Es ist schier unmöglich eine passende Beschreibung für Fynn Kliemann zu finden, da es einfach zu viele gibt. Die breiten Masse wurde er durch „Heimwerkervideos“ auf YouTube bekannt. Allerdings ist er viel mehr als das – er produzierte faire Mode, hat das Hausboot von Gunter Gabriel zusammen mit Olli Schulz umgebaut und hat irgendwann nebenbei den deutschen Musikmarkt umgekrempelt, indem er seine Musik sehr erfolgreich selbst auf den Markt gebracht hat. Nach den beiden Alben „NIE“ und „POP“ erschien im Dezember das Doppel-Album „NUR“, das eine Art „Best Of“ der Lieblingssongs der beiden Vorgängeralben in einem neuen Gewand ist. Anlässlich dessen haben wir ein kleines Interview mit Fynn geführt und unter anderem mit ihm über seine Musik, das aktuelle Album „NUR“, Kritik und den Umgang mit „Hasskommentaren“ gesprochen.
Frontstage Magazine: Wie geht es dir?
Fynn Kliemann: Ganz gut, ganz gut. Heute war schon ein wilder Tag und wir haben drei Bahnen besorgt – 3 Straßenbahnen. Die wurden gerade oder werden gerade geliefert. Für so ein aberwitziges Projekt. Da ist jetzt ein bisschen Trubel im Kliemannsland.
Frontstage Magazine: Habt ihr dann überhaupt noch Platz?
Fynn Kliemann: Klar, da sind vier Hektar. Wir haben einen großen Hof.
Frontstage Magazine: Sehr schön. Kommen wir zu deinem Album. Wie entstand die Idee zu „NUR“?
Fynn Kliemann: Wenn du Musik machst, dann fängt das immer ganz klein an. Also, Musik ist am Anfang ganz klein. Du hast ein Piano, eine Stimme und das wars. Und dann während der Produktion geht im Grunde voll viel davon verloren. Und es kommt immer noch was dazu. Ich finde es manchmal cool, es wieder auseinander zu reißen und wieder zurück zu dieser Basis zu kommen. So ist dieses Piano Ding entstanden und als Kontrast dazu einfach sehr krass überproduziert, wieder von anderen interpretiert – diese Elektro Remix Seite. Das heißt du hast beide Welten, einmal ganz laut und einmal ganz leise.
Frontstage Magazine: Wie kam es zu der Auswahl an Songs? Die meisten der Songs stammen vom Album „POP“.
Fynn Kliemann: Ich habe einfach eine Gesamtübersicht gemacht und gesagt, guck mal was eignet sich jetzt am besten. Bei der Piano Version geht es eben darum „was hat eine Melodie, die gut funktioniert?“ Was ist das, was ich gerne mal so gestrippt hören möchte? Bei den Remixen haben die Leute tatsächlich selbst entschieden. Ich habe denen alle Songs rübergeschickt und gesagt: „Hier! Sucht euch aus worauf ihr Bock habt.“ Ab da bin ich dann sozusagen raus. Die produzieren dann daraus einen Song und haben dann genommen, was am besten passt.
Frontstage Magazine: Aber es war schon auffällig, dass 8x Songs von „POP“ vertreten ist.
Fynn Kliemann: Ach krass. Okay, gut aufgepasst, keine Ahnung, habe ich nicht mal auf dem Schirm.
Frontstage Magazine: Warum bestehen die Titel deiner Alben immer aus Wörtern mit drei Buchstaben? Zufall oder Absicht?
Fynn Kliemann: Natürlich Absicht. Alles bei Musik ist Absicht, weil das ist die einzige Sache in meinem Leben ist, die ich von der ersten bis zur letzten Sekunde wirklich durchplane. Das wird sich in den nächsten Jahren irgendwann offenbaren, warum und wie es weitergeht. Die Aneinanderreihung von allen Werken ergibt irgendwann nach vielen Jahren Sinn.
Frontstage Magazine: Also geht es auch weiter? Wenn man bei instagram sieht, wie du dein Studio auseinander baust, dann wirkt es so als wäre das Kapitel beendet.
Fynn Kliemann: Ja. Es ist er auch nur ein Ort. Ich habe das Gefühl, der Grund war einfach, dass wenn man lange in einem Raum Musik macht, dann ist der irgendwann so verbraucht… Also, ich dachte früher, das wäre so ein „künstlerisches Blabla“, was Leute immer sagen „ja, der Raum ist tot und ich kann hier nichts mehr machen“ und da dachte ich immer: „Du Spinner. Jetzt setz dich da rein und mache Musik!“ Aber, irgendwie ist da was dran, dass wenn man immer an dem gleichen Ort sitzt, dann ist daran auch ein bisschen die Kreativität gebunden. Wenn dieser Ort tot gespielt ist, weil du in diesem Raum alles schon erlebt und gesagt hast, dann muss man sich einen anderen suchen. So ist bei mir auch. Ich habe dort so viele Stunden meines Lebens verbracht. Hier steckt keine Geschichte mehr drin, da muss man irgendwie wechseln. Aber ohne Musik kann ich gar nicht leben, es klingt ein bisschen abgedroschen, aber es ist tatsächlich so. Es ist wie so eine kleine Sucht. So wie Leute süchtig werden nach Laufen oder Trainieren kann man glaube ich auch extrem nach Musik süchtig sein. Dass du sagst „ich brauche das einfach so, ich muss hier sitzen können und ich muss auf irgendwas rumdrücken und dann muss ein Ton rauskommen.“ Das mache ich seitdem ich ein Baby bin und ich glaube es wird sich nie verändern.
Frontstage Magazine: Von deinen eigenen Sachen hast du da einen Lieblingssong?
Fynn Kliemann: Ich finde es immer sehr schwer. Wenn ich ein Album gemacht habe, höre ich die Sachen kaum noch. Das ist ja wirklich eher selten. Ich habe jetzt in den letzten Tagen sehr oft den Remix von Farhot gehört. Ich finde den Remix von Yassin auch geil. Ich mag die alle, aber so ein paar Sachen, die höre ich mir tatsächlich einfach in meiner Freizeit an, weil die hat ja jemand anders gemacht.
Frontstage Magazine: Aber gab es schon einmal die Situation, dass du einen deiner Songs im Radio gehört hast und dabei dachtest: „Das hätte ich lieber so gemacht oder anders ausgedrückt“?
Fynn Kliemann: Nee, tatsächlich nicht. Gerade auf meine Texte bin ich ziemlich stolz. Wenn die Platte fertig ist, habe ich Jahre über jedes einzelne Wort nachgedacht. Das ist so, als wenn du dir ganz lange Zeit nimmst, einen Liebesbrief zu schreiben und immer wieder überlegst „Wie sag ich’s am besten?“. Wenn du diesen schließlich überreichst, dann bist du total zufrieden mit dem Ergebnis. Das ist bei mir zumindest so.
Frontstage Magazine: Gibt es einen Song, von denen, die du veröffentlicht hast, wo du im Nachhinein sagst, dass du das eventuell lieber nicht gemacht hättest, weil er zu persönlich war?
Fynn Kliemann: Es ist schon krass, was man so veröffentlicht. Aber ich glaube auch, dass der Grad der Intensität von den Liedern genau der richtige ist. Wenn ich Songs von anderen Leuten höre, dann ist je schonungsloser, je gnadenloser und direkter oder verletzlicher mir eine Geschichte erzählt wird, desto besser finde ich sie eigentlich, weil sie dann nachvollziehbar ist. Ich fand schon immer, dass das eine große Überwindung ist, aber mit dem Punkt des Releases ist es ja raus. Im Nachhinein ist dann eher weniger Reue und viel mehr Bestätigung da und man sagt: „Ja, das war eine super Idee das so zu machen“. Das Schwierige ist eigentlich der Moment des Releases. Dann kommt es das erste Mal raus und dann ist man am verletzlichsten und am anfälligsten für Kritik.
Frontstage Magazine: Verletzt dich die Kritik oder kannst du das – je nachdem von wem es kommt – sachlich abhaken?
Fynn Kliemann: Wenn einfach nur jemand schreibt „der scheiß Hurensohn soll sich verpissen“, dann ist das ja keine Kritik, weißt du? Dann ist ja so „Ja, ja, Ha ha okay.“ Manchmal gibt es echt richtig lustige Sachen. Eigentlich sind die meisten Sachen lustig, aber es gibt natürlich auch andere Sachen, wenn jemand etwas direkt kritisiert, dann kritisiert er mich eben auch als Person, weil es nun mal keine Rolle oder eine ausgedachte Geschichte ist, sondern alles autobiographisch und damit echt. Schlechte Kritik ist ein direkter Schlag ins Gesicht, wenn es eine echte Kritik ist.
Frontstage Magazine: Wie geht man damit um? Mit solchen Kommentaren? Hast du dir da einfach über die Jahre ein dickes Fell wachsen lassen? Du stehst ja schon sehr lange in der Öffentlichkeit und im Internet und es gab ja immer die Möglichkeit, alles zu kommentieren und Menschen filtern dies ja mittlerweile eher selten.
Fynn Kliemann: Bis jetzt wirklich war echt viel positiv. Die Leute, mit denen ich irgendwas mache oder die, die sich das Resultat im Internet angucken, sind meistens Gleichgesinnte. Ich bin in so einer linken Bubble unterwegs, wo wir eigentlich, wenn man es mal ganz hart sieht, alle für die gleiche Sache kämpfen. Aber da gibt es eben immer gerne dieses gegenseitig fertigmachen. Aber am Ende des Tages finde ich Kritik grundsätzlich erst mal gut. Daran wächst man ja auch. Ich bin auch echt weit weg von unfehlbar. Ich mache auch viel verkehrt, von daher lerne ich auch sehr viel dazu. Es gibt einfach grundlosen Hass, der ist immer blöd – bei mir war es aber bisher sehr erträglich.
Frontstage Magazine: Ich habe bisher auch noch niemanden kennengelernt oder so in meinem Umfeld, der dich irgendwie „doof“ findet. Für viele bist du da eher ein Vorbild, eben, weil du deine Sachen so durchziehst wie du’s tust.
Fynn Kliemann: Voll schön. Das ist total lieb und das finde ich auch mega cool. Ich habe das Gefühl, dass wir – auch im Kliemannsland – einen krassen Bullshit Filter haben. Also die Leute, die es generell scheiße finden würden, die wüssten gar nicht was es ist, weil es nie an sie herangetragen wurde und alle die es potenziell interessiert – oft Alternative, Andersdenkende etc. – die haben es mitgekriegt, die haben die Vision verstanden und finden es ganz cool. Und damit sind wir immer so in einem Kern, der sich eigentlich gegenseitig mag und sich gegenseitig helfen möchte, anstatt sich zu zerstören. Damit ist das Leben auf jeden Fall deutlich einfacher, als wenn man immer nur gegen alle ist. Ich bin ja erst mal generell gegen niemanden. Wir sind erst mal immer füreinander da. Und dafür steht das ganze Ding. Alles was ich tue eigentlich. Im Großen und Ganzen verfolgt das alles die gleiche Vision und ich gönne allen alles. Ich verstehe immer dieses generelle hassen nicht. Das spüre ich nie.
Frontstage Magazine: Wie ist es eigentlich für dich, dass du mittlerweile auch Vorbild für viele Jüngere geworden bist?
Fynn Kliemann: Gefährlich für viele Jüngere (lacht). Ich glaube, so was hat man einfach. Ich war mir selbst ganz lange nicht bewusst, dass das so ist. Ich habe das bei mir darauf geschoben, dass ich dachte „Ich zeige den Leuten, wie man Dinge nicht tut“ und daraus lernen sie auch viel. Das ist auch eine Art Vorbild. „Guck mal – Ich zieh mir lieber Handschuhe an, weil sonst verbrenne ich mich. Guck mal – ich setz eine Brille auf, weil sonst krieg ich einen Splitter ins Auge.“ Oder oder oder. Genauso ist es mit dem Arbeiten. Arbeitssucht, intensives egal was tun. Ohne Schutz, Motorradfahren usw. das sind ja alles eigentlich negative Sachen. Und ich dachte, ich habe das Thema damit abgewälzt, dass ich gesagt habe „Naja, dann nehmen Sie mich als Negativbeispiel, dann ist die Sache in Ordnung.“ Aber sie nehmen mich natürlich manchmal auch als Positivbeispiel, dann ist die Sache nicht mehr in Ordnung. Dann hab ich nämlich eine Verantwortung, die ich nie haben wollte. Dass man generell sagt „Weißt du was, ich mache es jetzt einfach, ist mir scheißegal, ob das jetzt hier schon mal funktioniert hat oder nicht. Ich werde es schaffen.“ Das ist so eine Sache – nehmt euch die gerne. Dann gibt es andere Sachen, da sollten die Leute vielleicht kurz vorher nachdenken, bevor sie das 1:1 kopieren.
Frontstage Magazine: Ja, auf jeden Fall. Gefühlt kannst du ja alles. Jedenfalls, wenn man dir so bei Social Media folgt, gibt es irgendwas, dass du gern können würdest?
Fynn Kliemann: Ich würde total gerne entspannen können. Also einfach ein Wochenende auf dem Sofa mit Pizza bestellen, finde ich richtig geil. Das würde ich gern können.
Frontstage Magazine: Also so stehst du immer permanent unter Strom und fährst nie komplett runter?
Fynn Kliemann: Nee, da ich habe gar keine Zeit für. Ich habe eine riesige To-Do-Liste mit Punkten, die ich jetzt noch unbedingt machen muss, damit das und das weitergeht, damit der wieder arbeiten kann, damit das passiert und so weiter. Und wenn ich das nicht mache, habe ich ein Problem. Das heißt, ich muss immer und ich will immer. Und wenn ich dann mal könnte, dann habe ich wieder mehr Bock und so und so geht es immer.
Fotocredit: Samuel Mindermann