Die Qual der Wahl im Festivalgame bescherte uns das erste Wochenende im September. Mit dem Superbloom in München, dem World Club Dome in Frankfurt, welches eigentlich im Juni terminiert ist, aber durch die Heim-EM verschoben werden musste, sowie das Lollapalooza in Berlin standen gleich drei Major Festivals zur selben Zeit an. Wir waren auf allen Events unterwegs um die Stimmung für euch einzufangen. Die Hauptstadt wurde mit den letzten heißen Tagen verwöhnt, um den traditionellen Abschluss der Festivalsaison 2024 gebührend zu feiern. Daher galt: Noch einmal rausgehen, noch einmal zusammen feiern, noch einmal Summerfeeling, noch einmal endlos fühlen, bevor die dunkle Jahreszeit bevorsteht.
Mit über 30 Grad am Samstag war es viel zu heiß, um sich lange am Stück in der Sonne aufzuhalten, also galt die Devise einfach los laufen und in Bewegung bleiben. Den Anfang der Route markierte cassö, der auf der Perry Stage auflegte. Die erbarmungslos niederbrennende Sonne entschied diesen Nachmittag, wo es zu tanzen galt, also sammelte sich die Crowd im Schatten einseitig vor der Bühne. Der Newcomer fand einen guten Draht zu den Leuten und begeisterte mit seinem Set. Durchs Olympiastadion ging es zur Mainstage North auf der Sängerin Natalie Jane performte. Bekanntheit erlangte die US-Amerikanerin durch ihre Teilnahme an „American Idol“ sowie TikTok. Ihr bekanntester Hit „AVA“ schloss ihre powervolle Performance. Auf dem längeren, aber schattigeren Weg zur Alternative Stage passierte man das angrenzende Olympiabad, zu dem so manche Besuchenden neidisch herüber schielten. So schön Sommer auch sein mag, dieses Wochenende gab der Wettergott noch einmal alles und schoss damit weit übers Ziel hinaus.
Aber keine Müdigkeit vorschützen, es ging zur Alternative Stage mit dem Duo Lena & Linus. Die beiden stehen für deutschen, emotionalen Gitarren-Pop, den man bald ebenfalls auf Tour passend zum neuen Album erleben kann. Mit lockerer und leichter Musik verging ihre Dreiviertelstunde wie im Flug. Zum Abschluss durfte sich das Publikum aussuchen, ob es lieber den Titel „Hamburg“ oder „Komisch“ hören wollte. Lautstark wurde sich für letzteres entschieden, zu dem das hauptsächlich weiblich gelesene Publikum glücksbeseelt tanzte. Deutschlastig ging es auf den beiden Hauptbühnen mit JEREMIAS und Von Wegen Lisbeth weiter. Der Indie-Pop-Fünfer JEREMIAS aus Hannover verlangte seinen Fans noch einmal alles ab. Zwar sei erst September, aber man habe den Winter bereits überlebt, was die Überleitung zum gleichnamigen Song beschrieb. Eine Überraschung hielt die Band ebenfalls für ihre Fans bereit: für ihren Song „BYE X3“ holten sie sich Berliner Unterstützung von Ski Aggu. Dieser hatte offensichtlich seine letzte Show des Festivaljahres schon bestritten, da er später am Tage noch einmal auftauchen sollte. Sowohl JEREMIAS als auch Von Wegen Lisbeth stand diese Aufgabe des letzten Festival-Gigs noch bevor.
Die Worte „Das ist unsere letzte Show diesen Sommer“ hörten die Zuschauenden bei fast jedem Act und ganz ehrlich, dieses Mal hat man das allen Beteiligten eine Spur mehr angemerkt als sonst. Alle, von Crew bis Artists, wirkten eine Spur weniger locker als sonst, was nicht zuletzt den brachialen Temperaturen geschuldet sein durfte. Der Hauptvorsatz für die beiden Tage beschränkte sich darauf den Festivalsommer sicher über die Bühne zu bringen und letzten Kräfte zu mobilisieren, um den Besuchenden ein schönes letztes Festivalerlebnis für diese Saison zu kreieren. Selbiges galt für unsere Paaspop-Entdeckung Sam Tompkins. Im April in den Niederlanden musste er aufgrund von technischen Problemen den Großteil seines Sets acapella bewältigen. Unter Einsatz des kompletten Equipments wirkt es zwar voller, aber seine Stimme alleine bräuchte dies gar nicht. So konnte man sich mit dem Bruno Mars Cover „Talking to the Moon“ hinweg träumen. Dazu teilte er eine Vielzahl persönlicher Einblicke und Gedanken; so gab er an, dass dies einer seiner Lieblingssongs sei. Mit „Open Mind“ präsentierte er außerdem einen noch nicht releasten Track.
Danach musste man sich sputen, da Shirin David mit nur einer Viertelstunde Versatz die südliche Hauptbühne unsicher machte. Die Rapperin machte ihre Sache soweit ordentlich und erfüllte alles, was man sich von ihr in ihrer Rolle als Musikerin wünschte – inklusive einem „Outfit das slayte“, Zitat einer Besuchenden. Neben ihren bekannten Songs „Gib ihm„, „Lieben wir“ oder der Kooperation „Atemlos durch die Nacht“ mit Helene Fischer, die sie routiniert vortrug, bildete vor allem die Zugabe das Highlight des Auftrittes ab. Fünf Minuten vor Ende ihrer Stagetime verschwand sie, was viele Leute zum Anlass nahmen sich bereits der Zwillingsbühne zuzuwenden. Nach einigen Momenten erschien Shirin David wieder auf der Bühne, um weitere Songs mit Attitude zu performen, schließlich diktiere ihr kein Zeitplan, wann sie aufzuhören hätte. Außerdem wollte das Publikum genau noch diesen einen Song von ihr hören und sie lieferte „Bauch Beine Po“ wie gewünscht und das gleich zwei Mal. Bei ersten Mal stürmte ein weiteres Mal Ski Aggu die Bühne, der qualifiziert mit Shirin Party machte und angemessene Liegestütze ausführte. Überrascht von seiner Gegenwart, wollte sie dieses Erstaunen weitergeben und wählte einen schwarzen Mann aus dem Publikum aus, der noch einmal die Ehre hat den letzten Song mit ihr zu performen. Runde zwei wurde begleitet von den Glücksschreien des Unbekannten, der vollkommen losgelöst auf der Bühne hüpfte und damit mehr Energie zeigte als viele andere „letze Shows“, die der Tag bisher hatte. Die Freude des Menschen war wirklich unendlich und wunderschön anzusehen.
Nun musste es aber schnell gehen, denn OneRepublic standen auf der anderen Seite des Feldes schon in den Startlöchern. Das bedeutete einen fliegenden Wechsel des Zentrums der Aufmerksamkeit – Fans liefen von der einen Bühne zur anderen, was von Anfang an deutlich mehr Energie hineinbrachte. Die Berlinerinnen und Berliner waren ab dem ersten Song mit dem Herzen dabei und fühlten den Vibe der Band maximal. Der positiven Atmosphäre zuträglich waren zudem die regelmäßigen Feuerwerke über dem Olympiastadion, die den Auftritt der US-Amerikaner begleiteten. OneRepublic ist eine Band, deren massiven Hitdichte man nicht unbedingt auf dem Schirm hat. Jedoch kannte man jeden der 13 regulär gespielten Songs. Zwar gab es vier Titel vom im Juli erschienenen Album „Artificial Paradise„, aber durch Singleauskopplungen und Radio, waren diese ebenfalls bestens bekannt. „Sink or Swim“ war das „unbekannteste“ Lied, was die Band spielte, doch auch dazu gab es große Unterstützung seitens des Publikums.
Nach dem siebten Song verließen alle Mitglieder außer Ryan Tedder die Bühne, der seines Zeichens Songwriters so gut wie jedes erfolgreichen Popsongs ist, welches er der Menge mitreißend demonstrierte. Somit gab es eine zehnminütige Karaokepassage von Beyoncés „Halo“ über „Bleeding Love“ von Leona Lewis bis hin zu TateMcRaes „Greedy„. Ryan Tedder hat bei unzähligen Artists seine Finger im Spiel und die Liste seiner Mitwirkung ist mehr als beeindruckend. Das Ganze präsentierte er humorvoll, während er sich selbst am Piano begleitete. Mehr als seine raumfüllende Stimme brauchte es nicht, um Tränen fließen zu lassen, so einnehmend und in seinen Bann ziehend war diese Passage. „Apologize„, was der Band zum kompletten Durchbruch verhalf, führte die ganze Gruppe in der Folge für die letzten sechs von Hits gespickten Songs zusammen. Insgesamt spielten OneRepublic für uns den mit Abstand besten Auftritt des Wochenendes. Mit dieser Euphorie führte der einzig mögliche Weg noch zur altbewährten Show von Martin Garrix, welche mit einem prachtvollen Feuerwerk den ersten Festivaltag abschloss.
Bilder vom Sonntag gibt es hier.
Sonntag war aller Voraussicht nach der letzte heiße Tag in diesem Jahr. Gefühlt strömten noch mehr Menschen als am Vortag zum Lollapalooza. Dies machte sich in langen Warteschlangen rund ums Fashionpalooza bemerkbar, wo die Leute für ihre Chance beim Glücksrad oder Geschicklichkeitsspielen anstanden, um Giveaways zu gewinnen. Inmitten dessen befand sich die Fashion Stage, auf es anderthalb Stunden lang eine Collective Singing Experience with Roots Berlin & Noah Slee gab. Gut gelaunte Menschen standen im Kreis, während sie sich rhythmisch im Takt wiegten und begeistert mitsangen und lachten. Das alles im schönsten Sonnenschein umgeben von guten Vibes. Umso voller es auf den Plätzen rund ums Stadion war, desto weniger Menschen konnten natürlich die Bühnen stürmen. Jedoch fand sich vor jeder Bühne ein harter Kern, der unerbittlich feierte. Auf den kleineren Bühnen wie der Weingarten Stage by Allianz sah das trotzdem gut aus, wie bei Pacifica, während das Stadion hin und wenig während den Nachmittagsstunden ein bisschen verloren aussah und klang.
Der größte Rockact des Wochenendes stand mit Nothing But Thieves ins Haus, die die südliche Hauptbühne vor einem gewissen Mann mit Pandamaske rockten. Cro’s letzte Sommershow wurde sowohl von Skydancers als auch von den Rappern badchieff sowie Wilson unterstützt. Das sommerliche Wetter sorgte dafür, dass der Musiker das Bedürfnis hatte seine Wasserflasche an die erste Reihe weiterzuwerfen, nur dort wollte sie leider niemand fangen. Schließlich standen dort schon die Fans von SEVENTEEN bereit, die eigentlich schon seit Beginn des Festivals sehnsüchtig auf ihre K-Pop-Formation warteten. An dieser Euphorie für die Südkoreaner konnte der deutsche Rapper herzlich wenig ändern, wenngleich er seine Sache überraschend gut machte. Titel wie „Bad Chick“ oder „Von 9 bis 9„, welches von SIRA und Bausa ausgeliehen wurde, sorgten für Stimmung im Publikum. Ansonsten wurde recht lässig vor der Bühne getanzt. Am Ende des Sets sorgte noch eine süße Geste für Freude: Zu „Einmal um die Welt“ ließ Cro Kinder auf der aufgestellten weißen Hüpfburg im hinteren Bereich der Bühne hüpfen. Mit dem Gefühl der „Unendlichkeit“ wurde das Set im Geiste des Festivalsfeelings vollendet.
Für den Fall, dass einem K-Pop nicht zusagte, konnte man bei Medusa auf der Electro-Stage vorbeischauen. Eine interessantere Alternative dürfte aber mit Christopher gegeben gewesen sein, seines Zeichens dänischer Popstar. Falls euch der Musiker aber optisch irgendwie bekannt vorkam, dürfte es daran gelegen haben, dass er letztes Jahr mit dem romantischen Musikfilm „A Beautiful Life“ sein Schauspieldebüt gab. Die Ehre das Festival abzuschließen oblag Sam Smith sowie den Chainsmokers. Der Auftritt von letzteren war heiß erwartet, da der Gig beim vorherigen Heidepark Festival ausgefallen war. Das Produzenten-Duo ließ nichts anbrennen und brachte das Lollapalooza 2024 sowie den dazugehörigen Festivalsommer mit jeder Menge bekannten Melodien sicher nach Hause. Mit dem Ende des Festivals wurde der Termin für die Jubiläumsausgabe nächstes Jahr bekanntgegeben, der vom üblichen Rhythmus abweicht: Wir sehen uns am 12. und 13. Juli 2025 in Berlin wieder.
Bilder vom Sonntag gibt es hier.
Fotocredit: Adina Scharfenberg