Mit „West-Berlin“ legt Prinz Pi ein Werk vor, das seine Beobachtungen und Erfahrungen aus vier Jahrzehnten in der Hauptstadt verdichtet. Das Album ist kein nostalgischer Blick zurück, sondern eine durchdringende Reflexion darüber, wie sich persönliche Geschichten und gesellschaftliche Entwicklungen überlagern, überkreuzen und gegenseitig verstärken. Wer Prinz Pi schon länger begleitet, erkennt sofort: Diese Platte will nicht gefallen – sie will verstanden werden.
Seit seinen Anfängen als charismatischer Freestyler mit verkopftem Anspruch ist Pi gereift. Im Vergleich zu früheren Alben wie „Rebell ohne Grund“ oder „Kompass ohne Norden“ ist „West-Berlin“ ruhiger, aber dafür tiefgreifender. Die frühere jugendliche Rebellion hat sich nicht verflüchtigt – sie ist heute nur differenzierter. Wo früher Floskeln von Außenseitertum und Selbstbehauptung dominierten, herrschen heute Töne der Resignation, Selbstbeobachtung und gesellschaftlicher Entfremdung.
Thematisch knüpft das Album an „Im Westen nix Neues“ an, doch während jenes Werk versuchte, ein Zeitgefühl zwischen Melancholie und Pathos greifbar zu machen, wagt „West-Berlin“ den Schritt weiter hinein ins Fragmentarische. Es verzichtet auf klare Antworten oder musikalische Haken, stattdessen lotet es Zustände aus: Unsicherheit, Müdigkeit, Zerrissenheit. Diese Ambivalenz wird von vielen Künstler*innen versucht – Prinz Pi gelingt es dabei auf eine Weise, die nicht anbiedert, sondern zum Zuhören zwingt.
Musikalisch bleibt er seinem Stil weitgehend treu: reduzierte Beats, atmosphärische Arrangements, gezielte Features (Pero & SDP) Und doch klingt „West-Berlin“ anders als frühere Alben – weniger hymnisch, weniger beatgetrieben, mehr wie ein Tagebuch, das man mit halboffenen Augen liest, bevor man selbst loszieht in eine zu große, zu schnelle Stadt.
Was bei früheren Platten wie „Nullpunkt“ oder „Nichts war umsonst“ mitunter ermüdete – die Vorliebe für lyrische Überfrachtung, der Hang zum Pathos – ist hier präziser. Pi ist reifer geworden. Er predigt nicht mehr, sondern schildert. Er weiß, dass das Erklären oft zu kurz greift, wenn die Realität längst komplexer geworden ist.
Das Album ist kein Album für einen lauten Freitagabend. Es ist kein Opus, das sich beim ersten Hören erschließt. Aber es ist wahrscheinlich das ehrlichste Werk, das Prinz Pi seit Jahren veröffentlicht hat. Und in einer Zeit, in der viele Künstler*innen nur noch algorithmische Relevanz jagen, wirkt dieses Album wie ein wohltuender Bruch mit dem Erwartbaren.
Fotocredit: Lukas-K. Stiller