Am 24. September sind Marathonmann Co-Headliner beim Rocken-Hilft-Festival in der Essener Weststadthalle. Beim Weekend One des Vainstream Festivals trafen wir zwei der Jungs auf einen kleinen gemütlichen Plausch. Wie es der Band nach einer so langen Zeit Bühnenabstinenz ergeht und warum das Leben nicht immer nur Konfetti regnen lässt, verrieten uns Sänger Michi und Drummer Jo im Interview.
Frontstage Magazine: Es sind jetzt mehr als zwei Jahre vergangen, in denen Corona mal mehr, mal weniger eine Hauptrolle spielte. Nun flacht alles ein wenig ab und ihr dürft endlich wieder die Bühnen dieser Welt erklimmen und ordentlich rocken. Wie geht es euch damit, endlich wieder auf Festivals zu spielen, zu feiern und rausgehen zu können?
Michi: Als Corona kam, mussten wir unsere Tour abbrechen und waren erstmal ziemlich im Eimer. Wir haben uns davon aber nicht runterkriegen lassen und entschieden, unsere Songs zu Akustikversionen umzuarrangieren. So wechselte Johnny ans Klavier und wir bekamen tatkräftige Unterstützung von einer Geigerin und einer Cellistin. Mit diesen Songs im Gepäck, spielten wir in der Coronazeit eine Akustiktour, auf der wir live aufnahmen und aus den Mitschnitten eine Akustik-Live-Platte entstand, die sehr gut ankam – sogar mit Charteinstieg. Zwar konnten wir keine lauten Konzerte mehr spielen, aber trotzdem war die Party bei den Akustik-Shows deutlich spürbar. Da wir viel an dem Akustik-Projekt arbeiteten, aber auch an unserer neuen Platte schrieben, war die Band in der Coronazeit für uns nicht lahmgelegt und es war immer etwas los, obwohl eigentlich nichts los war. Unsere Projekte halfen uns dabei, uns immer wieder zu motivieren. Auch die kleine Akustiktour trug ihren Teil dazu bei, weil das Touren trotz Abstand, Maskenpflicht und Sitzkonzerten überhaupt möglich war. Allein das tat uns supergut. Wir haben in der Zeit aber auch viel über uns und die Band herausgefunden. Wie zum Beispiel, dass wir mit unseren Songs auch leise Konzerte spielen können oder die Leute sehr stark auf unsere Texte hören und sie die Emotionen der Lieder auch akustisch wahrnehmen und toll finden. Aus all jenem konnten wir neue Energie schöpfen. Klar mussten wir nun auch ein paar Festivals absagen, weil es uns nun auch erwischte. Das war natürlich super ärgerlich, weil wir uns sehr darauf gefreut haben, mal wieder laut auf Festivals zu spielen – wie Rock am Ring zum Beispiel. Das Vainstream war die erste Show, auf der wir das erste Mal wieder gefühlt haben, was Marathonmann eigentlich auszeichnet und was wir an Stimmung wollen. Bei unserem Gig sind wir förmlich explodiert. Ich glaube, das hat man nicht nur im Publikum gemerkt, sondern auch innerhalb der Band. Glücklicherweise hat uns Corona nicht so fertig gemacht. Oder, Jo?
Jo: Ne. Die Akustiksache hat uns auf jeden Fall vor ‘nem Loch gerettet. Klar haben wir zwischenzeitlich auch geschrieben, telefoniert und kleine Durchhänger innerhalb der Band gemerkt, weil Konzerte und Shows coronabedingt doch wieder abgesagt und verschoben werden mussten. Aber dadurch, dass wir das Akustikalbum hatten und in der Songwriting-Phase waren, bewahrte es uns davor, in ein Loch zu fallen.
Michi: Vor allem so ‘ne Aufgabe. Vor Corona hätten wir nie gedacht, jemals eine Live-Platte rauszubringen.
Jo: Live – und Akustik.
Michi: Genau. Für uns schien das vorher vollkommen absurd. Es war für uns Glück im Unglück: Nicht nur, weil wir unsere Songs in Akustikversionen umschrieben, sondern auch Menschen kennenlernten, wie unsere Geigerin Saskia und unsere Cellistin Lisa. Außerdem konnte Johnny mal wieder seine Skills am Klavier unter Beweis stellen. Und ich spielte anstatt Bass Akustikgitarre. Auch für mich war das total cool. Nervig waren die Verschiebungen und Absagen. Aber mit der Zeit haben wir uns damit arrangiert, weil wir ja zumindest unsere Akustiktour spielen konnten.
Jo: Das war wirklich das Beste, was man aus diesen Momenten rausholen konnte. Reguläre Shows mit Abstand, Maske und Sitzen wollten wir halt nie. Aber in dieser Akustikformation hat es total gut gepasst. Die leisen Konzerte waren auch voll okay für uns und haben sich nicht wie Corona-Shows angefühlt, sondern wie gemütliche Akustik-Sessions. Als ich vorhin an der Seite der Bühne stand und das Menschenmeer sah, wirkte für mich alles noch ein bisschen surreal. Aber es ist schön, dass so langsam wieder ein bisschen mehr Normalität einzukehren scheint.
Frontstage Magazine: Welche Learnings könnt ihr für euch aus dieser Zeit mitnehmen?
Michi: Auf jeden Fall nicht aufzuhören, sondern weiterzumachen und zu versuchen, aus dem Schlechten etwas Gutes rauszuholen. So fing es bei uns auch an: Ich habe mich mit Johnny getroffen und wir haben uns für ein Akustikset entschieden, um den Leuten zu zeigen, dass wir noch da sind. Auch um ein Zeichen zu setzen, dass auch die Mucke noch da ist. So haben wir nicht aufgegeben, sondern das Beste aus der Situation herausgeholt. Wir wollten damit auch zeigen, dass gerade alles nicht so super ist, aber es schon irgendwie weiter geht. Ich finde, das haben wir auch super gemeistert. Musik ist immer da und hilft auch aus schlechten Zeiten heraus. Wir hatten in der Corona-Zeit paradoxerweise so viel zu tun, es hat uns und den Leuten auf den Konzerten so viel Spaß gemacht – und das Feedback zu unseren Akustikversionen und -Sessions war durchweg positiv.
Jo: Uns war es einfach wichtig, uns Alternativen zu überlegen. So viele Bands haben sich gesagt: „Wir können keine Shows spielen – okay, dann machen wir halt einfach nichts.“ Da keiner absehen konnte, wie lange dieser Zustand noch anhält, war es für uns keine Option, einfach nichts zu machen. Irgendwann bist du auch einfach weg vom Fenster. Und gerade in einer so schnelllebigen Zeit musst du immer am Ball bleiben und den Leuten irgendwas geben und irgendwas Neues präsentieren, weil du sonst in Vergessenheit gerätst.
Frontstage Magazine: Nun engagiert ihr euch auch für Rocken Hilft und seid Co-Headliner beim Rocken-Hilft-Festival. Wie kam es zu eurem Engagement?
Jo: Rocken Hilft machte uns auf ihre Initiative aufmerksam. Sie erzählten uns, dass sie unsere Musik besonders wegen den Texten sehr schätzen, sie ihnen Mut machen und Kraft spenden. Da Rocken Hilft insbesondere auf Menschen mit psychischen Erkrankungen aufmerksam macht und mit Aufklärungsarbeit versucht, Angst und Vorurteile abzubauen, wollten wir das Projekt gerne mit einem aufmunternden Statement und unserem Gig auf dem Festival unterstützen. Deshalb haben wir bei der Anfrage nicht lange gezögert.
Michi: Das Thema der mentalen Gesundheit ist einfach noch ein viel zu krasses Tabu-Thema. Es braucht einfach mehr Raum und muss mehr angesprochen und endstigmatisiert werden. Wir sehen es bei vielen befreundeten Menschen, denen es schlecht geht und sie sich nur wenig zu ihrem Befinden äußern, weil sie Angst haben, dass es falsch aufgefasst wird. Man sollte die depressiven Verstimmungen allerdings nicht auf die leichte Schulter nehmen, weshalb wir es schon wichtig finden, dass man da so viel wie möglich drüber spricht und solche Initiativen wie Rocken Hilft tatkräftig unterstützt.
Frontstage Magazine: Welche Rolle spielt soziales Engagement in eurem Bandkontext?
Michi: Als Band sind wir ja schon ein bisschen wie ein Sprachrohr und haben deshalb auch eine gewisse Verantwortung. Das gilt auch für die Texte, die ich schreibe. Wenn die Leute zu einem unserer Konzerte kommen, versuche ich, sie nicht zu belehren oder ihnen irgendwelche Meinungen aufzudrücken. Denn ich komme aus einer Zeit, in der es noch sehr stark um die Musik und das Gefühl der Musik geht. Es geht uns bei unseren Texten nicht darum, dass sie möglichst eindeutig sind, sondern dass sich die Leute in ihnen verlieren und sie sie mit ihren eigenen Storys verknüpfen. Wer unsere Texte hört und versteht, weiß ganz genau, wo wir positioniert sind und was wir damit ausdrücken möchten. Bei unseren Shows sehen wir immer das große Ganze und fokussieren uns auf die Musik, anstatt Parolen ins Publikum zu schreien. Wenn es jemandem nicht gut geht, weil zum Beispiel eine Beziehung in die Brüche ging, trifft er seine Freunde und geht zusammen mit ihnen zum Marathonmann-Konzert. Besonders dann möchten wir ihm eine gute Zeit mit seinen Liebsten, uns und der Musik bescheren. Deshalb steht bei unseren Konzerten meistens unsere Musik und das Gefühl im Vordergrund, dem Alltag für einen kleinen Moment entfliehen und in der Musik abtauchen zu können. Aber wenn wir etwas zu sagen haben, sagen wir es. Wenn wir uns positionieren müssen, positionieren wir uns. Denn Bands sind ein Sprachrohr und haben einen gewissen Impact. Auf unseren Konzerten ist es uns aber besonders wichtig, dass jeder dabei eine gute Zeit hat.
Jo: Ich sehe uns in dem Sinne als Sprachrohr, als dass wir die Leute mit unserer Musik auffangen, wenn es ihnen nicht gut geht. So viele Leute kommen auf uns zu und sagen: „Ich habe eine schlechte Zeit, aber eure Show hat mir so viel Kraft gegeben.“ Es rührt uns schon sehr, wenn die Menschen uns erzählen, dass sie vor der Bühne standen und Gänsehaut hatten oder bei einzelnen Songs weinen mussten, weil sie mit ihnen so viel verbinden. Das sind für uns sehr emotionale Momente, in denen auch wir einen Kloß im Hals haben. Es macht uns einfach so unendlich glücklich, Menschen mit unserer Musik helfen zu können.
Frontstage Magazine: Wer eure Texte kennt weiß, dass sie hier und da doch recht düster sind. Findet ihr es wichtig zu kommunizieren, dass das Leben nicht nur Konfetti regnen lässt, sondern auch mal ein echtes Arschloch sein kann?
Michi: Ja, definitiv. Wir wissen ja alle, dass das Leben nicht nur immer schön ist. Mit unseren Texten möchten wir genau das zeigen, aber auch, dass es immer weitergeht – auch wenn es manchmal bedeutet, mutig zu sein, sich gegenüber anderen aufzuschließen und sich Hilfe zu holen. Denn das ist keine Schwäche. Eher im Gegenteil: Es zeugt von sehr großer Stärke! Ich schreibe gerne etwas düstere Texte, weil dieses „Halli-Galli-Drecksau-Party“ einfach nicht der Realität entspricht und die Menschen auch nicht so viel daraus mitnehmen können, als wenn ich mit meinen Texten zum Nachdenken anrege. Es muss einfach immer eine gewisse Melancholie und Düsternis mit dabei sein, um in ihnen etwas auszulösen, finde ich.
Jo: …Aber es schwingt bei unseren Songs auch immer eine gewisse hoffnungsvolle Note mit.
Michi: Genau. Am Ende unserer Songs machen wir nie einen harten, ausweglosen Cut, sondern Mut und vermitteln, dass die aktuelle Situation zwar gerade vielleicht nicht so geil ist, aber es immer weiter geht. Einer unserer ältesten Songs „Wir sind immer noch hier“ beschreibt zum Beispiel, dass der Leuchtturm einstürzt und das Echolot aufgibt. Der Refrain spendet Mut und animiert zum Aufstehen und Weitermachen. Es geht immer weiter. That‘s how life is. Und das ist auch gut so.
Frontstage Magazine: Apropos Kraft schöpfen, aufstehen und weitermachen: Was sind eure Wünsche, Ziele und Pläne für die nächste Zeit?
Michi: Wir sind gerade im Studio und nehmen ein neues Album auf, das nächstes Jahr erscheinen wird. Wir werden unseren Stil etwas verändern, aber textlich so melancholisch und aufbauend bleiben wie bisher. Wenn sie fertig ist, wird die Platte im 80er-Jahre wavigen Synthie-Pop-Rock anzusiedeln sein.
Jo: Von Album zu Album haben wir uns musikalisch immer weiterentwickelt und viel ausprobiert. Aber das neue Album klingt wirklich ganz anders als das, was wir bisher gemacht haben.
Michi: Meine Stimme schlägt natürlich sehr die Brücke – und natürlich sind auch Rocksongs drauf. Aber wir wollten einfach mal was anderes machen. Nicht nur, weil das gerade in ist, sondern weil wir einfach als Band fühlen, dass es Zeit für etwas Neues ist. Deshalb gehen wir nun mal einen ganz neuen Weg. Das Recording und der ganze Prozess dahinter sind neu für uns; und das tut uns gerade sehr gut. Vor allem die Spannung darauf, was die Leute wohl sagen werden, wenn die erste Single rauskommt, fühlt sich an, als hätten wir uns gerade frisch gegründet und stünden vor dem Release unseres Debütalbums. (lacht) Dann spielen wir noch einige Festivals, wie das Rocken-Hilft-Festival in Essen, – und unsere März-Tour mit Sperling und Kind Kaputt steht auch noch auf unserer Agenda. Wir sind einfach sehr gespannt und freuen uns riesig auf das, was in der nächsten Zeit noch so vor uns liegt.
Frontstage Magazine: …Und zum Schluss noch einen kleinen Kreativitätstest für euch:
Rocken Hilft, weil…
Jo und Michi: …Rocken hilft!
Ihr möchtet Marathonmann unbedingt (noch)mal live erleben und gleichzeitig etwas Gutes tun? Dann schaut unbedingt beim Rocken-Hilft-Festival am 24. September in der Essener Weststadthalle vorbei. Neben Marathonmann dürft ihr euch außerdem auf Bands wie Our Mirage, Venues, The Disaster Area und einem richtig fetten Secret Headliner freuen. Tickets und weitere Informationen findet ihr unter: https://www.rockenhilft-festival.de/
Fotocredit: Tim Schwöbel