Als einer der vielseitigsten und einflussreichsten Musiker der deutschen Szene beweist Alligatoah seit seinem Mainstream-Durchbruch 2013, dass er sich in keine musikalische Schublade stecken lässt. Mit seinem neuen Album „off“ setzt er dieses Muster fort, indem er sich in unkonventionelle Klanglandschaften vorwagt. Im Telefoninterview mit unserer Redakteurin Jacky spricht Alligatoah über sein neues Werk sowie über seine Haltung zu Mainstream und Nu Metal. Dabei gibt er Einblicke in seine künstlerische Vision zu Crossover, wie er damit letztendlich Alligatoah Songs kreiert, und wieso „off“ eigentlich so wie Linkin Parks legendäre „Hybrid Theory“ ist und doch etwas komplett anderes, eigenes. Weitere Fragen werden für euch im Interview beantwortet.
Frontstage Magazine: Was war es für ein Gefühl, dass dein Plan bezüglich deines neuen Albums „off“ aufgegangen ist?
Alligatoah: Das Gefühl war Überraschung, weil ich nicht damit gerechnet habe, dass das so gut funktioniert und dass diese doch sehr spezielle Art von Musik so gut ankommt, nachdem Nu Metal und Crossover seit über zehn Jahren eigentlich im Mainstream aus der Mode geraten sind und sogar eher als peinlich und uncool galten. Deswegen war ich einfach überrascht, dass da so viel positive Resonanz gekommen ist, und ich habe mich vor allem gefreut, dass ich damit diesem Genre auch vielleicht ein bisschen eine Plattform in meiner Bubble geben konnte, die vorher nicht da war.
Frontstage Magazine: Gehen wir noch einen Schritt weiter zurück, hast du dich während der Kölner Show ein bisschen so gefühlt, als ob du gleich zu deiner eigenen Beerdigung gehen würdest?
Alligatoah: Es war erst mal so, als würde ich zu einem perfiden Event gehen, auf dem ich meine Fans verarsche, und ich habe mir noch ins Fäustchen gelacht, aber in dem Moment, in dem ich diese Rede gehalten habe und vor den Leuten stand, da hat es sich tatsächlich wie meine Beerdigung angefühlt und da war ich überraschenderweise ein bisschen ergriffen und nervös, weil ich an der Stelle einen Strich unter all das, was ich bisher gemacht habe, zog, und ein neues Kapitel eingeläutet habe, was nicht ganz risikofrei war.
Frontstage Magazine: Genau, wunderbare Überleitung zu meiner nächsten Frage. Obwohl du diese Leidenschaft für die Rock- und Metalszene schon immer gezeigt hast, war es irgendwo ein riskanter Schritt. Was hat dich letztendlich dazu bewegt das Risiko einzugehen und ein Crossover-Album zu produzieren?
Alligatoah: Ich glaube, das, was mich bewegt hat, ist das, was mich immer bewegt hat, nämlich, dass es mir eigentlich relativ egal ist, ob ich in diesem Mainstream stattfinde oder nicht. Und ich war damals extrem überrascht, dass ich überhaupt zu jemandem geworden bin, der auch mal im Radio läuft oder der auf Fernsehsendern gespielt wird. Das war nie geplant und weil das auch nie geplant war, kann ich auch sehr lapidar damit umgehen. Somit kann ich auch gerne alles aufs Spiel setzen, weil ich nie danach gefragt habe und ich wollte da nie hin, wo ich gelandet bin. Ich habe mich darüber gefreut, dass so eine große Menschenmenge zu meinen Konzerten kommt und dass es so viele Leute gibt, die sich das anhören, aber es war nie Teil des Plans.
Frontstage Magazine: Das klingt super spannend, wenn du sagst, dass du da nie hin wolltest, wo du jetzt bist. Kannst du das näher erläutern?
Alligatoah: Ich glaube, das kam daher, dass ich als jugendlicher Musikhörer immer schon eine Abneigung gegen Mainstream und Popmusik hatte. Und deswegen mit Absicht meine eigene Musik so gestaltet habe, dass sie Ecken und Kanten hat und unangenehm ist, was aber in der Regel nicht im Radio gespielt wird. Ich habe meine Musik immer anders gestaltet als die seichte Radiomusik, weil ich mich davon abheben wollte und was anderes sein wollte. Umso überraschter war ich als meine Nische, aus welchem Grund auch immer, so viele Leute anspricht und trotzdem an manchen Stellen so mainstreamtauglich ist. Für mich ist das nicht ein Beweis dafür, dass ich jetzt weiter in den Mainstream rücken sollte, sondern spricht eigentlich eher dafür, dass die Art, wie ich Texte schreibe und über Sachen nachdenke, einfach ein paar Leute interessant finden und ich denen dann quasi alles zumuten kann, was da in meinem Herzen ist und das genau das tue ich. Ich nehme einfach keine Rücksicht und genau diese nicht genommene Rücksicht ist der Grund, warum Leute zu meinen Konzerten kommen, glaube ich.
Frontstage Magazine: Gut möglich. Was würdest du denn sagen, ist vom neuen Album das Unangenehmste oder was am weitesten weg ist vom Mainstream?
Alligatoah: Mit unangenehm meine ich natürlich, dass ich immer schon eine Liebe dafür habe, Dinge, die vielleicht eigentlich schön sind, auch mal von der anderen Seite zu beleuchten. Es gibt den Song „Küssen“, welcher von einem der schönsten Dinge überhaupt, nämlich von der Liebe und dem Küssen, handelt, sofern man es aus der eigenen Perspektive betrachtet. Von außen betrachtet kann Küssen aber auch das ekligste von der Welt sein, wenn man Leute, die einem in der U-Bahn vor der Nase sitzen, den Speichel voreinander austauschen. Das sind Bilder, die ich interessant finde. Wenn du fragst, was das Abseitigste auf dem Album ist, dann ist es vielleicht der Song „Partner in Crime“ mit Tarek, wo wir uns in die Rolle von Serienkillern hineinversetzen. Ich mag Kontraste und wenn mir ein Refrain zu kitschig und zu balladig ist, dann muss ich dagegen steuern, indem ich in den Strophen halt von Mord und Totschlag erzähle, damit die Balance wieder da ist und damit ich selbst wieder Spaß habe an dem Song.
Frontstage Magazine: Die Balance ist immer das Wichtigste. Zudem schaffst du es immer wieder gut dein eigenes Momentum in die Musik zu bringen, dass man Songs von dir meistens auf Anhieb erkennt. Wie schaffst du es dieses Momentum immer wieder für dich in deinem Sinne zu kreieren?
Alligatoah: Ich glaube, das ist gar kein Schaffen, sondern das passiert einfach automatisch. Daher ist es auch Fluch und Segen zugleich. Wenn man ein erfolgreicher Songwriter ist, dann fragen dich Leute ebenfalls für Schlagersänger an. Ich bin ehrlich, ich habe das probiert und dabei festgestellt, dass ich das nicht kann. Wenn ich anfange, Texte zu schreiben, dann fließen da automatisch diese etwas theatermäßigen Worte, diese geschwollene Sprache und diese brutalen Sprachbilder, die sich dann plötzlich mit überdrehtem Kitsch abwechseln automatisch mit ein. Das kann ich gar nicht ändern, aber habe es irgendwann zugelassen und gemerkt, dass ich es gar nicht verändern muss, weil genau das mich ausmacht. Es ist schön, dass mich so viele Leute dafür trotzdem schätzen.
Frontstage Magazine: Das trifft auf jeden Fall zu. Nun hast du es dir quasi zur Aufgabe gemacht, so ein bisschen Elemente aus Heavy Metal und Hip-Hop zu verschmelzen und diese Genre -Grenzen aufzubrechen. Hattest du da irgendwas im Hinterkopf oder war das auch einfach organisch?
Alligatoah: Ich weiß nicht. Ich kann mich an die letzten Jahre, in denen ich Musik produziert habe erinnern, nachdem ich aus dem Studio kam und immer happy mit meiner Musik war und dazu im Auto mit dem Kopf geknickt habe. Dann war ich zufrieden. Danach habe ich wieder meine Playlist mit Slipknot oder System Of A Down gehört und das hat mich dann wieder so richtig abgeholt und ich dachte: „Verdammt, so klingt meine Musik aber nicht und warum klingt meine Musik nicht so geil; warum kann ich diese Emotionen nicht auch erzeugen, die ich jetzt gerade von Bands wie Limp Bizkit oder Linkin Park bekomme?“ Das war der Moment, in dem ich schon wusste, dass ich mich irgendwann hinsetzen werde und genau diesen Sound radikal in meine Welt einzupflanzen versuche.
Frontstage Magazine: Ich würde behaupten, dass es dir auf jeden Fall gelungen! Wie war es die Nu-Metal-Legenden wie Fred Durst in dein Album zu integrieren? War es eine Art Zeitreise hin zu Anfang der 90er, 2000er und damit eine Herausforderung diese Sounds wieder moderner zu machen?
Alligatoah: Ich glaube, dass das, was in den 90er- und Nullerjahren passiert ist, eine Zusammenmischung von dem, was Rock und Metal sowie Hip-Hop zu der Zeit gerade waren, war. Und ich bin mit denselben Gedanken daran gegangen, aber ich habe halt einfach das genommen, was Rock und Metal sowie Hip -Hop jetzt gerade sind, was ganz anders klingt als die Beats aus den 90ern. Ich habe dieselben Welten in einer anderen Zeit genommen und zusammengemischt. Ich wollte noch nie irgendetwas eins zu eins imitieren. Das war mir ganz wichtig. Ich hätte das nicht machen können, wenn ich nicht die Idee gehabt hätte, da mein eigenes Experiment mitzumachen und ich glaube, das ist es dann auch geworden. Es ist, so wie du auch gesagt hast, es sind am Ende des Tages trotzdem Alligatoah Songs und dadurch ist es ja einfach nicht dasselbe, was es schon einmal gab.
Frontstage Magazine: Im Promotext zu „off“ stand geschrieben, dass es ein bisschen wie das moderne „Hybrid Theory“, damals von Linkin Park, wäre. Würdest du selber diesen Vergleich auch ziehen?
Alligatoah: Es ist natürlich absolut nicht dasselbe wie „Hybrid Theory“. Ich glaube, was dort gemeint wurde, ist bezogen auf das Wort Hybrid. Und das ist tatsächlich das, was ich mit meiner Arbeit versucht habe. Ich wollte kein reines Metal- und auch kein reines Rap-Album machen. Ich wollte ein Hybrid aus beidem machen und das aber eben mit den Werkzeugen, die man heutzutage dazu hat. Und deswegen passt glaube ich „Hybrid Theory“ als Titel, aber nicht als Vergleich zu dem, was es damals war, denn das ist es ja nicht. Wenn man diese Überschrift wählen will, dann könnte ich dem schon zustimmen.
Frontstage Magazine: Auf dem Album hast du einige Features, die diesen hybriden Gedanken widerspiegeln. Für die Metal- und Rockriege sehen wir einerseits Fred Durst sowie die Guano Apes, während andererseits mit Bausa und Tarek klassische Rap-Gäste vertreten sind. Hast du diese Auswahl bewusst im Sinne des Konzeptes getroffen oder waren die Features sowieso geplant?
Alligatoah: Es waren tatsächlich, zumindest aus dem Rap -Bereich, alles Leute, mit denen ich sowieso schon länger darüber spreche, dass man mal einen Song macht. Mit Bausa war ich vor drei Jahren schon mal im Studio und Tareks Musik schätze ich schon seit Ewigkeiten, sowohl in der Band K.I.Z. als auch als Solo -Artist, und irgendwie hat das jetzt da einfach reingepasst. Zudem mochte ich genau den Fakt, dass es sich die Waage hält, dass man mit Fred Durst und Guano Apes zwei Features aus dieser Crossover -Welt hat. Dafür kann man vielleicht wieder das Wort Hybrid verwenden.
Fronstage Magazine: Perfekt, da schließt sich der Kreis. War es etwas Besonderes einen seiner Helden bei Rock am Ring zu treffen und binnen einer Stunde eine neue zweite Strophe für „So raus“ zu kreieren?
Alligatoah: In dem Moment, als es passiert ist, war es überhaupt nichts Besonderes, weil es sich so natürlich und so sympathisch angefühlt hat, weil der Mann mir auch einfach auf Augenhöhe begegnet ist und mich nicht hat spüren lassen, dass er ein Weltstar ist und ich ein deutscher Rapper. Erst jetzt im Nachhinein, wenn ich dann manchmal den Song beim Autofahren höre, kriege ich kurz Gänsehaut, weil ich das nicht fassen kann, dass es wirklich passiert ist.
Frontstage Magazine: Hat es das für dich entzaubert oder war es wirklich einfach so, dass dein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen ist und man es erst viel später realisiert?
Alligatoah: Ne, entzaubert hat das eigentlich nichts. Ich bin ja selber Zauberer und deswegen weiß ich auch, wie Zaubertricks gemacht werden. Deswegen kann mich das nicht mehr überraschen, wenn ich sehe, dass gewisse Heldenfiguren meiner Kindheit natürlich auch im Studio sitzen, nachdenken, Sachen ausprobieren und diese dann wieder verwerfen, und Selbstzweifel haben. Dass das zum Prozess gehört, ist für mich absolut klar. Ich bin davon nicht überrascht, geschockt oder desillusioniert. Ganz im Gegenteil, es hat mich eigentlich eher beflügelt und auch ein bisschen eine innere Beruhigung gegeben zu lernen, dass die Dinge, mit denen ich selbst manchmal struggle, nicht alleine bin. Dass selbst Weltstars und Größen und Helden meiner Jugend, genau mit denselben Sachen herumhadern.
Frontstage Magazine: Solche Erkenntnisse können auch durchaus befreiend sein. Genauso bist du für viele Menschen auch der Lieblingskünstler aus Jugendzeiten. Ich hatte unter einem deiner Videos den Kommentar gelesen „Wow, mein Lieblingskünstler aus meiner Jugend macht jetzt Musik, die meinem Erwachsenen Ich gefällt.“ Hast du das Gefühl, dass damit auch deine eigene Musik ein bisschen erwachsen geworden ist, oder du als Künstler?
Alligatoah: Ich sehe das ein bisschen als meinen Beruf, mir das innere Kind zu bewahren und nicht erwachsen zu werden. Und das heißt nicht, dass ich als Menschen nicht reife. Da es mir so bewusst ist, dass ich für die Menschen, die mich hören, dem Zugang zu kindlichen, märchenhaften, zauberhaften Gedanken behalten muss, weiß ich auch, dass ich mir das Spielerische und das Albern niemals verlieren darf. Das heißt, ich würde niemals von Erwachsenwerden sprechen und ich glaube, das ist auch ein bisschen der Grund, dass halt das Album so klingt wie es klingt.
Frontstage Magazine: Wenn du sagst, du würdest nicht von Erwachsenwerden sprechen, was wäre da eine geeignete Alternative für diesen Gedanken?
Alligatoah: Ich würde sagen, die Leute, die solche Kommentare schreiben, die sind ein bisschen wie ich, weil die mit den Gedanken, die ich als 16 -jähriger hatte, was anfangen konnten, und mit den Gedanken, die ich jetzt als 34 -jähriger habe, immer noch was anfangen können. Das sagt mir, dass die Leute mit mir einen Weg beschreiten. Für mich ist das eine schöne Erfahrung, weil ich natürlich das Gefühl habe, ich bin mit meinen Gedanken und mit meiner Weltsicht weniger allein und vielleicht haben die Leute, die das hören, dieses Gefühl auch.
Frontstage Magazine: Ganz gewiss gibt es da auch genügend Menschen, die das genauso empfinden. Hast du das Gefühl gehabt, dass deine gesamte Community diesen Weg mit dir mitgegangen ist, oder hast du Hate oder gar eine Spaltung erfahren?
Alligatoah: Natürlich nicht, und das ist aber auch völlig klar gewesen. Ich würde es aber nicht Hate nennen, weil das, was ich gelesen habe, tatsächlich eher respektvolle und einfach sachlich formulierte Aussagen waren, die einfach nur darauf hinweisen, dass das nicht ihre Art von Musik ist. Das sagt mir wiederum, dass meine Fanbase sogar im Haten sehr vernünftig und liebevoll ist. Das rechne ich auch den „Hatern“ hoch an. Da gibt es kein böses Blut. Ich glaube aber, dass der Großteil der Leute trotzdem noch zu den Konzerten kommen wird und bleiben wird. Denn die wissen, dass das, was mich als Musiker ausmacht, nicht das Soundbild ist, mit dem ich ankomme und nicht die Art, wie ich singe oder schreie, sondern vor allem die Art, wie ich Texte schreibe und wie ich meine Bühnenshows kreiere. Es geht darum sich das anzugucken und in meine Gedankenwelt einzutauchen. Ich glaube, deswegen kommen die Leute und dann ist es fast egal, ob da eine verzerrte Gitarre im Hintergrund läuft oder eine seichte Akustikgitarre.
Fronstage Magazine: Sehr schön. Ich habe tatsächlich noch eine letzte Frage, die immer ein bisschen mehr persönlich gelagert ist und weniger musikalisch: Worüber in deinem Leben bist du wirklich froh, würdest es aber nicht noch einmal tun wollen?
Alligatoah: Na ja, ich bin schon froh, dass ich zur Schule gegangen bin, ehrlich gesagt, weil ich da mehr mitgenommen habe, als es mir damals bewusst war. Natürlich eher so ein bisschen im sozialen Bereich und im Umgang mit Menschen. Aber ich würde jetzt tatsächlich nicht mehr unbedingt in die Schule gehen wollen. Das ist ja auch langweilig und ich habe viel Besseres zu tun.
Frontstage Magazine: Das ist eine sehr viel banalere Antwort als ich dachte aber fair. Wir danken dir tausendfach für deine Zeit und ganz viel Erfolg mit dem neuen Album!
Alligatoah: Ich habe jetzt viel geschwafelt. Da kann man auch mal banal enden. Ebenfalls vielen Dank für die Zeit und schönen Tag noch.
Fotocredit: Benjamin Ebrecht