In der deutschen Musiklandschaft sind Culcha Candela seit fast 20 Jahren eine Institution und nicht mehr wegzudenken. Anlässlich ihres neuen Albums „Top Ten“ hatte unsere Redakteurin Jacky die Ehre mit Matteo, DJ Chino und Johnny über ihr neues Werk hinsichtlich der Auswahl der Featuregäste, aber auch dem überraschenden Hula Hoop Hype auf TikTok zu plaudern. Natürlich können in der aktuellen Situation auch politische und soziale Inhalte nicht ignoriert werden, sodass das Interview auch auf den Föderalismus und die Digitalisierung in Deutschland zu sprechen kommt.
Frontstage Magazine: Ihr seid ja gerade in einem richtigen Interviewmarathon für das neue Album „Top Ten“. Wie fühlt es sich das an, auf einmal wieder jeden Tag Interviews zu geben von früh bis spät?
Matteo: Das fühlt sich fantastisch an! Durch die besondere Situation sind die Leute interessierter an sozialen und politischen Themen. Durch die Fragen, die wir gestellt bekommen und die Gespräche, die wir geführt haben, waren es bisher die besten Interviews, die wir jemals gegeben haben. Es war kein schlechtes dabei, es waren keine üblichen Standardfragen, die man so mit Floskeln beantwortet und die Leute waren richtig vorbereitet und hatten Bock nicht nur über die Musik, sondern tatsächlich auch über soziale und politische Themen zu sprechen.
Frontstage Magazine: Cool, dann wollen wir versuchen daran anzuknüpfen. Zunächst erst einmal Musikfragen: Wie sieht euer Plan bezüglich der Veröffentlichung aus? Habt ihr zum Releaseday irgendetwas geplant oder gibt es eine Zoom-Party?
DJ Chino: Also tatsächlich gar nicht. Wir haben auch traditionellerweise zu unseren Album Releases nie so eine krasse Party gemacht. Wir haben es, glaube ich, einmal gemacht zur vorletzten Platte. Das war auch ganz geil. Wir haben jetzt keinen richtigen Plan, aber ich bin dafür, dass wir uns vielleicht privat treffen oder was auch immer dann möglich ist, eventuell in der Außengastronomie. Auf jeden Fall sollten wir es mal amtlich begießen.
Matteo: Wenn in Berlin die Zahlen zu hoch sind, fahren wir halt nach Potsdam.
DJ Chino: Genau, wir werden sehen, was möglich ist. Auf jeden Fall müssen wir das auf irgendeine Weise würdig begießen.
Frontstage Magazine: Klingt doch schon mal nach einem ganz guten Plan. Wie war es für euch dieses Album in Coronazeiten zu produzieren, gerade mit den Restriktionen, die wir hatten? Hat sich das in eurer Musik vielleicht auch widergespiegelt oder war es schwieriger es musikalisch zu erleben?
Matteo: Corona hat uns in der in der Arbeitsweise nicht eingeschränkt. Wir hatten keine Restriktionen, zumindest haben wir uns keine auferlegt beim Musik machen, schreiben, produzieren und aufnehmen. Ganz im Gegenteil: wir hatten sogar noch mehr Zeit als sonst an der Mucke zu arbeiten, weil die Auftritte weggefallen sind, was natürlich für uns wie für die ganze Branche und Crew emotional als auch finanziell eine riesige Katastrophe. Aber dadurch, hatten wir mehr Zeit an der Musik zu arbeiten, weil wir einfach immer da waren. Das hat uns nicht beeinträchtigt. Thematisch haben wir es vermieden Corona Songs zu machen oder das Wort Pandemie irgendwo in den Mund zu nehmen.
DJ Chino: Das ist halt einfach auch unsexy, nachdem man jetzt 14 Monate am Stück mit diesem gesamten Vokabular zu jeder sich bietenden Gelegenheit zugeballert wurde. Wörter wie Inzidenz, Lockdown, Pandemie und Coronavirus haben wir zu genüge gehört und das wollten wir nicht zeitlos im Album haben. Aber klar ist natürlich, dass die äußeren Umstände auf jeden von uns individuell eingewirkt haben, und man kann es hier und da natürlich auch hören, dass es in dieser Zeit entstand. Das ist ja quasi auch ein Dokument der Zeit. Ich denk da an so viele Songs, aber vor allem an „Real Life“.
Frontstage Magazine: Ja, gerade bei „Real Life“ ist es mir aufgefallen. Bei dem Song hätte ich die größte Vermutung gehabt, dass es damit zu tun hat.
Johnny kommt dazu, es wird ein Screenshot gemacht, Digitalisierung in Deutschland lebt, oder?
DJ Chino: Ja, es ist auf jeden Fall spätestens jetzt auf die Agenda gerückt und bei vielen Leuten Thema geworden. Sei es die Veränderung am Arbeitsplatz oder überhaupt dieses Kennenlernen der ganzen Möglichkeiten, die jetzt da sind. Es ist unvermeidbar und überfällig gewesen sich damit auseinanderzusetzen. Aber man muss ja nicht alles geil finden, was es gibt. Es gibt vielleicht auch Sachen, an denen man erkennt, dass nicht alles digital zu lösen ist, sondern dass man das zwischenmenschliche, echte Leben auch hochhalten oder vielleicht sogar verteidigen muss.
Johnny: Vielleicht eher sich bewahren muss.
Frontstage Magazine: Das echte, wahre Leben ist natürlich jetzt stark eingeschränkt gewesen, was eigentlich vorher unvorstellbar war.
DJ Chino: Das meine ich mit verteidigen und bewahren: es gibt auch eine Zeit nach der Pandemie. Nicht, dass sich die Leute daran gewöhnt haben, dass sich jede*r in seiner*ihrer Wohnung verschanzt und sich das Essen liefern lässt. Sondern die Leute das Echte vermissen oder vermisst haben und sich dann umso mehr freuen, sobald es wieder möglich ist Leute zu treffen und mit denen gemeinsam Austausch zu pflegen und nicht nur digital zu kommunizieren.
Frontstage Magazine: Ja, das wird hoffentlich ein großes Erlebnis werden, wenn endlich wieder so etwas wie Konzerte und soziale Zusammenkünfte wieder stattfinden dürfen. Glaubt ihr, das wird krasser als vorher? Dass man die Konzerte ganz anders erlebt und damit auch eine ganz andere Ebene erreicht?
Johnny: Ich glaube das wird am Anfang schon ein krasser Euphorie-Boost sein, weil alle aus dieser ausgehungerten Zeit kommen. Aber insgesamt glaube ich, dass ein Paar Sachen bestehen bleiben, die sich so eingegrooved haben und nicht alles so wie vorher wird, sondern bestimmte Dinge werden so bleiben, wie sie jetzt sind.
Frontstage Magazine: Das stimmt, aber es gibt ebenfalls genügend Plätze, an denen das Digitale nicht das normale Zwischenmenschliche ersetzen kann, wenn man jetzt an Konzerte zum Beispiel denkt. Eure Tour soll ja eigentlich im Oktober in Kiel starten. Das wäre auf jeden Fall etwas, das man nicht mal eben über einen Zoomcall ersetzen könnte, oder?
Matteo: Auf gar keinen Fall.
DJ Chino: Naja, es gibt ja schon diese Tendenzen, dass im Metaverse irgendwelche digitalen Plattformen wie Fortnite oder ähnliches, Konzerte stattfinden, aber ich finde das total Panne. Es hat vielleicht auch seine Berechtigung und da können möglicherweise ein paar Leute ganz viel Geld verdienen, aber es hat nicht den Charakter eines echten Konzertes, was wir geil finden und das im „Reallife“ wirklich stattfindet- „Reallife“ ist, wo die Menschen sich begegnen, miteinander springen, hüpfen, sich verbrüdern, tanzen und knutschen. Das finde ich im echten Leben alles attraktiver und geiler, als wenn man das nur online macht. Klar, ist es eine Ergänzung, das kann natürlich auch sein, und ich will es nicht ausschließen, dass wir es vielleicht mal probieren. Wir sind grundsätzlich allem nicht abgeneigt gegenüber, sondern sind neugierig auf verschiedene Sachen. Aber ich glaube und ich hoffe wirklich, dass echte Konzerte auch weiterhin nachgefragt werden und dass es die Leute auch geil finden dieses einmalige physische, echte, haptische Erlebnis zu haben.
Matteo: Man wird diese Emotionen nicht digital produzieren können in dieser Form. Das ist auch gut so und ich hoffe ehrlich gesagt, dass es auch nie so weit kommt.
Frontstage Magazine: Wie würdet ihr coronakonforme oder Autokinokonzerte da einordnen?
DJ Chino: Ersatzdroge höchstens.
Matteo: Das ist eine interessante Zwischenlösung, maximal Methadon. Auf keinen Fall ist es eine langfristige Lösung und auf keinen Fall will ich mich jemals im Leben wieder von irgendwelchen Autos anhupen lassen.
DJ Chino: Das wollte ich nämlich sagen, bevor du das noch häufiger sagst: Es könnte sein, dass eine Show dieses Jahr auch noch als Autokonzert dabei ist.
Matteo: Da bin ich nicht dabei, sag ich ab.
Frontstage Magazine: So schlimm, Matteo?
Matteo: „Deswegen hast du ja nicht angefangen Musik zu machen.“
Beim ersten überwog noch die Freude, dass man wieder was machen durfte und alle waren total euphorisiert, sowohl die Leute in den Autos als auch unsere Crew als auch wir. Das war ein total geiles Gefühl wieder auf der Bühne zu stehen. Aber nach der zweiten, dritten Show, wolltest du nicht, dass so die Zukunft der Musikbranche stattfindet. Das kann nicht sein, da mach ich lieber was anderes. Ich will mich nicht auf der Bühne von Lichthupen blenden und von Hupen anhupen lassen. Was wir dafür in Lüneburg hatten war richtig geil. Dieses coronakonforme Konzert war ein Quantensprung im Vergleich zu Autokinoshows. Vor allem, da sich diese wirtschaftlich eigentlich nicht rentieren mit den begrenzten Plätzen auf einem Raum, der trotzdem für drei Mal so viele Leute eigentlich konzipiert ist, und der ganzen Technik, die aufgefahren wird.
Johnny: Und die brauchen eigentlich viel krassere Technik mit den fetten LED-Wänden dafür als für normale Konzerte. Also ich fand schon interessant zu erleben, wie kreativ die Branche gewesen ist, aber keine Alternative. Jedoch war Konzert anders. Manchmal waren die Bühnen 20 bis 30 Meter hoch.
DJ Chino: Ich glaube auch nicht, wenn irgendwann normale Konzerte wieder losgehen, dass man sich sagt: Geil, lass doch nochmal ins Autokinokonzert gehen. Das Format wird sich nicht durchsetzen.
Frontstage Magazine: Wahrscheinlich nicht. Wobei ich das auch ganz spannend fand, dass es immer verschiedene Konzepte gab und die dann durch die Landesregierungen verschieden umgesetzt wurden. Während man in sich in NRW aufs Auto draufsetzen konnte, hieß es in Hannover nicht mehr als 20% der Scheibe herunterlassen und bloß keine Interaktion.
DJ Chino: Aber das beschreibt halt sehr gut dieses Durcheinander, was es da teilweise gibt. Natürlich muss auch das dynamische Geschehen berücksichtigt werden, weil es sich ja verändert. Aber es ist teilweise ein bisschen bizarr, was es für Regeln gab. Aber es zeigt, dass Menschen versuchen, das zu ermöglichen, was geht und überhaupt was zu improvisieren und sich nicht unterkriegen lassen. Damit versucht man das herauszuholen, was geht und das unterstützen wir, dass man kreative Lösungen sucht und nicht einfach aufgibt.
Frontstage Magazine: Ja voll, und damit haben wir auch einen perfekten Bogen zu eurer letzten Single „Hope“, dass man Hoffnung dahinter hat und nicht gleich die Konzerte- und Kulturbranche knicken kann, sondern irgendwo eine Perspektive hat, um weiterzumachen. Auch wenn sich natürlich viele Probleme, wie zum Beispiel die sich ständig ändernden Regeln im Föderalismus, aufdrängen. Inwiefern habt ihr das mitbekommen?
Matteo: Definitiv. Eine Zeit lang war es ja so, dass sich jede Woche getroffen wurde, um neue Regeln zu diskutieren und jetzt gibt es täglich eine Veränderung. Auf jeden Fall muss ich sagen, dass ich finde, dass der Föderalismus an sich da an eine Grenze stößt. Gerade in den Punkten, die sich gerade jetzt als kritisch herausstellen, sprich Gesundheitswesen, Bildung und die Strafkataloge, finde ich es doof, dass es uneinheitlich ist in Deutschland. Das ist für mich eine ziemliche Katastrophe, da können wir gerne den Föderalismus abschaffen.
DJ Chino: Ich glaube, dass es so einfach leider nicht ist. Erklär das mal jemanden in Schleswig-Holstein, wenn die da kaum noch Fälle haben, aber in Bayern die Inzidenzen mega hoch sind.
Matteo: Darum geht es nicht! Es geht nicht um unterschiedliche Inzidenzwerte. Meinetwegen kann jede Stadt machen was sie will, es geht um ein einheitliches Gesundheitswesen. Es geht darum, dass in Bayern das Berliner Abi nicht zwei Noten schlechter ist. Es geht darum, dass wenn ich in Bayern mit 0,01 g Gras erwischt werde, alles verliere und kriminalisiert werde und in Berlin bei 30 g in der Tasche nicht mal ein Verfahren bekomme.
Johnny: Aber wäre es nicht besser, wenn alle so wären wie in Bayern in diesem Fall?
Matteo: Nein, definitiv nicht.
Johnny: Also es muss bei allen so sein wie bei uns?
Matteo: Ja.
DJ Chino: Man merkt, dass es alles nicht so einfach ist.
Matteo: Vieles ist nicht mehr zeitgemäß. Es muss doch aber eher so ein Wir-Gefühl im ganzen Land sein, anstatt so Klein-Klein in „Fürstentümern“.
DJ Chino und Johnny: Du merkst, wir haben da auf jeden Fall verschiedene Meinungen.
Frontstage Magazine: Spannend die Dynamik, wie ihr miteinander redet, zu beobachten. Wie löst man Konflikte innerhalb einer vierköpfigen Gruppe? Da können ja nicht immer alle einer Meinung sein. Da muss man irgendwie Kompromisse finden. Wie regelt ihr das normalerweise? Setzt ihr euch hin und diskutiert das aus?
Johnny: Genau so wie in der Politik (lacht).
DJ Chino: Das ist auf jeden Fall interessant, denn wir haben echt so einen Mini-Kosmos der gesamten deutschen und globalen Gesellschaft gefühlt. Also die ganzen Konflikte, die auf der politischen Agenda stattfinden, tragen wir im Kleinen teilweise auch aus, weil wir wirklich sehr unterschiedliche Meinungen haben. Es wird nicht langweilig. Dieser Austausch ist aber ganz wichtig und diesen Konflikten darf man nicht aus dem Weg gehen. Wir müssen das schon irgendwie ausfechten.
Johnny: Davon lebt unsere Musik auf jeden Fall auch. Mit dieser Bürde müssen wir leben, es ist nicht immer einfach, aber diese Auseinandersetzung lohnt sich. Deswegen sind wir auch dafür, dass Leute sich äußern und einbringen und vor allem wählen gehen, damit diese Auseinandersetzung stattfindet und man Teil der Gesellschaft bleibt und man sich nicht an den Rand drängt, selbst ausgrenzt und dann nur auf alles schimpft und negativ wird. Dann haben alle Leute verloren.
DJ Chino: Man muss halt auch zu akzeptieren lernen, dass die andere Meinung auch eine Berechtigung hat, auch wenn sie nicht die eigene ist. Es ist trotzdem gut, dass es sie gibt und dann kann man in dieser Diskussion vielleicht einen Kompromiss oder Mittelweg finden oder sich irgendwie annähern. Auf jeden Fall wäre es schlimm, wenn alle per se die gleiche Meinung haben müssten oder wenn es ein Diktat gibt. Das wäre für uns als Band auch scheiße.
Frontstage Magazine: Ich finde auch am wichtigsten, dass genauso wie es immer einen Diskurs geben muss, auch die Toleranz für andere Meinungen grundsätzlich gegeben sein muss. Man merkt aber auch an solchen Reaktionen der Öffentlichkeit, zum Beispiel letztes Jahr, als ihr etwas getwittert habt, wie fragil und unsicher gerade alles ist. Wie schwierig ist es da als Band ein Statement, auf der einen Seite zu setzen, mit dem man sich aber dann halt auch nicht komplett ins Aus schießt auf der anderen Seite. Habt ihr da einen Mittelweg für euch gefunden?
Matteo: Wir haben auf jeden Fall gerade nach diesem Twitter Gate gesagt, dass wir nie aufhören uns zu gewissen Themen zu positionieren, aber man muss natürlich mehr aufpassen, wie man die Sachen formuliert. Man kann auch verschiedener Ansichten sein, aber Hass, Homophobie und Sexismus sind einfach keine Meinung und akzeptieren wir auch nicht als solche. Da sind wir dagegen und werden uns immer dagegen positionieren. Diese Twitter Gate war für manche radikal formuliert, gerade am Anfang der Pandemie, und in der Wortwahl nicht elegant, wofür ich mich auch oft entschuldigt habe, aber im Kern bleiben wir bei der Aussage und halten an der Kritik, dass nämlich Hilfe, Akzeptanz und Perspektive für die Veranstaltungs-branche fehlen, fest. Wir sind nicht deswegen keine Coronaleugner oder Schwurbler, ganz im Gegenteil. Wie bei vielen Themen, etwa der in der Gesellschaft tief verankerte Rassismus oder Sexismus, die mal angesprochen werden mussten, haben wir gerade erst die Oberfläche angekratzt. Es ist gut, dass sich auch jede*r Mal hinterfragt, aber bei manchen Themen schießen die Leute auch über das Ziel hinaus. Es ist halt unsere Zeit, die vernetzte und digitalisierte Welt. Alles ist da innerhalb von zwei Sekunden draußen und du kannst es nicht mehr zurückholen. Ich würde mir wünschen, dass die Leute auf der einen Seite ernsthaft über Probleme diskutieren und anderer Meinung sind, aber auf der anderen Seite nicht so in die Lagerbildung von statten geht.
Frontstage Magazine: Das bleibt zu hoffen. Dieser ganze Themenkomplex spiegelt sich in eurer Musik wider. Es gibt ernste Themen, aber auch Partytracks mit frohen Botschaften. Die Entwicklung, die innerhalb eurer Musik stattgefunden hat ist dabei ziemlich interessant, da sie parallel zu der gesellschaftlichen Entwicklung passierte. Wie habt ihr zu dem Stil eures neuen Albums gefunden habt? Was war daran das Ausschlaggebende, auch gerade was die Auswahl der Featuregäste wie DJ Antoine und Niqu anbelangt?
Matteo: Unser Stil ist es ja keinen Stil zu haben. Wir mixen Stile. Wir mischen das, worauf wir Bock haben, wenn wir ein Album machen. Das ist der rote Faden, der sich durchzieht. Die Feaures wie DJ Antoine haben wir songbezogen gewählt. Wenn du „Rhythm is a dancer“ von Snap nimmst und wir machen dann in Bearbeitung „Rhythmus wie ein Tänzer“ draus und sind dann so in der Eurodance-House-Schiene, ist klar, dass jemand wie DJ Antoine mit seiner Expertise rüber produziert. Den haben wir einfach angerufen und gemacht. Genauso war es zum Beispiel bei einem Rap-Feature CE$ bei „SSDF“. Uns war klar, wir können nicht was mit einem Gangsta-Rapper machen. Wir können auch selbst keinen Gangsta-Rap machen, aber wenn wir schon Hip-Hop machen, der ein bisschen härter ist, dann brauchen wir auch ein Rap-Feature. Und so kamen diese Sachen eigentlich zustande.
Frontstage Magazine: Seid ihr damit dann insgesamt zufrieden? Besonders vor dem Hintergrund der zeitlichen Verzögerung?
Matteo: Klar.
Johnny: Auf jeden Fall. Es hat alles etwas länger gedauert als geplant, aber gut Ding will Weile haben. Ich bin auf jeden Fall auch zufrieden. Unser Stil ist, dass wir immer eine komplett bunte Mischung haben. Dem sind wir auch treu geblieben. Alles Mögliche ist dabei mit positiver Grundstimmung und tanzbarem Sound. Insofern glaube ich, dass alles seinen Weg gefunden, wie es auch am besten ist. Deswegen freue ich mich, dass es endlich rauskommt. Und dass man hoffentlich ein bisschen dazu tanzen kann.
Frontstage Magazine: Endlich, juhu! Und es ebnet ja auch euren Weg für nächstes Jahr, wenn es euch dann schon 20 Jahre gibt und ihr Jubiläum feiert. Wie fühlt sich das an? Hat man eher Bock auf die nächsten 20 Jahre oder reicht es gerade auch für den Moment?
Johnny: Dazu haben wir auch einen Song, der heißt „Erst der Anfang“. Es ist noch nicht genug. Wenn wir es bis hierhin geschafft haben, dann schaffen wir bestimmt auch noch einmal 20.
Matteo: Solange es noch relevant ist und die Leute uns nicht peinlich finden und uns von der Bühne schubsen ist alles gut.
DJ Chino: Auch für alle, die nicht mögen, dass wir schon so lange da sind, ist es auch als Drohung zu verstehen (lacht).
Frontstage Magazine: Aber passiert es wirklich aktiv, dass Leute euch peinlich finden? In einem anderen Interview wurdet ihr als „Daddys der Clubszene“ bezeichnet. Seht ihr euch auch so oder mehr als Wegebner?
Johnny: Sowohl als auch. Das eine schließ das andere nicht aus.
Matteo: Stimmt ja auch. Man will und kann es nicht jedem recht machen. Nie. Sind wir auch nicht die Leute für. Polarisieren ist nicht schlimm. Man muss nicht provozieren, aber wenn Haltung zeigen für Leute provokant ist, dann nehmen wir das in Kauf. Für uns ist das normal. Wenn du jetzt so etwas nimmst wie „Hamma„. Das war ein Dancehall Track, Nummer 1 in Deutschland und unser erster, großer Hit. Damals kannten die Leute Dancehall in den Charts auf Deutsch und cool nicht. Heutzutage ist jeder zweite Song so, das heißt wir haben da schon Pionierarbeit geleistet. Wenn du so willst, ist „Palmen aus Plastik“ die Gangsta-Variante von Culcha Candela, die haben es nochmal aufs nächste Level gebracht. Aber bevor wir das nicht in die Charts gebracht haben, gab es das nicht in Deutschland. Bestimmt haben wir auch Leute wie Cro oder Luciano inspiriert. Das ist auch cool und macht einen auch froh und stolz. Ich finde es auch richtig geil, wie sich die deutsche Musikszene entwickelt hat.
Frontstage Magazine: War „Hamma“ damals der erste Song, den ihr von euch im Radio gehört habt und was war aktuell der letzte Song, den ihr von euch im Radio gehört hab.
DJ Chino: Ne, „Hamma“ war nicht der erste, aber es war auf jeden Fall der, der am längsten und am krassesten im Radio gefeatured wurde. Wir haben, glaube ich, schon von der allerersten Platte, von „Union Verdadera“, war „In Da City“ auch im Radio gelaufen.
Johnny: Genau, „Hamma“ war erst auf dem dritten Album. Und das erste Album lief schon im Radio. Allerdings nicht in der Stärke und wir hatten keinen Hit der vergleichbar war.
DJ Chino: Aber es hat quasi die große Radioära von uns mehr oder weniger geprägt und dann die nächsten Songs waren große Radiohits und wir hatten viel Radiozeit. Seitdem hat sich natürlich auch noch einmal alles geshifted und Radio ist heute längst nicht mehr so krass von der Bedeutung. Die Gewichtung hat sich da verändert, aber lustigerweise habe ich „Hope“ noch nicht selbst im Radio gehört, aber ich habe es quasi hören lassen. Also jemand hat es bei Social Media gepostet, dann habe ich gesehen, dass es im Radio lief, zumindest. Damit wurde der letzte Song, den wir rausgebracht haben vor dem Album, auch schon im Radio gespielt, was ich cool finde.
Frontstage Magazine: Den habe ich tatsächlich noch nicht im Radio aktiv gehört, sondern immer nur bei euch in den Stories gesehen, wenn es lief.
DJ Chino: Ja genau, wo der Song anscheinend richtig eine Welle gemacht hat und Anklang gefunden hat, ist TikTok. Da ist der halt wirklich durch die Decke gegangen. Social Media, Spotify und so, das hat so ein bisschen Radio, was den Pulsmesser betrifft, den Rang abgelaufen. Radio ist längst nicht mehr der Ort, an dem du neue Musik entdeckst, sondern die verwalten eher das alte Liedgut und spielen dann das, was bei Spotify in den Trends nach oben gespült wurde. Dann übernehmen sie es vielleicht irgendwann mal. Die Radiolandschaft war auf jeden Fall damals eine andere als heute.
Johnny verabschiedet sich, um seine zwei Kinder abzuholen. Perfektes Timing, um die letzten Fragen zu stellen.
Frontstage Magazine: Wie erlebt ihr den angesprochenen TikTok Hype rund ums Hula tanzen?
DJ Chino: Das hat uns selber überrascht.
Matteo: Es ist auf jeden Fall eine Community, die wir so davor nicht auf dem Schirm hatten. Es hat uns total geflashed, dass es die a) gibt und die so strong vernetzt sind und b) dass sie den Song aufgenommen haben. Wir wissen jetzt auf jeden Fall, dass es die Hooper da draußen gibt. Wir haben jetzt auch beschlossen, dass es nicht mehr Hula Hoop heißt, sondern ab jetzt Hula Hope.
DJ Chino: Nicht zuletzt hat es uns auch zu Hoopern gemacht, um nicht zu sagen Hoopfluencern. Denn uns hat eine Firma krasser Weise Hoops geschickt, und die mussten wir natürlich auch gleich ausprobieren und erstaunlicherweise war ich von mir überrascht, dass es bei mir einigermaßen geklappt hat.
Matteo: Chino ist talentiert und ich bin gänzlich untalentiert, was das angeht.
Frontstage Magazine: Dann kannst du jetzt jeden Abend eine halbe Stunde hoopen?
DJ Chino: So ist es jetzt auch wieder nicht (lacht). Aber ganz lustig ist, dass es auch so ein Lockdown Phänomen ist. Viele Leute können jetzt nicht ins Gym gehen und gerade auch viele Frauen haben es als geiles Retroding, was in den 80ern mal ganz en vogue war, zuhause als Fitnessgerät entdeckt wieder. Aber in so einem Update. Die sind ja mittlerweile voll ausgechecked, zum Beispiel gepolstert mit so Massageeinsaätzen und du kannst den Ring auseinander bauen und in so ein kleines Case packen und kannst den sogar transportieren. Da ist so eine ganze, komplette Szene entstanden, die zuhause fleißig hoopen. Und die haben wir durch den Song erst kennenlernen dürfen.
Frontstage Magazine: Mega schön, dass es so gut ankommt. Ich habe noch eine letzte Frage, die immer abseits der Musik gestellt wird. Welchen Charakter würdet ihr im Mario-Universum spielen und warum?
DJ Chino: Oh, das habe ich neulich mit meinem Neffen gespielt, der sehr gut darin ist. In Videospielen bin ich grundsätzlich nicht so gut, aber bei Mario Kart kann ich einigermaßen mithalten, weil die Steuerung doch sehr einfach ist. Ich habe immer Link genommen. Ich fand den immer cool, weil er mich immer so ein bisschen an Peter Pan und die Lost Boys erinnert hat. Ich weiß auch nicht, warum, ob der so angelegt ist. Der sieht aus, wie so ein kleiner Rufio, an den hat Link mich erinnert.
Matteo hat nur Fragezeichen im Gesicht.
DJ Chino: Du bist Toad. Toad ist dieses pilzartige Ding, wegen deiner Mütze. Eigentlich würdest du natürlich Donkey Kong sein wollen, aber es reicht nur für Toad.
Matteo: (schulterzuckend) Ich bin Toad.
Frontstage Magazine: Perfekt vielen, vielen Dank für eure Zeit und viel Erfolg für die neue Platte! Ich wünsche euch noch einen schönen Tag.
Beide: Danke, wir sehen uns in Lüneburg. Ciao.
Fotocredit: Leon Hahn