Mit ihrem dritten Studioalbum „Before It Might Be Gone“ schlagen The Vices aus Groningen eine neue, introspektive Richtung ein. Nachdem die Band auf ihren vorherigen Werken gesellschaftliche Themen und äußere Einflüsse beleuchtet hat, steht diesmal die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und persönlichen Entwicklung im Fokus. Das Album ist ein ambitioniertes Projekt, das sich der Herausforderung stellt, Veränderung als komplexen und oft widersprüchlichen Prozess darzustellen – eine mutige Entscheidung, die nicht in jedem Moment vollends aufgeht.
Wo die ersten Alben der Band mit energetischem Indie-Rock und einer klaren Botschaft zu gesellschaftlichen Missständen punkteten, bewegt sich „Before It Might Be Gone“ in deutlich persönlicheren Gewässern. Die Band zeigt eine neue, verletzlichere Seite, was in der Theorie viel Potenzial birgt. Doch diese Abkehr von der äußeren Perspektive hin zur Selbstreflexion sorgt nicht immer für den emotionalen Tiefgang, den man erwarten könnte. Die Themen Selbstfindung, Veränderung und Akzeptanz sind universell und wichtig, aber stellenweise wirken die Aussagen des Albums zu allgemein, um nachhaltig Eindruck zu hinterlassen.
Musikalisch zeigt sich „Before It Might Be Gone“ jedoch weiterhin solide. The Vices bleiben ihrer Handschrift treu und setzen auf gut arrangierte Stücke, die ihre Indie-Wurzeln erkennen lassen. Gleichzeitig wagen sie sich an ruhigere und experimentellere Klänge heran, die zur introspektiven Natur des Albums passen. Dennoch fehlt manchmal der packende Drive, der die früheren Werke der Band so unverwechselbar gemacht hat. Die rohen, fast rebellischen Momente, die auf den ersten beiden Alben präsent waren, treten in den Hintergrund, was einerseits zu der intimen Atmosphäre beiträgt, andererseits aber auch dafür sorgt, dass das Album gelegentlich etwas gleichförmig wirkt.
Verglichen mit den Vorgängeralben fehlt es „Before It Might Be Gone“ an der unmittelbaren Emotionalität, die The Vices bislang auszeichnete. Es ist ein ehrlicher Versuch, sich mit eigenen Schwächen auseinanderzusetzen, und zweifellos ein notwendiger Schritt in der künstlerischen Weiterentwicklung der Band. Doch der Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen, mündet nicht immer in der gleichen Präzision und Stärke, die The Vices in der Vergangenheit bewiesen haben. „Before It Might Be Gone“ ist ein Album, das nachdenklich stimmt, aber nicht vollends überzeugt – und dennoch zeigt, dass The Vices bereit sind, zu wachsen und neue Wege zu gehen.
Fotocredit: Milenco Dol Hori