Ihr glaubt nicht, dass ein „normales“ Festival wie früher in diesem Jahr möglich sei? Weit gefehlt! Georgsmarienhütte beweist Euch mit dem Hütte Rockt Festival vom 12-14.08.2021 das Gegenteil! Das Festival, welches zum 14. Mal im niedersächsischen Landkreis Osnabrück stattfand, kommt mit einem modernen Coronakonzept daher, welches trotzdem Spaß auf ganzer Linie versprach. Wir waren Freitag und Samstag dabei und berichten über eine Möglichkeit in der aktuellen Situation kleinere Festivals stattfinden zu lassen.
Georgsmarienhütte, Freitagabend kurz vor 19 Uhr: Wir betraten den Acker und fühlten uns endlich mal wieder angekommen, immerhin sollte uns ein außergewöhnliches Festival-Wochenende erwarten. Wir erspähten ein großzügiges Infield vor der Mainstage mit mehr als genug Buden zur leiblichen Verköstigung sowie die Zeltbühne mit ihrem angrenzenden Biergarten. In einzelnen Grüppchen standen Besucher*innen verteilt, die nach Deine Cousine auf den nächsten Act, Milliarden aus Berlin, auf der Hauptbühne warteten. Johannes und Ben begannen kurze Zeit später mit ihrer Band ihren wie immer leidenschaftlichen und liebenswürdigen einstündigen Auftritt. Dabei kamen zwar immer mehr und mehr Leute vor die Bühne, um mit den beiden Musikern zu feiern, doch wurde dabei stets der nötige Abstand eingehalten. Das bedeutete auch, dass es ohne Probleme möglich war sich direkt in die erste Reihe zu stellen. Somit hatte man die einzigartige Gelegenheit mit seinen Lieblingsbands von Angesicht zu Angesicht zu interagieren, was Sänger Ben auch gerne ausnutzte. Dadurch wurde eine sehr innige Stimmung erzeugt, dass man das Gefühl hatte, Milliarden würden ein Privatkonzert nur für die eigene Person spielen. Nichtsdestotrotz wurde in zueinander gehörigen Kleingruppen wilder getanzt und die Stimmung mit Liedern aus dem neuen Album „Schuldig sein“ oder Klassikern wie „Kokain und Himbeereis“ für den folgenden Headliner Grossstadtgeflüster schon einmal ordentlich angefacht.
Bei einsetzender Dunkelheit ging es um 21:10 Uhr los mit der ebenfalls aus Berlin stammenden Electropop-Band. Das Trio um Jen Bender machte von Anfang an unmissverständlich klar, dass es in ihrem Slot basslastiger zur Sache gehen wird. So lockten die Bässe im Verlauf der Show eine anständige Crowd an, die sich nicht zwei Mal bitten ließ und eine Partystimmung vom feinsten kreierte. Es wurde gemeinsam ausgelassen getanzt, gesprungen und gehüpft.
Die Endorphine kannten ebenfalls kein Halten mehr und so konnte man den Augenblick zwischen anderen Festivalbesucher*innen, Strobolicht und wummernden Boxen uneingeschränkt genießen und den ganzen Scheiß um uns herum mal für einen Moment vergessen. Die 70 Minuten mit Grossstadtgeflüster verflogen wie im Flug und ließen sich eigentlich mit einem einzigen Wort präzise zusammenfassen: Abriss. Es war eine einzigartige Abrissparty inklusive Konfettikanonen und Luftballons als optisches Highlight auf der eskalierenden Masse. Es fühlte sich genauso unbeschwert an, wie sich Festivals immer anfühlen sollten. Zudem war es für uns der mit Abstand beste Live-Auftritt, den wir bisher von der Band erleben durften.
Sorry für das schlechte Abstands-Wortspiel, denn der eben erwähnte ganze Scheiß drumherum ist selbstverständlich auch in der Hütte nicht einfach vorbei und sollte ernst genommen werden. Daher folgen an dieser Stelle ein paar Worte zu dem Hygienekonzept, welches insgesamt fabelhaft von allen Beteiligten umgesetzt wurde. Denn natürlich ist nicht alles nur Jubel, Trubel, Heiterkeit, sondern muss vor allem für die maximal 1750 Besucher*innen sowie Künstler*innen und Crew sicher sein. So wurde der Zugang zum Gelände ausschließlich am gleichen Tag negativ getesteten Personen gestattet, unabhängig von vorhandenem Impf- oder Genesungsschutz. In allen Engpässen, wie dem Einlassbereich, den Toiletten oder an den Ständen, galt zu jeder Zeit Maskenpflicht. Dazu gab es ausreichend Hygienestationen mit Wasser und Desinfektionsmittel. Dreh- und Angelpunkt des Konzeptes war ein Ampelsystem für den Bereich vor den Bühnen. Solange die Ampel auf grün war, war alles entspannt und man durfte sich ohne Maske bewegen, denn es war ausreichend Platz zur Verfügung, etwa bei Umbauzeiten oder an noch nicht stark frequentierten Nachmittagsshows. Orange stand für Maskengebot, wenn die nötigen Abstände nicht mehr zu jeder Zeit eingehalten werden konnten. Der Auftritt von Milliarden war mit dieser Kategorie versehen. Wenn es allerdings zu voll wurde und Abstände kaum noch zu wahren waren, wechselte die Ampel auf rot und es musste eine Maske getragen werden. Dies war das erste Mal am Freitag bei Grossstadtgeflüster der Fall. Während des Auftritts wechselte die Farbe und das Publikum setzte geschlossen und ohne zu klagen die Mund-Nasen-Bedeckungen auf und dann wurde unter den wachsamen Augen der Security weitergefeiert. Vereinzelt musste noch einmal auf die Pflicht hingewiesen werden, aber im Großen und Ganzen kann man hierzu allen nur ein Kompliment aussprechen, dass es trotz Alkoholverkauf auf dem Festivalgelände so konsequent gehandhabt werden konnte.
Getestet und sicher ging es anschließend für einen Abstecher ins Zelt, in dem vor allem Bands aus der Region auftraten. Hier spielten nach Formationen wie Brandmann oder The Unexpected zum Abschluss des ersten Tages About Monsters. Die Band aus Osnabrück legte noch einmal einiges an Lautstärke obendrauf und schüttelte ihre Fangemeinde ordentlich durch. Frontfrau Maddie ließ sich dabei auch von ihrem gebrochenen Zeh nicht beirren und hüpfte halt auf einem Bein durch ihr lautstarkes und gefeiertes Set. Danach riefen wieder auf der Hauptbühne Montreal zum letzten Act des Tages auf. Die Punk-Rocker aus Schwarzenbek in der Nähe von Hamburg waren nicht zum ersten Mal auf dem Festival zu Gast. Bestens vertraut mit den Gegebenheiten ließen sie den ersten Tag ausklingen. Spannend dabei war, dass die Fans sich sehr durchmischten. Gefühlt haben Montreal vor einem ganz anderen Publikum gespielt als Grossstadtgeflüster zuvor. Das ist aber insgesamt mit der hohen musikalischen Varianz zu erklären, die das Hütte Rockt auffuhr. Trotz der geringen Größe des Festivals wurden mehrere Genres bedient, sodass von Rockabilly bis hin zu Alternative Metal vieles angeboten wurde. Was allerdings bei allen gleich war, war die ungebrochene Freude endlich wieder einen Live-Gig nach teilweise zwei Jahren spielen zu können. Somit haben sich alle Bands von ihrer besten Seite gezeigt, was dazu einlud noch unbekannte Acts zu entdecken.
Dazu hatte man vor allem im Samstagmittag-Programm einige Gelegenheit. Nach der ersten richtigen Festivalnacht seit langem in der der eine oder die andere möglicherweise über die Stränge schlug, waren die Stages noch nicht allzu viel besucht, sodass man genügend Platz hatte, um sich auf den neuen Act einzulassen oder einfach nur in der gleißenden Sonne zu chillen. Die Hüttenrocker haben genau das richtige Wochenende abgepasst und herrliches Wetter den gesamten Samstag über mit kaum einer Wolke am Himmel gebucht. Also rein in die Sommerklamotten und sich vor der Bühne von einem Gartenschlauch zu bester Musik von Kopfecho berieseln lassen. Für den Singer/Songwriter Betterov war das Publikum noch nicht wirklich bereit und der Auftritt fiel leider etwas schwächer aus als erwartet. Dafür kamen nach dem punkigen Düsseldorfer Quintett, welches vor allem gesellschaftskritischen deutschen AlternaPunk lieferten, die Band City Kids Feel The Beat. Die fünf Jungs sind 2019 noch auf der Zeltbühne aufgetreten und wurden für dieses Jahr direkt hochverlegt und haben einen Anheizerslot auf der Hauptbühne ergattert. Mit ihrem innovativen Heavy Pop-Punk vorrangig in Form ihrer Debüt-Album „Cheeky Heart“ hat die Fünfertruppe absolut nichts anbrennen lassen und war für uns die größte Überraschung des Wochenendes. Mit ihrem energetischen Auftritt haben die City Kids alles richtig gemacht und zogen innerhalb kürzester Zeit das Publikum in ihren Band. Die Show hätte man sich gerne noch stundenlang anschauen können, weil sie genau das richtige Verhältnis zwischen härteren Punkelementen und collegeartigen im Ohr bleibenden Refrains traf. Mit dieser Auffassung war sich das Publikum einig, sodass von der kleinen Menge vehement eine Zugabe gefordert wurde, die normalerweise im enggestrickten Festival-Zeitplan natürlich nicht vorgesehen war. Angesichts der jubelnden Zuschauer*innen und eines fantastischen Auftrittes der Band ließ der Veranstalter mit sich sprechen und genehmigte eine Zugabe. Das schon ausgeschaltete Mikrofon bekam wieder Strom und zu einem Lady Gaga Cover gab es noch eine Runde „Applause“. Neben der Eskalation zu Grossstadtgeflüster war dies auf jeden Fall einer der Highlight-Momente der beiden Tage.
Überraschungsmoment: City Kids Feel The Beat durften Zugabe spielen
Übrigens kamen die Kinder auf dem Festival nicht zu kurz. So gab es ein spezielles Kids Programm mit Heavysaurus bereits am Donnerstag. Zudem konnte man bei einer coolen Glücksrad-Aktion am Kinderzelt mitmachen. Weiterhin gab es am letzten Tag des Festivals noch Musik von Boppin‘ B, Sondaschule, Subway To Sally, I.Vortex sowie Snareset zu hören. Diese Konzerte waren in der Hauptzeit abends natürlich stärker nachgefragt, sodass nach nur einem Lied der Ska-Punker von Sondaschule das Ampelsystem rot vermeldete und es ab diesem Zeitpunkt nur noch mit Masken weiterging. Ein gutes Zeichen für die Band, die immerhin schon seit 22 Jahren die Nation mit ihren (selbst)ironischen Texten versorgt. Diese Routine konnte der Musikgruppe jedoch bei einer kurzen (und einzig merklichen) technischen Störung weiterhelfen als Frontmann Costa Cannabis kurzerhand zur Akustikgitarre greift und dann eben so weitermacht. Für Künstler*innen und Publikum galt gleichermaßen die Maxime aus jedem Moment möglichst viel mitzunehmen und einfach mal wieder ein Festivalgefühl mit Spaß zu verspüren.
Dieses Ziel hat die diesjährige Ausgabe des Hütte Rockt Festivals für uns ganz klar erfüllt. Die Hütte hat bewiesen, dass sie nicht nur rocken, sondern auch feiern konnte. Wenn nicht von den Masken verdeckt, hat man egal, wo man hinschaute, strahlende Gesichter entdeckt. Die Organisation und Crew war bis auf eine etwas merkwürdige Dankesrede vor dem letzten Act makellos. Man hatte das Gefühl, dass sowohl Musiker*innen als auch Zuschauer*innnen endlich wieder einen Sinn im Leben gefunden hatten. Es war ein überwältigendes Gefühl ein „normales“ Festival ohne Sitzeinschränkungen zu verleben und so etwas wie Gemeinschaft mit anderen Fans zu empfinden. Von unserer Seite aus können wir uns nur für ein absolut grandioses Festivalwochenende bedanken, was wohl voraussichtlich das einzige seiner Art diesen Sommer bleiben könnte. Wir hatten jedenfalls wahnsinnig viel Spaß und werden der Hütte auf jeden Fall im „Normalbetrieb“ gerne wieder einen Besuch abstatten.
Fotocredit Titelbild sowie Fotos im Text: Kevin Randy Emmers