Feine Sahne Fischfilet gehören zu den politisch lautesten und emotional offensten Bands der deutschen Musikszene. Gegründet in der vorpommerschen Provinz, hat sich das Kollektiv vom rebellischen Dorf-Punk zur festen Größe auf den großen Bühnen entwickelt – ohne die eigene Geschichte aus dem Blick zu verlieren. „Wir kommen in Frieden“ (VÖ: 30.05.2025) ist ihr neues Album. Es klingt wie ein Willkommensgruß mit Nachdruck: freundlich, aber nicht harmlos. Der Titeltrack lässt beides zu – entspannter Besuch oder stürmischer Aufbruch. „Beides ist ehrlich gemeint“, sagte uns Sänger Jan „Monchi“ Gorkow im Gespräch. Genau diese Ambivalenz zieht sich durch die ganze Platte. Wer bereit ist zuzuhören, wird nicht nur eingeladen, sondern auch herausgefordert.
Feine Sahne Fischfilet setzen auf Nähe statt Pose. Statt politischer Parolen liefern sie persönliche Geschichten – direkt, roh und glaubwürdig. Der wohl eindrücklichste Moment kommt mit „15 Jahre“. Monchi erzählt, wie er als Jugendlicher von Nazis brutal zusammengeschlagen wurde. Die Musik bleibt ruhig, fast zerbrechlich. Doch was gesagt wird, trifft mit voller Wucht. „Diese Szene, dieser Schmerz – das wollte raus. Und Musik ist der Ort dafür“, erklärte er uns. Das Lied ist kein Rückblick, sondern eine offene Wunde in Songform.
Auch „Haut an Haut“, geschrieben zur Geburt seines Kindes, gehört zu diesen ruhigen, emotional aufgeladenen Momenten. Monchis Stimme bricht fast – und genau das macht den Song so stark. „Unsere Musik lebt davon, dass sie persönliche Geschichten erzählt… bei uns kannst du in jeder Strophe Tagebucheinträge lesen, wenn du willst“, sagte er. Ähnliche Intimität zeigt sich in „Eine rauchen wir noch“, das mit viel Wärme von nächtlichen Abschieden erzählt. „Endlich auf Reise“ wiederum klingt nach Aufbruch, nach Freiheit und innerem Wandel. So unterschiedlich diese Songs sind – sie wirken wie verschiedene Seiten derselben Geschichte.
Natürlich bleibt die Band politisch. Doch statt wütend zu dozieren, setzen Feine Sahne Fischfilet auf Haltung mit Augenzwinkern. „Grüße ins Neandertal“ richtet sich sarkastisch an Rechte und Ewiggestrige – so treffsicher, dass der Track auf Social Media zensiert wurde. Monchi reagiert darauf gekonnt mit einem verschmitzten Lächeln.
In „Manchmal finde ich dich scheiße“ nimmt die Band zusammen mit FiNCH die eigene Szene aufs Korn. Laut, direkt, selbstironisch. „Bei uns bist du auch herzlich willkommen, wenn du mal ein Idiot warst. Auch wir waren oft genug Idioten“, sagte uns Monchi im Interview. Kein moralischer Zeigefinger, sondern eine Einladung zum Miteinander trotz Differenzen.
Besonders pointiert wird es in „Awarenesskonzept“. Hier hinterfragt die Band den Drang zur politischen Reinheit in linken Kontexten. „Scheitern ist gar nicht schlimm. Komisch wird’s, wenn Leute so tun, als wären sie moralisch unantastbar“, meint Monchi. Drummer Olaf ergänzt: „Es geht darum, Fehler zuzulassen, ohne sich selbst gleich zu entwerten.“ Diese Linie zieht sich durchs Album – klar in der Position, offen für Widersprüche.
Klanglich bleibt das Fundament bestehen: Punk, Trompete, Melodie, Energie. Aber das Album gönnt sich mehr Raum. „Jungs und Kokain“, ein Track über auseinanderdriftende Freundschaften, klingt fast funky. Miss Platnum bringt Soul, ein Gospelchor setzt emotionale Akzente. Der Song zeigt: Diese Band hat sich geöffnet, ohne sich zu verlieren.
Produzent Philipp „Philsen“ Hoppen hat der Band erneut einen Sound verpasst, der gleichzeitig wuchtig und durchlässig ist. Die Arrangements lassen Luft zum Atmen, ohne an Druck zu verlieren. Das Zusammenspiel von Gitarre, Bass, Drums, Trompete und Stimme wirkt wie ein gut geölter Koloss: roh, ungestüm, aber kontrolliert. Jeder einzelne bringt sich hörbar ein – kein Beiwerk, sondern echtes Bandgefühl. Monchi schreit, singt, flüstert – oft innerhalb eines Songs – und verleiht jeder Zeile diese Dringlichkeit, als hinge alles an ihr. So klingt das Album, als wäre es für die große Bühne gebaut worden – und genau dort wird es sein ganzes Gewicht entfalten.
Feine Sahne Fischfilet haben sich vom Lokalphänomen zur landesweiten Stimme entwickelt. Vom Verfassungsschutz beobachtet, heute auf ausverkauften Bühnen. „Alles glänzt“ brachte den Durchbruch, „Wir kommen in Frieden“ bringt Tiefe. 2025 spielt die Band ausgewählte Release- und Open-Air-Konzerte sowie einige Festivalauftritte – viele davon bereits ausverkauft. Das Highlight: die Show in der Berliner Wuhlheide, das bislang größte Konzert ihrer Geschichte. Und trotzdem bleibt der Kern erhalten. Keine Rockstar-Pose. Stattdessen: Nähe, Ehrlichkeit, Haltung.
„Wir kommen in Frieden“ ist ein vielschichtiges, starkes Album. Es rührt, rüttelt, erinnert und regt an. Politisch und persönlich zugleich, wütend und verletzlich, laut und leise. Es verlangt Aufmerksamkeit – und schenkt im Gegenzug Nähe, Klarheit und überraschend viel Trost. Feine Sahne Fischfilet zeigen, dass Haltung nicht heißt, sich abzuschotten – sondern im Gespräch zu bleiben, auch wenn’s unbequem wird. Dass Veränderung nicht bedeutet, sich selbst zu verlieren. Und dass Musik nicht nur unterhalten, sondern auch verbinden kann. Live dürfte das Album genau dort weiterwirken, wo es hingehört: mitten ins Herz. Von uns gibt’s dafür neun von zehn lodernde Bengalos – und jedes davon absolut verdient!
Das vollständige Interview mit Monchi und Olaf erscheint in Kürze bei uns.
Fotocredit: Wally Pruss