Mit ihrem Debütalbum „FLEISCH“ hat Mia Morgan die dunkleren Facetten des Lebens und der Liebe erkundet – düster, morbide, schonungslos ehrlich. Nun meldet sich die Kasseler Künstlerin mit „silber“ zurück, einem Album, das ebenso tief geht, aber dabei einen neuen Ton anschlägt: reflektierter, kämpferischer und zugleich hoffnungsvoller. Zwischen persönlichen Erfahrungen in der Musikindustrie, feministischen Perspektiven und dystopischen Zukunftsvisionen zeigt sich Mia selbstbewusster als je zuvor. Im Gespräch mit uns dem Frontstage Magazine erzählt sie, warum sie diesmal mehr Kontrolle über ihr eigenes Schaffen übernommen hat, wie Wuppertal ihre Kreativität beeinflusst hat und warum „silber“ musikalisch Neuland für die deutsche Alternative-Szene betritt.
Frontstage Magazine: Dein Debütalbum „FLEISCH“ war stark von düsteren, morbiden Themen geprägt. Inwiefern unterscheidet sich „silber“ musikalisch und inhaltlich davon? Gibt es eine neue erzählerische oder emotionale Richtung, die du verfolgt hast?
Mia Morgan: Während ich „FLEISCH“ als eine Art auf die frühen Zwanziger ausgedehnte Coming Of Age Geschichte erzählen wollte, habe ich mich für „silber“ thematisch eher an gegenwärtigeren Umständen orientiert. Es geht viel um meine bisherige Zeit als Teil der Musikindustrie, somit natürlich auch wieder um feministische Positionen, diesmal allerdings im Arbeitskontext, weniger im Privaten. Während ich „FLEISCH“ als rückwirkend als romantisch, aber lebensverneinend empfinde, ist „silber“ trotz aller, ich sage mal, Abgeklärtheit, hoffnungsvoller. Themen wie Krankheit in der Familie, die eigene Vergänglichkeit oder das Ende der Welt sind genau so präsent wie persistierender Optimismus und der Glaube daran, dass man am Ende der dunkelsten Nacht noch immer selbst ein Feuer legen kann. So habe ich die Texte für „silber“ gleichermaßen zeitloser, als auch kontemporärer gestaltet. Wir alle setzen uns ja viel mit dystopischen Zukunftsvisionen auseinander. Klar geht’s in dem ein oder anderen Song auch wieder um zwischenmenschliche Beziehungen. Während ich auf „FLEISCH“ oft meine Rolle als „Leidtragende“ in einer romantischen oder sexuellen Konstellation beschrieben habe, ermächtige ich mich auf „silber“ der vollen Kontrolle. Ich bin mir auch in vermeintlich „toxischen“ Konstrukten meines Handelns bewusst, es geht also weniger um das, was mir angetan wird, als das, was ich bewusst suche.
Frontstage Magazine: Du hast „silber“ nicht in Berlin, sondern in einem Studio in Wuppertal-Vohwinkel aufgenommen. Warum hast du dich bewusst für diese Umgebung entschieden, und wie hat sie die Entstehung des Albums beeinflusst? Hat der Tapetenwechsel deinen kreativen Prozess verändert?
Mia Morgan: Das war viel mehr eine Frage der praktischen Arbeit, denn eine bewusste Entscheidung für einen Ort. Wenige Wochen vor Bekanntgabe der VÖ von „silber“ war ich noch der festen Überzeugung, es würde bloß eine EP. Die Entscheidung, doch ein Album draus zu machen, habe ich sehr spontan getroffen. Ich hatte mir bis dato immer vorgestellt, Album Zwei auf einem Hof, präferiert in der „Cathedral“ von Toby Siebert auf dem Land nahe Polen aufzunehmen. Da mein Produzent, Gitarrist und Musical Director Lukas Korn aber sein eigenes Studio in Wuppertal-Vohwinkel hat, und wir in unserer Freizeit eh immer an neuer Musik sitzen, sind wir einfach dort geblieben, haben uns eingeschlossen und drauf los gearbeitet. Es hat gut getan, mich ohne Dinner-Date-Verpflichtungen in Mitte nach den Sessions oder Labelgespräche in Kreuzberg davor, wie’s während des ersten Albums war, den ganzen Tag der Musik widmen zu können. Wuppertal ist meiner Heimatstadt Kassel sehr ähnlich, und von dort aus auch gut zu erreichen. Statt auszugehen und Sessions irgendwie in einen Alltag zu zwängen, haben die Sessions unseren Alltag bestimmt. Da haben wir vergessen, zu essen, kaum geschlafen, und, auch, weil’s im Studio dort keine Fenster gibt, gar nicht mehr so richtig gewusst, wie viel Uhr und welchen Tag wir haben.
Frontstage Magazine: Für „silber“ hast du eng mit langjährigen Freunden und musikalischen Weggefährten zusammengearbeitet. Wie hat diese persönliche Verbindung die Produktion und den Klang des Albums geprägt? Gab es Momente, in denen diese Zusammenarbeit besondere kreative Impulse gegeben hat?
Mia Morgan: Für mich ist Musik und Kunst etwas so intimes, dass ich mich selbst der Zusammenarbeit mit Vertrauten echt lang verwehrt habe. Für zwei, drei Songs auf dem Album haben erstmalig Dritte mitgeschrieben, es ist für mich undenkbar, Stand Jetzt Fremde in die kreativen Prozesse zu involvieren. Während ich persönlich total gern an den Prozessen anderer Künstler:innen beteiligt bin. Es ist super schön, mit Leuten zu arbeiten, die man lieb hat, auch, wenn es einige Fallen birgt. Man kann einander nicht immer fair beurteilen, alles wird hochemotional. Ich kann immer nur hoffen, dass es allen anderen, die daran beteiligt sind, auch nur ein Zehntel von dem bedeutet, was es mir bedeutet. Allgemein hatte ich aber den Eindruck, alle, die mitgemacht haben, ob an Songs oder Videos, hatten Spaß. Alles, was wirklich mit dem kreativen Prozess selbst zu tun hatte, hat sich super natürlich und richtig, richtig schön angefühlt.
Frontstage Magazine: Statt mit einem klassischen Label zu arbeiten, hast du „silber“ über dein eigenes Nicht-Label „WIEDERGÄNGER“ veröffentlicht. Welche Vorteile hatte diese Unabhängigkeit für dich? Gab es Herausforderungen, die du ohne ein großes Label meistern musstest?
Mia Morgan: Stand Jetzt muss ich die Bilanz ziehen, dass ich sehr gerne mein eigener creative Director, meine eigene Videoproduzentin und Songwriterin bin, aber definitiv nicht dafür geeignet, mein eigenes Label zu sein. Es war anfangs ein tolles Gefühl, alles selbst in die Hand zu nehmen und ich will mir erlauben, stolz darauf zu sein, dass ich’s geschafft habe, mehr oder weniger allein eine richtige Albumkampagne auf die Beine zu stellen, aber ab dem Moment, in dem meine Songs nur noch Zahlen waren, es nur noch um Anträge, Lizenzen, Streaming-Nummern und Geldbeträge ging, ist ein großer Teil der Seele des Schaffens verkümmert. Ich konnte für den bisherigen Rollout von „silber“ nicht einfach nur Künstlerin sein, so, wie ich’s eigentlich gerne hätte, sondern musste in so ziemlich jeder erdenklichen Management- und Labelposition aus dafür sorgen, dass alles klappt, alles beantwortet, beantragt und erledigt wird. Respekt an alle, die das so machen. Ich möchte es nicht schöner reden, als es bisher ist, psychisch hat mich diese Art und Arbeit wirklich kaputt gemacht. Aber leider habe ich märtyrerhafte Züge und kann mir, nur, weil’s so schwer war, ein kleines bisschen Stolz zugestehen. Vielleicht entscheide ich mich, so weiterzumachen, und habe jetzt genug Erfahrungen gesammelt, um’s besser im Griff zu behalten, vielleicht ergibt sich aber auch wieder eine Kooperation mit einem anderen Label. Das wird die Zeit richten.
Frontstage Magazine: Das Albumcover, die Musikvideos und das gesamte visuelle Konzept von „silber“ wirken sehr stimmig. Inwiefern spiegeln diese visuellen Elemente die inhaltlichen Themen des Albums wider? Welche Geschichte oder Emotionen willst du damit transportieren?
Mia Morgan: Ich hatte, wie schon bei meinem ersten Album, lang vor Fertigstellung der Songs selbst eine sehr konkrete Vorstellung von der visuellen Umsetzung. Für „silber“ wollte ich ursprünglich in einer Ritterrüstung posieren, mich da auf ein ziemlich bekanntes Foto von Fiona Apple beziehen und Jean Of Arc referieren. Leider hat Chappell Roan, die ich sehr schätze, eine Woche vor meinem Covershoot bei den VMAs in einer Rüstung performt und dann dachte ich mir, es käme vielleicht blöd, so knapp darauf mit genau dieser Idee zu folgen. Also sind wir Richtung Feen-Kriegerin gegangen, ich hab kurzerhand ein wunderschönes Kleid maßgeschneidert bekommen, das durch Polsterungen und eine Korsage zumindest in Teilen an eine Rüstung erinnert. Ich wollte mit der visuellen Ebene des Album das selbe tun, wie mit Song wie „silbertablett“ oder „(spielen mit den großen) JUNGS“- nämlich irgendwie herausfordern. Visuell mit der Klinge des Schwertes, aber eben auch mit dieser Pose, in einer zeitlosen Umgebung, die irdisch oder in einer Weltraum-Dystopie sein könnte. Das Album selbst stellt in vielen Stücken die Frage nach dem, was war, was ist und was kommen soll. So lässt sich auch die Bildwelt genau so gut ins Mittelalter, als auch eine ferne, dystopische Zukunft verorten.
Frontstage Magazine: Du hast einmal gesagt, dass du musikalisch von Alternative-Rock der 2000er Jahre beeinflusst wurdest. Wie zeigt sich dieser Einfluss konkret auf „silber“? Gibt es bestimmte Bands oder Sounds, die dich inspiriert haben?
Mia Morgan: Das Comeback von Linkin Park war für mich irgendwie das überirdische „Okay, go“, das ich mir gewünscht habe. Die alten Songs der Band haben Lukas und ich nämlich im Studio rauf und runter gehört, das merkt man „silber“ auch an. Besonders „Meteora“ hat mich sehr inspiriert. Außerdem natürlich Bring Me The Horizon, „amo“ noch mehr als die jüngsten Werke, weil’s mehr mit Alt Rock kokettiert, und kontemporärer Metalcore von Poppy oder Bad Omens, als aber auch neues und altes aus UK, wie The Prodigy, Wargasm, Cassyette, etc. haben mich inspiriert. So was in die Richtung gibt’s in DE gerade nicht, was es für mich nur reizvoller gemacht hat, zu schauen, wohin man damit gehen kann. Gerade, weil die Texte ja auf Deutsch sind, und man vielleicht meinen sollte, das funktioniert nicht. Für mein Gefühl funktioniert es auf „silber“, vielleicht haben wir uns einfach angemaßt, es funktionierend zu machen.
Frontstage Magazine: Viele Songs auf „silber“ scheinen sich um Selbstfindung und Emanzipation zu drehen. Welche Botschaft möchtest du den Hörer*innen mit diesem Album mitgeben? Gibt es einen roten Faden oder eine zentrale Emotion, die sich durch die Songs zieht?
Mia Morgan: Es sind und waren ja schon immer eher die Emotionen, für die wir uns vielleicht ein bisschen schämen, die uns quälen oder vermitteln, wir seien keine guten Menschen, die ich in meinen Songs erkunden will. Auf „silber“ geht es viel um Neid, Leistungsdruck und Existenzängste. Trotzdem ist das Album, wie bereits erwähnt, für mein Gefühl wesentlich optimistischer und dem Leben mehr zugetan. Wenn’s eine Kern-Aussage gibt, dann vielleicht die, dass zwar alles ziemlich scheiße ist, man aber immerhin sich selbst und dieses Leben hat, also sollte man versuchen, für seine Rechte einzustehen, einen Platz zu beanspruchen und für das zu kämpfen, was man liebt und was man ist.
Fotocredit: Can Wagener