Der zweite Tag beim Hurricane Festival in Scheeßel erwartete seine Besuchenden heiß und vollgepackt mit musikalischen Highlights. Unser Tag startete mit einem Kraftpaket aus Großbritannien. Die Nova Twins spielten am frühen Nachmittag auf der River Stage und was sollen wir sagen? Während des derart kraftvollen Auftakt der beiden Londonerinnen machten wir uns schon Sorgen, dass nach den beiden niemand anderes mehr auf der blauen Hurricane-Bühne spielen könnte. Die beiden Frauen haben so viel Power gegeben, dass der Rückschluss, dass sie gekommen sind, um die Bühne abzureißen, der einzig zulässige war. So viel Energie wurde unter der brütenden Sonne freigesetzt, dass diese erst einmal in Tanzwut umgewandelt werden musste. Viele sich bewegenden Menschen sorgten für die ersten Staubwolken des Samstages, die uns den Rest des Tages treu begleiten sollten. Mit so einem krassen Auftritt manifestierten Nova Twins ihre fundamentale Livestärke.
Weiter ging die wilde Fahrt mit der Formation Blond, die ihr neues Album „Ich träum doch nur von Liebe“ im Gepäck hatten. Typisch provozierend fragten sie das Hurricane Festival, um es besser kennenzulernen, ob es sich selbst lecken könne. Denn diese Fähigkeit käme, wenn man das neue Album regelmäßig vier Mal am Tag zwei Wochen lang hört. Passend dazu präsentierten sie sieben von neun Songs des neuen Albums, unter anderem „Ich wär so gern gelenkiger„, „16 Jahr, blondes Jahr“ oder auch „so hot„. Dementsprechend musste auch Johann angebetet werden, der bis zu seiner Strophe bei „Bare Minimum“ schwieg und rockstarmäßig rauchte. Danach kam schon das große Finale. Nina wünschte sich eine Wall of Love, während Lotta eher einen Circle Pit bevorzugt hätte, also macht das Publikum einfach beides: eine breite Gasse in der Mitte des Geländes mit ovalem Circle Pit. Zur Freude aller Beteiligten stand ein Langnese Stand im Zentrum der Gefahren, auf den aber kollektiv Rücksicht genommen wurde. Zum Gipfel der Ekstase bei „Männer“ kamen dort wieder alle zusammen und sprangen glücklich zusammen. Genauso muss sich ein Blond-Konzert anfühlen!
In der Folge ließ sich feststellen, dass sich das Gelände kontinuierlich füllte und so gut wie alle Besuchenden zur roten Bühne strömten. Dieser Umstand hatte genau einen Grund namens Zartmann. Wie schon in der Vergangenheit, zum Beispiel bei Kummer zu sehen war, kam die Mountain Stage an ihre Kapazitätsgrenzen. Deswegen haben wir unseren Konzertbesuch ebenfalls abgebrochen und uns die „Kontra Ks des Punk-Bereiches“, also Swiss & die Anderen angeschaut. Das Problem um die schlauchartig angelegte, kleinste Bühne des Festivals ist bekannt. Wie es bei der Pressekonferenz aus Veranstalterkreisen hieß, war im Vorfeld geprüft wurden, ob man auf die River Stage hätte hochverlegen können, welches leider nicht möglich zu machen war. Schade, dann hätte man sich eventuell dixidivende Menschen ersparen können. Allerdings ist dies der einzige Punkt, der auf der Kritikliste steht. Alles in allem erlebten die Zuschauenden bis hierher ein ausgesprochen harmonisches und angenehmes Festival, welches sich auch in äußerst niedrigen Einsatzzahlen von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften widerspiegelte. Da sich dies im weiteren Verlauf des Wochenende nichts ändern sollte, konnte man organisatorisch von einem vollen Erfolg sprechen. Die Vielzahl an glücklichen Gesichtern, die man beobachten konnten, sprachen für sich.
Ein weiterer Grund für überschwänglich gute Laune lieferten die Headliner des Festivals, die ihre Sache insgesamt großartig machten, am Samstagabend vertreten durch Electric Callboy. Der erste Song „Elevator Operator“ muss wie Ostern und Weihnachten gleichzeitig für die für Pyrotechnik verantwortliche Person gewesen sein. Gefühlt feuerten sie während dieser ersten drei Minuten alles ab, was die Bühne zu bieten hatte – und das mit Erfolg, denn das Publikum war von Anfang an Feuer und Flamme. Die Stimmung holte die Menschen auf dem Infield sowie den beiden Tribünen sofort ab. Es wurde ausgelassen miteinander getanzt und gesprungen, sodass sich zunehmend dunkle Staubwolken übers Gelände legten. Aufgrund geringer Luftfeuchtigkeit und faktisch keinem Wind entstand eine nahezu mystische an Nebel anmutende Atmosphäre. Die Lücke, die David Friedrich am Schlagzeug hinterließ, wurde von Frank Zummo, ehemals Sum41, geschlossen. Dementsprechend interpretierten Electric Callboy ihre Version von „Still Waiting„, die dem Original in nichts nachstand. Beim Stichwort Cover sind sind zudem „Crawling“ von Linkin Park sowie „I Want It That Way“ von den Backstreet Boys zu nennen, die in bester Lagerfeuermanier begleitet durch Akustikgitarre. Zum Abschluss wurde es jedoch noch einmal wilder und anhand der Crowd Control konnte sicher festgestellt werden, dass die Methode den meisten Staub aufzuwirbeln definitiv daraus bestand, die Masse acht Schritte nach links und rechts springen zu lassen. Sänger Nico traf es auf den Punkt, in dem er zum Abschluss anerkannte, dass sich das Wort „Danke“ zu gering für diesen denkwürdigen Auftritt anfühlte.
Bevor Apache 207 die Partynacht mit ordentlichen Bässen und niedlicher Geste in Richtung seiner Freunde und Freundinnen, die auf einer Hebebühne auf der Bühne den Anfang des Konzertes mitfeiern konnten, gab es etwas Spannendes zu beobachten: Zeitgleich spielten die Elektropunk-Legenden von The Prodigy mit der aktuell angesagten Dresdener Rapcrew 01099. Hier bahnte sich das Gefühl an, dass nicht nach Musikvorliebe entschieden wurde, welchen Act man besucht, sondern eindeutig nach Alter. Grob ließ sich feststellen, dass es die Mehrheit, dessen Geburtsjahr mit einer 1 begann, zu The Prodigy zog, während viele, die offensichtlich nach dem Millennium geboren wurden, bei 01099 feierten. Natürlich ist dies eine überspitze Verallgemeinerung, verdeutlicht aber ganz gut die beiden angesprochenen Zielgruppen. Positiv zu vermerken dabei bleibt, dass beide Bands ihrem Publikum zur Euphorie verhelfen konnten. Damit ist der Timetable nicht nur an dieser Stelle, sondern insgesamt sehr gut aufgegangen und man hatte sehr wenig Überschneidungen für ein Publikum.

Zu den Tribünen sollte noch ein Wort verloren werden. Dieses Jahr hatte das Hurricane Festival das erste Mal die Telekom als Partner an der Seite. Die Kooperation sicherte neben besagter Tribüne den Live-Stream ausgewählter Künstler und Künstlerinnen sowie eine Verbesserung des Handynetzes. Letzteres konnten wir freudig selbst bestätigen. Fraglich blieb jedoch, ob wirklich die Telekom zu dem besseren Empfang beigetragen hat oder doch eher die rund 15.000 Besuchenden, die vermisst wurden. Denn mit rund 65.000 statt der erwarteten 80.000 war das Festival alles andere als ausverkauft. Die anwesenden Gäste konnten sich jedoch darüber freuen, dass man beispielsweise fast nie für den ersten Wellenbrecher auf der River Stage anstehen musste, wie es sonst immer der Fall war. Die geringere Besucheranzahl tat der Stimmung jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil wurde die Musik selbst bei gleißendem Sonnenschein kollektiv gebührend gefeiert und sorgte so für einen spektakulären Tag Nummer 2.
Fotocredits: Jan Sebastian Tegelkamp (Titel) & Kevin Randy Emmers