Neun Jahre mussten ins Land gehen, bevor Jamie XX den Nachfolger zu seinem Solodebüt In Colours veröffentlicht. Dabei war das The XX-Bandmitglied alles andere als untätig. Diverse Produzentenjobs und auch einige Single-VÖs wechselten sich ab. So teast Jamie XX bereits mit den seit 2022 erschienenen Singles „Let’s do it again”, „Kill dem” und „It’s so good” sein neues Album an. Und auch wenn der Sound durchaus stellvertretend gesehen werden kann, finden sich die bekannten Tracks auf „In Waves” lediglich bei der Deluxe-Vinyl als Bonus. Und wenn man sich das leisten kann, muss man ein ordentliches Faustpfand auf dem Teller liegen haben.
Eigentlich gehört elektronische Musik nicht zu meinem favorisierten Genre. Dennoch gibt es immer wieder Künstler, die es schaffen, meine Geschmacksbarriere zu durchbrechen. Einer von ihnen findet sich in der Person von Jamie XX, dessen 2015er Solo-Debüt eine emotionale Sogkraft auf mich entfalten konnte, wie ich es bei Maschinenklängen eher selten erlebe. Und auch „In Waves” gelingt es erneut, elektronischer Musik eine Seele zu verleihen und entsprechende Emotionen aus dem Hörer herauszukitzeln.
„In Waves” lebt dabei vor allem von seinen fantastisch zusammengesetzten Samples, welche in einem oftmals das Gefühl heraufbeschwören, als wäre man gerade bei einem Liveset von Jamie XX zugegen. So zieht einen das Signalhorn des Openers direkt in seinen Bann und man sehnt sich auf einen von Stroboskoplicht durchfluteten Dancefloor. Mit „Treat Each Other Right” folgt ein Breakbeat-meets-Future-Soul-Brett, das bereits seit Jahren in Jamies DJ-Sets rotiert und nun seinen Weg auf „In Waves” gefunden hat. Der Track wurde über die Jahre hinweg immer weiter verfeinert und erfährt seinen künstlerischen Höhepunkt im Videoclip, für den sich Jamie mit der Fotografin und Filmemacherin Rosie Marks zusammengetan hat. Das Gesamtkunstwerk könnt ihr unten im Artikel betrachten.
Mit Spannung erwartet wurde auch die inoffizielle Reunion von The XX, welche mit dem Track „Waited all night” quasi stattgefunden hat. Doch auch wenn Romy & Oliver Sim hier ihren Gastbeitrag liefern, bleiben sie doch nur Gäste und die Nummer klingt deutlich nach Jamie XX und seinem Trademark Sound. Mit „Baddy On The Floor“, einer Kollaboration mit der Club-Ikone Honey Dijon, liefert er anschließend eine funkgetränkte Discohymne, bevor mit „Daffodil” ein wahres Feature-Feuerwerk zündet. So finden sich Kelsey Lu, John Glacier und Panda Bear in den Songcredits und dennoch wirkt hier nichts überfrachtet, sondern man spürt sogar eine gewisse Wärme, welche in das zackige Instrumental „Still Summer” überleitet.
Ein weiterer Keytrack der Platte findet sich mit „Life (feat. Robyn)”, in welchem nun zwei Welten zusammengeführt werden, welche schon immer zusammengehörten. Denn wie gut Jamie XX und Robynzusammenpassen, kann die tanzende Meute vom Glasto 2024 bestätigen und auch auf Platte funktioniert diese Symbiose ganz wunderbar. Ähnlich gut wie die Zusammenarbeit mit den Avalanches, mit denen Jamiehier wiederholt kooperiert. So war Jamie 2020 neben Neneh Cherry am Avalanches-Track „Wherever You Go” beteiligt. „All You Children” nennt sich die Zusammenarbeit auf „In Waves” und klingt treibend, hypnotisch und nach einer Spur Moroder.
Jamie XX ist mit „In Waves” erneut ein beeindruckendes Elektronik-Album gelungen, welches nicht nur durch seine prominente Gästeliste überzeugt. Geradezu meisterhaft lässt er Genres und Samples ineinanderfließen, wie ein Maler die Farben auf einer Leinwand. Heißer Anwärter für jeden Jahrespoll.
Fotocredit: Alasdair McLellan
Review: Marc Erdbrügger