Es ist Montagabend, kurz nach 19 Uhr im Hamburger Stadtpark. Die Ränge der Freilichtbühne sind zu etwa drei Vierteln gefüllt, das Publikum hat sich trotz durchwachsenen Wetters eingefunden. Es hat den ganzen Tag geregnet, und auch jetzt hängt noch ein nasser Schleier in der Luft. Doch plötzlich erklingt ein einzelner, kraftvoller Akkord von einer zwölfsaitigen Akustikgitarre hinter der Bühne – und das Publikum weiß: Jetzt geht’s los.
Melissa Etheridge eröffnet ihr Konzert mit dem energetischen „Ain’t It Heavy“, ein perfekter Einstieg, rau und voller Drive. Die dreiköpfige Band liefert direkt mit, Etheridge selbst erscheint kurz darauf mit strahlendem Lächeln – und wird prompt von einem kurzen, aber intensiven Regenschauer begrüßt. Der Applaus ist trotzdem warmherzig, das Publikum wetterfest.
Ein Abend mit Rückblick – musikalisch wie persönlich
An diesem Abend bleibt Etheridge musikalisch vor allem in der Vergangenheit. Ihre aktuelle Platte „One Way Out“ findet keinen Platz in der Setlist, stattdessen dominieren Songs ihrer frühen Karriere, vor allem vom Debütalbum von 1988. Zwischen den Songs plaudert sie locker mit dem Publikum, erzählt vom Paddeln auf der Alster am Vortag, von den Fragen ihrer Kinder zu den 80ern und von ihrer Liebe zu Deutschland. Bereits früh in ihrer Karriere fand sie hier ein offenes Ohr, während sie in ihrer Heimat noch auf Anerkennung wartete. „Deutschland hat mich zuerst verstanden“, erinnert sie sich auf der Bühne – und das Publikum bestätigt diese Verbindung mit viel Applaus.
Etheridge bleibt nicht nur musikalisch bei ihren Wurzeln: Folk, Blues, Heartland-Rock – alles handgemacht, ehrlich, mit Ecken und Kanten. Dabei vermeidet sie bewusst zeitgenössische Sound-Experimente und setzt stattdessen auf Authentizität. Doch unter dem traditionell klingenden Rock brodelt es: In Songs wie „Love Will Live“ oder „A Burning Woman“ ist die Wut über gesellschaftliche Missstände in den USA spürbar. Ihre Spitzen gegen Trump und die politische Lage in ihrer Heimat verpackt sie mit einem Lächeln, aber die Botschaft bleibt unmissverständlich.
Ein emotionaler Höhepunkt jagt den nächsten
Zu den Highlights des Abends zählt sicher die gewohnt epische Version von „Like The Way I Do“, die Etheridge – entgegen der klassischen Zugaben-Tradition – ohne Unterbrechung als „letzten“ Song ankündigt. Das Stück wird zur ausgedehnten Jam-Session, mit packenden Gitarren- und Percussion-Soli. Das Publikum feiert, tanzt, singt – der Regen ist längst vergessen.
Überhaupt sind es weniger die großen Effekte als die ehrliche Bühnenpräsenz, die den Abend tragen. Melissa Etheridge, mittlerweile 64 Jahre alt, wirkt energiegeladen und präsent, ihre Stimme kraftvoll wie eh und je. Persönliche Themen wie der Verlust ihres Sohnes oder ihre Brustkrebserkrankung blendet sie nicht aus, doch der Grundton bleibt positiv: Überleben, Weitermachen, Musik als Therapie und Statement zugleich.
Fazit: Ein Konzert wie ein guter Whiskey – gereift, warm und voller Charakter
Melissa Etheridge hat im Hamburger Stadtpark einmal mehr bewiesen, warum sie über Jahrzehnte hinweg eine feste Größe im Rock geblieben ist. Auch wenn sie das Rad nicht neu erfindet – sie muss es nicht. Ihre Songs, ihre Haltung und ihre Bühnenenergie reichen völlig aus, um das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Und selbst das norddeutsche Regenwetter konnte diesem besonderen Abend nichts anhaben.
Fotocredit & Review: Sascha Beckmann