich und, ich glaube, auch viele Menschen in meiner Generation im Alltag begleiten und die so ganz automatisch auf der EP gelandet sind. Ich versuche immer, der Welt um mich herum auf den Grund zu gehen, und so pöble ich manchmal die Gesellschaft an, in deren Systematik ich aber auch zwangsläufig teilhabe. So komme ich auch nicht drumherum, meine eigene Position zu hinterfragen und mir manchmal selbst auf die Füße zu treten. Ich glaube, dass man nur mit einem so ungeschönten Blick auf sich selbst am Ende auch eine echte Identifikationsfläche sein kann. Ich will mit NIKRA kein konstruiertes Vorbild oder Ideal darstellen, sondern einfach mich selbst mit meinen menschlichen Fehlschlägen, meinen Fehleinschätzungen und Lastern.
Frontstage Magazine: Die EP reflektiert eine konsequente künstlerische Entscheidung und Haltung. Könntest du uns mehr darüber erzählen, wie sich diese Konsequenz in der Musik und den Texten manifestiert hat?
NIKRA: Für mich steht die Konsequenz in einer Art dem Kompromiss gegenüber. Jeder Kompromiss, den ich in einem vermeintlichen Entgegenkommen auf eine andere Person oder gar die Hörer*innen eingehe, weil ich denke, so würde meine Musik und ich den Menschen besser gefallen, bringt mich weiter weg von der Gradlinigkeit meiner Identität, sowohl im künstlerischen als auch im privaten Sinne. Zu verstehen, dass das einzige, was ich tun kann, meine Musik bis in die letzte Instanz nach meinen Vorstellungen zu gestalten und zu hoffen, dass das, was ich sagen will, tatsächlich ankommt, war ein großes Learning, was mich bei dem Entwicklungsprozess dieser EP begleitet hat. Diese Ohnmacht macht einen auch fertig, aber ich glaube, dass ich mittlerweile einen ganz guten Weg gefunden habe.
Frontstage Magazine: In deinen Songs scheint eine Art Konflikt zwischen dem Streben nach Selbstzerstörung und Selbstoptimierung zu existieren. Wie gelingt es dir, diese beiden Pole in deiner Musik auszudrücken, und was möchtest du deinem Publikum damit vermitteln?
NIKRA: Beim Schreiben dieser EP habe ich mich in einer Phase befunden, in der ich erst noch herausfinden musste, wohin es für mich musikalisch, inhaltlich und auch menschlich überhaupt geht. Das Schmerzhafte ist, dass man, um herauszufinden, was wirklich wichtig ist, was einem wirklich dringlich ist, erst mal bis zur Substanz kommen muss. Und das hat auch zur Konsequenz, Teile seiner selbst zu zerstören und neu zusammenzusetzen. Stagnation ist in gewisser Weise das Grab für Kreativität. Gleichzeitig kann auch ich mich nicht dem Leistungsgedanken dieser Gesellschaft entziehen und der Illusion nur genug arbeiten zu müssen und es wird sich lohnen. Der Drang zur Selbstoptimierung und zur Effizienz kann ich bis heute schlecht ablegen, obwohl ich weiß, dass das, was mich musikalisch eigentlich am meisten berührt, die Menschlichkeit in kleinen Fehlern und unsauberen Produktionen ist.
Frontstage Magazine: „bis ich in meinem Kopf ersaufe“ wird als Statement gegen konstruierten Plastikpop und Eskapismus beschrieben. Warum ist es dir wichtig, solche Themen anzusprechen, und wie siehst du die Rolle der Musik dabei, diese Botschaft zu vermitteln?
NIKRA: Wie ich eben schon angesprochen habe, ist der Faktor Menschlichkeit eigentlich in jeder Form von Kunst der bewegendste für mich, und alles andere können uns bestimmt bald KIs abnehmen. Konstruiert man aber sich eine Identität, um einen erfundenen Charakter zu spielen, von dem man glaubt, er habe Star-Potential, versagt man sich doch automatisch die kleinen menschlichen Feinheiten, die man einfach macht, weil man man selber ist. Zum Eskapismus stehe ich mittlerweile weniger kritisch. Ich glaube, manchmal dem Kopf zu erlauben, nicht schwer auf den Schultern zu liegen, sondern auch mal abzudriften, ist ganz gesund. Aber den Weg zurück in die Realität sollte man immer finden. Wer sich auch musikalisch jeglicher Haltung entziehen und sich in einem Heile-Welt-Kosmos in Sicherheit wiegen möchte, muss eigentlich in einer super privilegierten Situation sein, sich nicht mit vielen Themen des gesellschaftlichen Diskurses auseinandersetzen zu müssen. Da ich aber beispielsweise queer bin, bin ich Teil des Diskurses, ob ich will oder nicht. Und so kann ich, zumindest wenn ich mich nach meinem Kredo der Ehrlichkeit richte, auch einer Haltung nicht entziehen, ob ich will oder nicht.
Frontstage Magazine: Deine Perspektive als queere FLINTA* Person scheint einen starken Einfluss auf deine Musik zu haben. Wie würdest du sagen, dass deine Identität und Erfahrungen die Art und Weise beeinflussen, wie du deine Kunst kreierst und präsentierst?
NIKRA: Diese Perspektive hat natürlich einen großen Einfluss auf meine Musik, denn sie ist ein elementarer Teil meiner Identität. Darüber hinaus ist es mir wichtig, auch eine Plattform und einen Ort zu schaffen, an dem junge queere Menschen sich wohl und gesehen fühlen. An dem ganz klar ist, dass du lieben darfst, wen du möchtest, und dass uns Geschlecht genauso egal ist wie Genre. Besonders im Punk, wo dann doch auch viele queere Menschen eine Subkultur finden, in der sie sich wohl fühlen können, gibt es leider noch zu wenig Spaces.
Fotocredit: Sandra Ludewig