Nach dem Electro-Festival Fairground kündigte sich mit Billy Talent der zweite musikalische Programmpunkt des ersten Dezemberwochenendes in Hannover an. Die ersten zwei Drittel der „Crisis Of Faith“-Tour wurden mit dem Konzert am Sonntagabend abgeschlossen. Nach langem Warten konnte Deutschland die Alternative Rockband seiner Wahl endlich wieder in ihrer zweiten Heimat begrüßen. Im Gepäck hatten die Kanadier theoretisch ihr neustes Werk, welches Anfang des Jahres erschien (und wir im Interview mit Ian D‘Sa besprachen), aber die Fans zeigten sich auch bei den älteren Stücken auch hocherfreut.
Den Anfang zelebrierte das Berliner Trio Pabst mit seiner unverkennbaren Interpretation von Garage/ Rock. Die Band, die nicht nur wegen der Hello-Kitty-Gitarre da war, machte ihre Sache gut und lieferte einen satten Sound, in dem Bass und Schlagzeug fein herausgearbeitet wurden. 30 Minuten lang wurde dem Hannoveraner das Warmmachen nach Pabst Art in Form von wahlweise Hinsetzen sowie einer Wall Of Death serviert. Die zweite Support-Runde wurde von Folk-Punkrocker Frank Turner und den Sleeping Souls eingeleitet. Der spitzbübische Sänger hatte eine Wette verloren und musste zur Strafe komplett auf Deutsch moderieren, was er bravourös meisterte. Die Männer schafften es auf ihrem 2713ten Konzert das Publikum mit ihren sympathischen Art anzustecken und für sich zu gewinnen. Die 50 Minuten vergingen mit dieser guten Laune wie im Flug.
Dass nicht nur das Publikum, was die Swiss Life Hall komplett ausverkaufte, heiß auf die Show war, konnte man an dem Fakt ablesen, dass die Band sich zehn Minuten früher als angekündigt auf die Bühne schlug. Ian eröffnete das ganze Spektakel mit seinem Gitarren-Solo zu „Devil in a Midnight Mass“ und es gab kein Halten mehr. Fans der ersten Stunde wussten bereits bei diesen ersten Akkorden was in den nächsten 100 Minuten auf uns hernieder prasseln würde und das war nichts anderes als die geballte Energie von Billy Talent. Gerade in der Mitte der Halle entstand eine riesige Tanzzone, in die wir uns später auch noch hereinwagten. Doch zunächst fiel auf, dass in der ersten Hälfte der 21-Song starken Setlist, gerade mal drei Songs vom namengebenden neuen Album zu finden waren („I Beg to Differ„, „Hanging Out with All the Wrong„, „The Wolf„). Die vorhandene Mehrheit gehörte eher zu den Klassikern der Band und wurde von den Fans auch innig geliebt und zelebriert. Im Endeffekt war „Billy Talent II“ häufiger vertreten als „Crisis of Faith„. Gestört hat dies an diesem Abend sicherlich niemanden, denn alle Anwesenden waren mit Herzensblut dabei. Somit war es vielleicht nicht ganz die Albumtour, die man erwartete, doch Billy Talent sind damit ziemlich sicher ihrem Publikum gerecht geworden, das auch gebührend eskalierte.
Tatsächlich war „The Wolf“ dann das erste ruhigere Stück, was über die gut eingestellte und generell laute Anlage zu hören war, nachdem „Rusted From the Rain“ das Ende der ersten energievollen Phase markierte. Somit konnte der neuere Track kurz genutzt werden, um durchzuatmen, sich die Schuhe zuzubinden und sich auf die nächste Kolonne einzustellen. Denn das Quartett ging keine Kompromisse ein und haute am laufenden Band raus. Die Energie war so krass in der Halle spürbar, sodass wir uns ihrer auch nicht mehr erwehren konnten und uns mit ins Getümmel stürzten. Man kann es nicht anders sagen, dass es so überwältigendes Gefühl war nach so vielen Monaten der sozialen Distanz wieder gemeinsam mit anderen Menschen zu springen und zu tanzen. Nach einer guten dreiviertel Stunde war nicht mehr nachvollziehbar, ob das Frontstage Magazine T-Shirt vom eigenen Schweiß oder dem der anderen Menschen klatschnass war. Feststand auf jeden Fall, dass sich jede Minute davon lohnte und wieder Lust auf Live-Musik machte. Um diesen Auftrag zu manifestieren, konnte es auch keine bessere Band als Billy Talent geben. Im Finale, was für eine verlängerte Spielzeit ohne Zugabe auskam, ging es mit fünf alten Liedern noch einmal ans Eingemachte. Die Jungs bekamen noch einmal jeweils die Möglichkeit ihr Können und eingespielte Expertise unter Beweis zu stellen und auch der neueingestellte Schlagzeuger Loel Campbell machte eine solide Figur.
Die Fans haben an diesem Abend also genau die energiegeladene Band mit vielen Songs von früher bekommen, die sie so lieben und konnten völlig darin aufgehen. Wenngleich es vielleicht zu wenig Tracks für die gleichnamige Tour waren, so haben die Kanadier dennoch wirklich alles richtig gemacht und ihre Zuschauer*innen gingen allesamt komplett verschwitzt, halbtaub und überglücklich nach Hause. Nach wie vor gilt, wenn ihr die Chance habt Billy Talent live zu erleben, lasst es euch nicht entgegen. Es ist auch kanppe 30 Jahre nach ihrer ersten Bandgründung noch ein Fest.
Fotocredit: Kevin Randy Emmers