Man kann Konzeptbands mögen oder nicht – wenn es aber um das Gestalten von immersiven Welten geht, kommt man nur schwer um die Band Starset aus Columbus herum. Die Gruppe rund um den Frontmann Dustin Bates hat sich durch ihre Musik, die dazugehörigen Musikvideos sowie zwei eigenen Romanen und insbesondere durch ihre außergewöhnlichen Bühnenperformances ein eigenes Cinematic Universe errichtet, das Jahr für Jahr immer mehr Fans begeistert. Storytechnisch wird sich dabei mit einer nahen dystopischen Zukunft auseinander gesetzt, in dem die exzessive Nutzung von Technologie zu einem drohenden Kollaps und sozialen Spaltungen führt. Die Band selbst nimmt im Rahmen dieser Erzählungen die Rolle der Übermittler dieser Gefahren, aber auch die Rolle des aktiven Widerstandes gegen den „New East“ ein.
Nun konnten sich nach rund anderthalb Jahren Wartezeit auch die deutschen Fans wieder an diesem besonderen Erlebnis erfreuen, als Starset am vergangenen Montagabend auf ihrer aktuellen Europatour „Immersion – The Final Chapter“Station im Docks in Hamburg gemacht haben. Grund zur Sorge besteht für Fans aber glücklicherweise nicht, denn dies markierte nicht das letzte Kapitel der Band, sondern lediglich den letzten Abschnitt ihrer „Immersion“–Reihe, die bereits 2017 rund um das Album Vessels ihren Beginn gefunden hatte. So endete dieses Kapitel mit dem einzigen Zweck, direkt ein neues beginnen zu lassen und so Räume für neue Handlungsstränge zu ermöglichen. Wurden Starset viele Jahre am ehesten durch die Weltraumanzüge definiert, die lange Teil der Show waren, so wurde zur aktuellen Tour wieder einiges an optischen wie technischen Neuerungen oben drauf gelegt, um gemäß dem Tourmotto das Erlebnis für alle Beteiligten so immersiv wie möglich zu gestalten.
Das auffälligste und gelungenste Element waren dabei acht unscheinbare, mit LEDs bespickte Ventilatoren, die es an der vorderen Bühnenkante ermöglichten, echte Hologramme darzustellen und auf diese Weise eine völlig neue Ebene der erweiterten Realität schafften. So flackerten mal die Lyrics eines Songs in der Luft, während nur wenig später große, eindrucksvolle Bilder die Zuschauer in ihren Bann zogen und nicht selten das Docks für einen kurzen Moment in hörbares Erstaunen hüllte. Neben einer starken Lichtshow wurde extra für diese Tour ein rund 30-minütiger Kurzfilm gedreht, der sich mit dem Schicksal einzelner Personen innerhalb der bandeigenen Lore auseinandersetzte: Es geht um Abhängigkeit von Technik, das Umgehen mit und das Erdrücken durch Verantwortung sowie um persönliche Schicksale. Zwischen den einzelnen Szenen dieses Films spielten Starset die thematisch passenden Songs und kreierten auf diese Weise zusammen mit den bereits erwähnten Elementen ein immersives Filmerlebnis. Auch outfit-technisch wurde dieses Mal im Vergleich zur vergangenen Horizons-Tour der nächste Schritt gegangen. So finden sich die Bandmitglieder die meiste Zeit in dystopischen Rüstungen wieder, bei denen jeder Cyberpunk-Fan vor Neid erblassen würde. All diese Elemente sind Teil eines einzigartigen Konzeptes, das Starset von vielen anderen Bands auf so vielen Ebenen hervorhebt.
Untertitelt wurde die aktuelle Tour mit „An Evening with Starset“, weshalb die Band selber ohne vorherigen Supportact den Abend pünktlich um 20:30 Uhr eröffnete. Die Show ließ sich lose in drei Akte unterteilen, während der erste Part der größte war und sich eng am Konzept orientierte. Nach einer Einleitung, welche die Zuschauer in die folgenden Geschehnisse des Abends hineinführte, spielten Starset mit Unbecoming und Carnivore die ersten beiden Titel der 20 Songs langen Setlist. Es folgte ein Querschnitt durch alle Alben, unter denen es auch einige neue Songs zu hören gab, die auf der aktuellen Tour zum ersten Mal im Live-Repertoire zu finden sind. Der Kollabosong mit der befreundeten Band Breaking Benjamin mit dem Titel Waiting On The Sky To Change (2022) ist dabei ein Remake des gleichnamigen Songs der früheren Band Downplay des Sängers Dustin Bates. Wenig später folgte mit dem im Mai erschienenen Brave New World die erste von bisher drei erschienenen Singles des bis dato zumindest offiziell unangekündigten fünften Albums von Starset. Spätestens mit dem dritten Song Manifest vom 2019er Longplayer Divisions gab es für die anwesenden Fans kein Halten mehr: Insbesondere bei Fan Favorites wie Trials vom selben Album oder beim Song Infected des zuletzt erschienen Horizons (2021) Albums sang die komplette Halle mit, es wurde getanzt und gesprungen und vereinzelt haben sich auch Crowdsurfer unter beziehungsweise auf die Menge getummelt, auch wenn letztere ein für Starset-Shows eher unübliches Phänomen sind.
Nach einiger Zeit folgte eine kleine Intermission, welche einerseits die Zuschauer durch einen kleinen Erklärfilm weiter in das Banduniversum einführte, andererseits aber auch als kleine Umbau- sowie Umzugspause diente, um in den nächsten Akt der Show reinzuführen. Nach einem kleinen Countdown betraten Starset wieder die Bühne und gaben mit Degenerate die zweite der neuen Singles zum Besten. Die Hologramme waren verschwunden, dafür wurden nun eindrucksvoller Laser zum visuellen Element der Show. Dieser Teil des Abends löste sich nun ganz vom immersiven Ansatz des Konzertes und ließ Starset für einige Songs zur „normalen“ Band werden. Die Rüstungen wurden gegen die bandeigene Uniform getauscht, die es rein zufällig auch am Merchstand käuflich zu erwerben gab. Es folgten viele Songs des Debütalbums Transmissions (2014), ehe mit dem wahrscheinlich bekanntesten Song der Band My Demons das Konzert ein vorläufiges Ende gefunden hatte. Verständlicherweise war das komplette Docks nach diesem Song stimmungsmäßig auf einem Höhepunkt und forderte eine Zugabe. Es folgte das große Finale und gleichzeitig mit TokSikdie neueste Single. Die Band hatte sich passend zum Wesen des Songs in grüne Overalls samt Atemschutzmasken gehüllt. Mit jubelndem Applaus verabschiedeten sich Starset nach diesem Titel von der Bühne, ehe ein finaler Epilog zur Storyline des Abends über den LED-Screen flimmerte und die „Immersion“ des Abends für beendet erklärte – allerdings nicht ohne einen kleinen, aber feinen Teaser auf den Frühling 2025.
Wenn man sich die Geschichte und die vielen verschiedenen Entwicklungsstufen der Band anschaut, lässt es sich mit Leichtigkeit sagen, dass die aktuelle Show von Starset ihre bisher mit Abstand eindrucksvollste ist. Insbesondere wenn man bedenkt, dass sie Anfang 2023 auf ihrer „Horizons“–Tour nur wenige Meter entfernt im Grünspan das kleinste Konzert der damaligen Tour gespielt haben, war der Auftritt im Docks sowohl mengenmäßig als auch inszenatorisch ein großer Sprung nach vorne, den man alleine dem großen Support und Vertrauen der stetig wachsenden Fangemeinde zu verdanken hat. Man bekam das Gefühl, dass sich Starset nun beinahe genau dort befanden, wo sie immer sein wollten und das auf die Bühne gebracht haben, wofür die Band steht und was sie erreichen will. Dies deckt sich auch mit den Visionen, die Frontmann Dustin Bates immer wieder in verschiedenen Interviews hat durchblicken lassen, im Rahmen der gegebenen Mittel das bestmögliche aus dem Projekt heraus zu holen. Bereits zur vorherigen Tour wurde mit dem Einstieg des Multi-Instrumentalisten Cory Juba als siebtes Bandmitglied auf musikalischer Ebene genau das erreicht, wovon Bates immer geträumt hat. In der Anfangszeit, als Starset lediglich zu viert unterwegs waren, spielte er noch sämtliche Sounds, die über die Drums, Bass und Gitarre hinausgingen, über ein Soundboard selbst ab. Das Versprechen, das letztes Jahr in Hamburg gegeben wurde, dass die Band noch größer und eindrucksvoller zurückkommen würde, wurde definitiv eingehalten und man kann gespannt sein, was wir alles noch aus dem Hause Starset zu hören und sehen bekommen werden.
Fotocredit: Jeanine Ehlers
Review: Mirco Holz