Der Sommer ist vorbei und es ist nun offiziell Herbst. Damit gehört die diesjährige Open-Air-Saison der Festival- und Konzertsaison der Vergangenheit an. Doch ein letztes Highlight wartete am Wochenende nach dem kalendarischen Herbstanfang im Berliner Olympiastadion noch auf. Das Lollapalooza schließt die vorab so lang herbeigesehnte Freiluftsaison der Major-Festivals ab. Neben einem starken nationalen Line-Up, gab es allerlei Rahmenprogramm für Groß und Klein in der sechsten Ausgabe des Hauptstadtfestivals.
„Noch einmal sechs Stationen laufen anstatt Bus zu fahren“, würden Headliner Kraftklub wohl zum letzten großen Festival des Jahres sagen. Wenngleich „Wieder Winter“ nicht in der Setlist der Band mit dem K vorkam, prägte dieses Gefühl auch unausgesprochen das Festivalfeeling. So sah man auch im feierwilligen Publikum noch das ein oder andere bauchfreie Outfit. So richtig bereit sich vom viel versprochenen Sommer zu trennen ist man in Berlin noch nicht. Bevor die Bäume wieder strippen, ging es nochmal auf die fünf Bühnen des Lollas. Eine von ihnen, die Alternative Stage, eröffnete Esther Graf um 12 Uhr Mittags. Wenngleich alles, was für sie technisch schief laufen konnte, schief lief, kämpfte sie sich trotzdem tapfer durch die Soundprobleme und sang ohne, dass sie sich selbst oder das Publikum sie einwandfrei hören konnte Songs wie „Letzte Mail“ oder „Geldautomat„. Die Leute feierten den Auftritt der Österreicherin trotzdem ab und so wurde das Worst-Case-Szenario wunderschön. Es war eben noch früh am Tage und so musste sich mit einer Runde Morgensport erst einmal eingegroovt werden.
Warm gemacht ging es rüber auf eine der beiden Mainstages, auf der der Mann mit der Sturmmaske 1986zig performte. Er freute sich über das herzliche Willkommen des Berliner Publikums und bedankte sich mit seinen Balladen, darunter auch sein allererster Song „Einer von euch“. Für ihn sei es wichtig immer das Gefühl zu transportieren, warum es wichtig ist, auf die Bühne zu gehen und zu singen. Auch wenn das anderseits bedeutet, dass seine kleine Tochter Lizzy fragt, wieso er immer so viel unterwegs sei. Heute durfte die Kleine aber ihrem Vater vom Bühnenrand aus zuschauen; natürlich stilgetreu mit weißer Sturmmaske. Eine der aufregendsten Electro-Bühnen befindet sich im Olympiastadion selbst. Die Perry Stage präsentierte die heißesten Beats der Electro-Szene. Durch die Durchgänge konnte man erspähen, dass es bei Alle Farben schon ordentlich voll war. Für uns war der nächste Act HBz jedoch interessanter, weil die beiden Jungs erfahrungsgemäß die Bühne abreißen. Sie fackelten damit auch nicht lange und hauten Hit um Hit in ihrem unvergleichlichen Stil raus. Somit feierte sich das Duo mit der Crowd von „Wildberry Lillet“ über „Hot & Cold“ bis hin zu „YMCA“ durch die Partyhymnen der Jahrzehnte. Dabei war es wie immer krass zu sehen, wie energetisch die beiden DJs zu Werke gingen und sie ihre Energie ohne Einbußen ans Publikum übertrugen. Schlechte Laune ist bei diesem Act Fehlanzeige. Daher wurden Nils und Niklas auch vollkommen zurecht eine Viertelstunde vor Ende ihres Sets von ihrem Tourmanager mit gleich zwei goldenen Auszeichnungen für je 250.000 verkaufte Einheiten für „King Kong“ und „Deine Augen“ überrascht.
Die Überraschung war mehr als geglückt und das Finale mitsamt Luftschlangenkanone machte den Auftritt perfekt. Nachfolger auf der Bühne war im Anschluss Vize, der mit einer ansprechenden Mischung aus seinen bekannten Liedern wie „White Lies“ und deepen Frequenzen und Basslines begeisterte. Für uns ging es erst einmal wieder raus, um zwei Künstler anzuschauen, die schon lange auf unserer Watchlist standen und sich innerhalb 2 Stunden und 10 Minuten die Ehre auf den beiden Hauptbühnen gaben. Die ersten 55 Minuten davon gehörten Apache 207. Wir und tausende andere haben uns wahnsinnig auf die langersehnten Live-Auftritte des Musikers gefreut, der während der Pandemiezeit kometenhaft aufstieg. Seinem Image getreu trat er in weißem Top, Jeans und Sonnenbrille auf. Highlight war dennoch seine Reise per Boot zum passenden Song durchs Publikum. Er zelebrierte sich selbst und den Moment sichtlich. Nachdem der Song „Boot“ gesungen war, sorgte seine Darbietung von „My Heart Will Go On“ für Lacher und einen einprägsamen Festivalmoment. Außerdem war es klug gemacht, dass durch die erhöhte Position es mehr Menschen möglich war, ihren Star zu sehen. Gemäß dem Hype um den 24-jährigen waren gerade die vorderen Bereiche bis zu ihrer Kapazitätsgrenze gefüllt. Zu „Roller“ eskalierte die gedrängte Menge dann vollends. Wir hatten vorab etwas Befürchtungen, dass es entweder sehr gut oder sehr schlecht hätte werden können, doch Apache 207 klang erstaunlich real und stand dem Sound von Platte in nichts nach.
Machine Gun Kelly (MGK) startete sein Set mit dem Introsong „Welcome to the Black Parade“, bevor eine Rockshow, wie sie im Buche steht, für die nächsten 75 Minuten abgehalten wurde. In typischer Rockstarmanier betrat der 32-jährige mit Zigarette im Mund, Kaffeebecher in der Hand und Sonnenbrille die Bühne. Aller diese Dinge entledigte sich der Musiker ziemlich schnell um gebührend abzurocken. Neben dem Sänger stachen vor allem seine Bandmitglieder immer wieder durch brillantes Beherrschen ihrer Instrumente hervor. Auch in der Abmischung muss MGK drauf achten nicht zu kurz zu kommen, denn das Schlagzeug war mächtig. Trotzdem ist er natürlich ein Megastar und kann sich sein extravagantes Auftreten durchaus erlauben. Schließlich ist klar, dass nicht irgendwer auf der Bühne steht, wenn der Security Mann einen Kuss dafür bekommt, dass die Zuschauerin im Austausch für einen anderen Gast noch in den ersten Wellenbrecher durfte. Auch bei so einem bekannten Act gingen die bekannten Songs am besten und so wurden „papercuts“, „bloody valentine“ und natürlich „emo girl“ am meisten von der Menge gefeiert. Auf den US-Amerikaner folgten auf der North Mainstage die Kölner Band AnnenMayKantereit (AMK). Und auch wenn man die drei Jungs meistens nur lieben kann, war MGK einfach eine ganz andere Liga. Diese Art von Qualitätsgefälle, also, dass das Line-Up zu „deutsch“ und ohne exklusiven Auftritt eines internationalen Acts blieb, waren mit die größten Kritikpunkte im Vorfeld. AMK haben trotzdem ihrerseits seit drei Jahren auf diesen Moment gewartet und waren froh wieder auf einen Festival spielen zu können. Besonders nennenswert an ihrem Set waren zum einen die Präsentationen ihrer mehr oder weniger neuen Songs, die sie während der Pandemiejahre produzierten. Zum Anderen begrüßte das Trio weitere Musikerinnen auf der Bühne, die „Du bist anders“ und „Vielleicht, vielleicht“ mit Blas- und Streichinstrumenten veredelten. Für weitere Begeisterung wurde gesorgt als AMK zum Publikum herunterkamen und einen der besagten neuen Songs performten.

Neue Songs hatten auch die Jungs von Kraftklub im Gepäck. Immerhin erschien am Vortag ihr viertes Album „KARGO“, sodass die Berlinerinnen sogleich zum Release-Konzert im Nieselregen eingeladen wurden. Zur Eröffnung gab es jedoch mit „Unsere Fans“ und „Ich Will Nicht Nach Berlin“ zunächst zwei Klassiker von den ersten beiden Alben zu hören. Damit war die freudige Stimmung von Anfang an gesichert und das Publikum tanzte sich begeistert durch die Nacht. Vom neuen Werk gab es im Folgenden unter anderem die Singles „Blaues. Licht“, „Wittenberg ist nicht Paris“ oder „Fahr mit mir (4×4)“. Bei letzterem musste man leider auf Bill Kaulitz verzichten, der unabkömmlich in Hamburg war, sodass der Feature-Part von Lotta Kummer übernommen wurde. Und auch für einen weiteren Song bekam die Band mit dem K Unterstützung aus Chemnitz. Beim Glücksraddrehen wurde von Glückskind Arthur zuckersüß ein „Kover“-Song erfreut, obwohl er sich viel mehr „500K“ gewünscht hatte. Damit dürfte es ihm wie den meisten anderen Anwesenden ergangen sein. Aber wir wollten dem Schicksal kein Schnippchen schlagen, sodass Power Plush und Blond die Bühne stürmten und alle gemeinsam „I Love It“ von Icona Pop zum Besten gaben. „Randale“ und „Chemie Chemie Ya“ führten dem Set und einem fantastischen ersten Tag sein Ende entgegen.
Für den zweiten Tag kopieren wir die Vorfreude, Begeisterung über das Gelände und Lässigkeit der Leute und fügen es noch einmal ein; jedoch mit einer klitzekleinen Änderung: Sonnenschein. Das strahlend gute Wetter machte noch mehr Lust auf den letzten Tag Open-Air. So war es am frühen Nachmittag bei Montez schon ordentlich voll. Entweder tanzte man vorne in der Menge oder tummelte sich auf der weitläufig grünen Wiese und genoss die wärmenden Strahlen. Montez, der bürgerlich Luca heißt. spielte unter anderem ein Medley seiner Features sowie den Titel „Geisterstadt“ von dem sein Vater sagen würde, er klänge wie von Wolfgang Petry. Ob dies auch die Einschätzung zu seinem neuen Echt-Cover ist, blieb fraglich, aber von „Keine Antwort“ haben wir bis jetzt einen Ohrwurm. Danach fing das Stage-Hopping ein bisschen für uns an, weil wir Drangsal, Nina Chuba, Lari Luke, Anne-Marie, Alice Merton und Imanbek irgendwie alle sehen beziehungsweise fotografieren wollten. Also aufteilen und Anfänge und Enden schauen. Dabei blieb zu sagen, dass der Anfang von Drangsal erst einmal stark war, da er zunächst vier Songs durchpowerte, bevor er sich überhaupt richtig vorstellte. Mit Drangsals Küsschen für den Gitarristen, verabschiedeten uns zur kleineren Alternative Stage, die für Nina Chuba vollkommen überlaufen war. Der Hype war spürbar und man hatte keine Chance am Wochenende an „Wildberry Lillet“ vorbeizukommen. So wurden schnell Fotos geknipst und weiter gegangen ins Stadion um sich von Lari Luke’s Bässen durchschütteln zu lassen. Zur „La passión“ forderte die Djane, dass alle ihre spanischen Luftgitarren rausholen sollten und das Publikum tat wie ihnen gehießen. Wenngleich wir Anne-Marie schon auf dem ungarischen Sziget-Festival sehen durften, wollten wir trotzdem noch einmal ihre einzigartige Präsenz erleben. Dahingehend enttäuschte die sie nicht und performte stark ihre Songs, bei denen das Publikum sie textsicher unterstützte.

Alternativ konnte man in der Zeit auch reichlich anderes machen, da auf dem Gelände mehr als genügend Rahmenprogramm geboten wurde. Vom Festival-Crush heiraten übers Aufhübschen des Festival-Make-Ups oder Anschauen einer Roboter-Schrottband bis hin zum Grünen Kiez mit unter anderem Live Podcasts wurde wirklich viel geboten. Auch ein Besuch auf der etwas abseits gelegenen, aber super süß gestalteten Fläche des Kidzpaloozas lohnte sich für etwas Ablenkung von der lauten Festivalatmosphäre. So oder so kam keine Langeweile auf. Als nächstes stand Loredana auf der Mainstage South an, oder eher gesagt nicht, weil ihr DJ erst einmal acht Minuten lang den Anheizer mimte. Das gibt uns die Möglichkeit an dieser Stelle zu erwähnen, dass wir erfreulicherweise mehrere weiblich gelesenen Personen auf diesem Festival anschauen konnten als auf allen anderen, die wir diesen Sommer besucht haben. Fast ein Viertel des Line-Ups waren Finta, was zu einem offiziellen Ranking von 22,7 % führte. Lollapalooza, so können wir gerne machen!
Ein männlicher Act zog die Massen danach jedoch wieder in Scharen an. Dabei handelte es sich um niemand Geringeren als Benjamin Griffey aka Casper, der obendrein mit seinem Auftritt seinen 40ten Geburtstag feierte. Sein Dreiakter um Verzweiflung, Wut und Hoffnung wurde immer wieder von Ständchen aus dem Publikum oder von Feature-Gast Drangsal dargeboten. Somit hatte Casper die ganze Zeit sichtbar gute Laune, die er so richtig in seine 13 ausgesuchten Songs steckte. Highlight der 60 Minuten auf der mit Blumen eingerahmten Bühne war der Auftakt zu „Adrenalin“ als Casper zum Schlagzeugstakkato schnell und intensiv rappte. Zwar dauerte der Moment nicht lange, aber diese Sekunden um Zusammenspiel von Schlagzeug, Rap und Licht waren die geilsten. Nach „Billy Jo“ zeigten die LED-Wände die Aufforderung nach „Nie wieder Krieg“, bevor sie am Ende das unverkennbare „Lollapalooza wär schön und nichts tat weh“ anzeigten. Damit wurden zugleich die letzten Acts des Sonntages eingeläutet. Die Fantastischen Vier, Tiesto und Seeed holten noch einmal alles aus dem Publikum raus und vollendeten ein letztes, wahnsinnig gutes Open-Air-Festivalwochenende