Das sagt Peter Doherty mit beträchtlichem Understatement, den Hund Gladys zu seinen Füßen, die zweijährige Tochter Billie-May und Ehefrau Katia in der Nähe. Er ist ein Songwriter, der mit dem vierten Libertines Studioalbum All Quiet On The Eastern Esplanade 2024 seinen Status als Nummer-1-Artist wiedererlangte. Das Timing war ein Glücksfall, denn der Nummer-1-Triumph des Albums kam zwanzig Jahre nach dem Nummer-1-Album von The Libertines, damals, im Chaos von 2004.
“The album was received very well, commercially and critically and more importantly they were new songs we couldn’t wait to play live,”sagt Peter. Auch die Libertines-Tournee 2024 im Vereinigten Königreich war ein voller Erfolg, restlos ausverkauft und die Nachfrage nach weiteren Terminen war groß. Kein Wunder, dass die Stimmung im gesamten Libertines-Lager ausgelassen war und ist.
“Definitely,” sagt Peter. “ I was just happy with the album really but all the people around me, managerially, all the lads in the band, there’s a lot of comfort, a lot of happiness, a feeling of success.”
Es ist dieser beschwingte Geist, der auch Peter Dohertys fünftes Soloalbum Felt Better Alive durchdringt, eine herrliche Sammlung poetischer Vignetten, sowohl akustisch als auch orchestral, Indie-Folk und Country, ergreifend und manchmal geradezu komisch.
“They’re not necessarily happy songs but there’s something uplifting about them, even when they’re about something melancholy,” beschreibt Peter. “It’s a group of songs that I really love, and, you never know, the world might agree!”
Die Welt wird ziemlich sicher zustimmen. Felt Better Alive ist seine bisher selbstbewussteste Solosammlung, gespickt mit Verspieltheit, manchmal fast unschuldig, durchzogen von Peter Dohertys unverkennbarem melodischen Scharfsinn, skurrilem poetischem Realismus und visuellen Erzähltalenten. Die Songs entstanden in einer ganz besonderen Zeit: als Katia mit Billie-May schwanger war.
“Around the time that Billie-May was in the belly and around the time she was born I had a very creative spurt,” sagt Pete. “I wrote four or five of these songs in that time, at home, while we were putting together the Libertines album. A couple I would’ve taken to Carl – what about this? – and they just didn’t seem right for the Libs album. And they just kept stacking up.”
Sie begannen in einer idyllischen ländlichen Umgebung, dem Dorf in der Normandie, in dem Peter und seine Familie leben, in einem Haus, das einst Katias Großvater gehörte, “in the main room, with a spectacular view down onto the sea, and the cliffs, it’s epic”. Ermutigt holte er sich seinen Freund, den Produzenten und Musiker Mike Moore ins Boot, der bereits Baxter Dury produziert hat und in Liam Gallaghers Band Gitarre spielt, und die beiden machten das Album fertig für die Veröffentlichung auf Peters eigenem Label Strap Originals. 11 Songs kamen dabei heraus, die auf flotte, druckvolle 26 Minuten und 43 Sekunden gekürzt wurden: “Short, but it feels like the right length.”
Die akustische Lieblichkeit von ‚Calvados‘ eröffnet das Songbook, die Geschichte eines Obstgartens, die sich in einer üppigen, von Streichern durchtränkten Träumerei entfaltet. ‚Pot Of Gold‘ ist seine schöne, lustige, orchestrale Serenade an Billie-May. „Daddy’s trying to write you a lullaby so sweet“, singt Peter sanft. “And if that lullaby is a hit/Dad can buy you loads of cool shit…” ‚’The Day The Baron Died‘ ist die Originalversion von ‚The Baron’s Claw‘ auf dem Esplanade-Album (aus rechtlichen Gründen umbenannt), eine Shack-ähnliche Atmosphäre, die in eine Beatles-Hommage übergeht, während ‚Stade Océan‘ eine treibende, klingende Verträumtheit ist. Knackige Gitarren, schrullige Geigen und ein Hauch von komödiantischer Absurdität prägen das fabelhaft betitelte ‚Out Of Tune Balloon‘, in dem Peter von Ducky Lucky, Goosey Loosey und der Natur seiner eigenwilligen Arbeitsweise in einer immer stromlinienförmigeren Welt singt: “So I float out of tune balloons/Across the great corporate sky…”
Die erste Single ‘Felt Better Alive’ ist ein Kracher, der an The Coral erinnert, ein fröhlicher, hüpfender Lobgesang auf alte Songs, in dem Tourniquets und ein Rastplatz in Telford erwähnt werden, mit der herrlichen Pedal-Steel-Gitarre von Mark Neary (einem renommierten Session-Musiker, der mit Noel Gallagher, Adele und Baxter Dury gespielt hat).
“If I could’ve written any song, ever, it would’ve been ‘Pancho and Lefty’ by Townes Van Zandt,” sagt Pete. “This mournful ballad, about two friends, outlaws, but musicians. It’s me trying to write that, in a way. But instead of Colorado, it’s Telford.”
Es folgt das ausgelassene ‚Ed Belly‘, die Geschichte eines träumenden Musikers, der durch die Staaten reist, mit Honky-Tonk-Piano und einer umwerfenden Klarinette, während der einzige wirklich düstere Moment des Albums mit dem dissonanten ‚Poca Mahonney’s‘ kommt, mit der wunderbaren irischen Sängerin Lisa O’Neill, der Geschichte eines finsteren Geistlichen. ‘Fingee’ ist eine regelrechte Komödie, die stellenweise an Captain Beefheart erinnert und in gespenstische Schwermut abgleitet, während ‘Pretre De La Mer‘, eine klirrende, jazzige Hommage an das Meer, mit gesprochenen Worten von Peters lokalem französischem Priester, dahinplätschert. Das abschließende ‘Empty Room’ führt uns zu Petes einzigartiger akustischer Schönheit zurück, wo er über die Art und Weise nachdenkt, wie er früher Songs geschrieben hat, oft allein, in leeren Räumen. Aber das ist jetzt vorbei, denn seine Zimmer sind jetzt mit den Menschen gefüllt, die er liebt.
Warum der Titel Felt Better Alive?
“It’s hard to put it into words. That’s why I wrote the song, I suppose. I was gonna call the album If You Can’t Fight, Wear A Big Hat. But my manager talked me out of it. It’s connected to not being in an opiated state, maybe? It took me so long to give up drugs because it took me a long time to feel alright without it, y’know? It’s an odd expression, Felt Better Alive, because how does it feel to be dead? But in a strange way, I think I know how it feels, to be dead.”
Achtundzwanzig Jahre nachdem The Libertines 1997 in unser Leben getreten sind, hat Pete Doherty ein extremes, chaotisches Leben geführt, oft mehr Chaos als Musik, mit unzähligen Missgeschicken im Drogenmilieu, in Polizeizellen, im Gefängnis und einer gnadenlosen Boulevard-Berichterstattung. Aber das ist jetzt alles vorbei. Heute ist er neben seiner Solokarriere nicht nur Besitzer eines Labels, sondern auch Dreh- und Angelpunkt von drei Bands: The Libertines, deren Tournee 2024/2025 im Februar wieder beginnt; die Puta Madres, sein multinationales, sechsköpfiges Musikerkollektiv; Babyshambles, deren Mitglieder für Ende 2025 eine Reformationstournee planen.
“I’m blessed to just be here,” sagt der Peter Doherty von heute.
Hat er etwas aus seinem Leben der Extreme gelernt? Führte der Weg des Exzesses zum Palast der Weisheit?
“Funny you ask that cos I was fumbling around in my pockets earlier and I found this…”
Er fischt aus seiner Manteltasche eine schöne, brünierte, antike Schnupftabakdose aus Holz, auf deren Deckel die Worte eingraviert sind: ‘Wise Men Learn By Other Harms.’. Er öffnet sie und sie ist leer: In Peter Dohertys Schnupftabakdose befinden sich keine Drogen mehr.
“I could probably put together a survival guide! ‘Things I Learned By Other Harms’. Physically I’ve done a lot of damage, my lungs are pretty shattered. But I feel alright. And there’s more adventures to come. It’s trips to the park now. Billie-May getting on a swing by herself, amazing. It doesn’t have to be illegal, anymore.”
Heute ist er nicht nur ein Überlebenskünstler, sondern ein kreatives Kraftpaket mit mehr Projekten, Plänen und Gründen, am Leben zu bleiben, als er je hatte. Und im Jahr 2025, dem Jahr, in dem er 46 Jahre alt wird, bringt er uns mit Felt Better Alive einige der smartesten, schwungvollsten und charmantesten Songs seines stets melodischen Lebens.
“It’s mad busy,” sagt er mit einem Lächeln “And it’s all stuff from my heart. I write songs, I play songs. It’s what I do.”
Tourdaten Mai 2025
01.05. Köln, Die Kantine
02.05. Berlin, Festsaal Kreuzberg
03.05. Leipzig, Täubchenthal
05.05. München, Technikum
Fotocredit: Kevin Randy Emmers @Rolling Stone Beach 2024