Eine kahle Gefängniszelle, graue Wände, nicht ein einziges Fenster. Im schmalen Lichtkegel steht die stark lädierte Cloudy June und performt ihre neue Single: »Crazy Woman«. Bei oberflächlichem Hinsehen mag sich kaum erschließen, warum das von Adam Munnings realisierte Musikvideo ausgerechnet im Knast spielt — und doch hätte es zur Bebilderung des Songs kein passenderes Setup geben können.
„Crazy Woman“ erzählt die Geschichte einer Frau, der in toxischen Partnerschaften wieder und wieder eingeredet wurde, dass sie verrückt, verhaltensgestört, cholerisch, launisch, sprunghaft, kompliziert oder gar zu sensibel sei. Irgendwann hat diese Frau angefangen, all diesen Darstellungen selbst zu glauben, Fremdwahrnehmung und Realität miteinander zu verwechseln und jeden noch so haltlosen Vorwurf gegen ihre Person aufreibend zu zerdenken. Während einer schwierigen Lebensphase, in der sich zwischenmenschliche Konflikte und Krisen multiplizierten, wäre sie um ein Haar wirklich wahnsinnig geworden — zwischen imaginierten Gefängnismauern aus gesellschaftlichen Normen, Stigmatisierungen und ungerechten bis schlichtweg falschen Zuschreibungen: »From miles away I hear them say: ‚Crazy woman walking down the street‘«.
Es liegt auf der Hand: Cloudy June hat die Geschichte der beschriebenen Frau selbst durchlebt — und sie im Namen unzähliger anderer Frauen in einem empowernden Song verarbeitet. In „Crazy Woman“ dreht sie das patriarchale Schablonendenken von der vermeintlich verrückten, manipulativen Herzensbrecherin auf links, codiert abwertende Floskeln selbstermächtigt ins Positive um und stellt klar: »Behind every crazy woman there’s a man who made her cry«. „Crazy Woman“ ist ein mutmachender, energetischer Song, transportiert im direkten Kontrast dazu aber auch Wut und Verzweiflung. Cloudy Junes Stimme wird von einer dramatischen, zunächst balladesk angelegte Pop-Produktion untermalt, die im Laufe ihrer Dramaturgie an Tempo gewinnt und sich zu einem treibenden EDM-Banger hochschraubt. Leiernde Synths kulminieren mit sehnsuchtsvollen Latin-Guitar-Sounds, bevor „Crazy Woman“ in der an Roy Orbisons Klassiker „Oh Pretty Woman“ angelehnten Hook seinen 4-to-the-Floor-Charakter in voller Breite entfaltet. Der Songs ist 2023 im Zusammenspiel mit Linnea Södahl, Victor Thell und Jonas Jurström 2023 in Stockholm entstanden.
Fotocredit: Laura Keimel