Vom 12.-16.07.2023 lud das Airbeat One Festival im beschaulichen Neustadt-Glewe zu einer Geburtstagsparty der Extraklasse ein. Zu Feiern gab es das 20-jährige Bestehen des Electro-Open-Airs, das seit 2002, abgesehen von der coronabedingten Zwangspause und einem Ausflug nach Neu Zechaun, jährlich auf dem Flugplatz stattfand. Für das Jubiläum wurde nicht nur die „Edition Home – Germany“ ausgerufen, sondern ebenfalls ein hochkarätiges nationales sowie internationales Line-Up bestätigt. Auf diese Weise verwandelte sich der Ort in Mecklenburg-Vorpommern Mitte Juli erneut zum Mekka der elektronischen Musik für mehr als 210.000 Besuchende an vier Festivaltagen.
Während am vergangenen Wochenende das Berliner Stadtzentrum mit seinen weltberühmten Wahrzeichen noch Schauplatz der „Rave The Planet“ Parade war, mimte ein ganz besonderes Brandenburger Tor die Kulisse für die Mainstage des Airbeat One Festivals. Das wohl bestgehütete Geheimnis Mecklenburg-Vorpommerns um den Look der Mainstage wurde am Donnerstagabend, wetterbedingt leicht verspätet, enthüllt. Am vorherigen Tag lockten bereits die Pre-Openings der Campingplätze zum Festival. Dieses stand anlässlich der diesjährigen 20. Ausgabe ganz im Zeichen des Heimatlandes und ließ mal mehr, mal weniger subtil deutsches Flair ins Gelände einfließen. Das Motto und das Gastgeberland fand sich wie jedes Jahr kreativ in der Bühnengestaltung wieder und ließ eben auch das Brandenburger Tor im originalgetreuen Maßstab 1:1 in ganzer Pracht erstrahlen. Es gab nur einen einzigen Unterschied: zwei Meter Höhendifferenz, welche durch die Höhe des DJ-Pults begründet war. Neben der spektakulär gestalteten Bühnenlandschaft war das Line-Up natürlich Herzstück des Festivals. Zur „Edition Home“ reihten sich neben zahlreichen nationalen Artists gleich 16 Acts der Top 100 in die Riege der rund 200 Künstler*innen ein. Da ließ sich der erste ganze Festivaltag gar nicht lange bitten und startete mit Techno-Queen Charlotte de Witte fulminant durch. Sie servierte ihren exquisiten Techno-Sound hervorragend und ebnete damit den perfekten Weg in ein gelungenes Festival-Wochenende.
Ran-D heizte im Anschluss mit seinem Hard Dance die Eagle Stage schon einmal an. Euphorisch verkündete er, dass alle jemanden bräuchten, an den man glauben könnte. Mit „We believe in you, Airbeat One“ setzte er nach und sprach den Anwesenden aus der Seele. Diese zelebrierten das heißersehnte Event standesgemäß und reckten im Takt der Bassschläge ihre Fäuste in den wolkenfreien Himmel. Dass auf allen sechs Stages von den Fans an das Festival geglaubt wurde, zeigte sich bei einem Spaziergang über das leicht veränderte Gelände. Vor allem der Bereich um die Mainstage wirkte übersichtlicher als im vergangenen Jahr, sodass man sich über kurze Wege freuen konnte. Somit war es nur ein Katzensprung von dem überdimensionalen deutschen Wappentier zum benachbarten Terminal. Diese räumliche Nähe birgt von Natur aus das Risiko von Überschneidungen, was meistens jedoch nur ein Thema exakt zwischen den Stages war. Allgemein war der Sound meistens zufriedenstellend. Doch zurück ins Terminal, welches ab 22 Uhr von Gestört aber Geil bespielt wurde. Durch die Location im Zelt entstand die Atmosphäre einer riesigen Disco. Die beiden Kunstschaffenden taten mit ihrem Handwerk ihr Übriges, indem sie gängige Hits wie Headaways „What is love“ remixten. Dementsprechend wurde lose in Gruppenverbänden getanzt und miteinander interagiert. Ein ganz anderer Vibe hingegen herrschte auf der Goa- und Psytrance Second Stage sowie in der Arena, die mit ordentlichem Techno aufwartete. Auf letzterer versorgte unter anderem Mastermind Enrico Sangiulano die Menge vor allem mit einem ausführlichen Bass. Durchdringend ging der Sound durch Mark und Bein und massierte die Hörgänge von innen. Das erste Highlight des Abends wurde von Will Sparks auf der Hauptbühne geliefert, der ein durch und durch starkes Set ablieferte. Auf Wunsch konnte man des Weiteren mit Lilly Palmer, Angerfist oder Die Gebrüder Brett die Nacht zum Tag machen.
Zum Glück konnte man nach so einer durchtanzten Nacht ausschlafen, sofern es die Temperaturen im Zelt es zuließen. Andernfalls war man seit spätestens 8 Uhr morgens wieder wach, weil die Sonne scheinbar zunächst ausprobierte, wie viel sie kann. Die Antwort erfuhren die Gäste am Nachmittag zu den ersten Terminen mit SKIY und Sunnery James & Ryan Marciano als nicht nur die Rhythmen heiß waren. Scheinbar entspannten die meisten noch am Camp oder am Pool der VIP Camping Area. Dementsprechend leer präsentierte sich das Infield noch. Davon wollte man sich aber nicht die Stimmung verderben lassen, denn wann hat man sonst die Gelegenheit, dass Sunnery James & Ryan Marciano eine derart intime Show gaben. Die Atmosphäre war so vertraut, dass man sogar das anfeuernde Pfeifen der DJs hören konnte – ein einmaliges Erlebnis, das die Festivalbesucher und -besucherinnen zu würdigen wussten und ihren Hüftschwung auspackten. Zudem gab es auch in diesem Jahr wieder ausgefallene Outfits und Dekoartikel im Publikumsraum zu bestaunen. Somit war es vollkommen normal, dass man sich zuweilen zwischen einem Herrn mit sagenhaft real aussehender Hundemaske, einer Herde T-Rex-Kostümierten und den Macarena tanzenden Charakteren Mario, Luigi und Toad wiederfand. Was jedoch das bunte Publikum von über 60 Nationen von Polen bis Australien vereinte, war die ansteckende gute Laune aller Beteiligten.

Mit dieser Begeisterung ging es weiter zu Fritz Kalkbrenner. Was an seinen Sets immer besonders ist, ist die Tatsache, dass der Berliner seine Songs selbst live einsingt. Somit hörten wir zum ersten Mal an diesem Wochenende den Superhit „Sky and Sand“ mit Live-Gesang. Am Samstag hatte sein Bruder Paul Kalkbrenner Gelegenheit sein Können zu präsentieren, wo die gemeinsame Single der beiden natürlich auch nicht fehlen durfte, allerdings ohne Live-Performance. Abgesehen davon war Fritz‘ Set entspannt und sorgte für eine lockere Stimmung, die im Folgenden von Alok wieder aufgewirbelt wurde. Der Brasilianer machte seine Sache nachhaltig sehr überzeugend und feuerte einen explosiven Auftritt mit intensiven EDM-Episoden ab. Nach diesen ausdrucksstarken Minuten haben wir den viertbesten DJ 2022 laut Top 100 des DJ Mags definitiv noch einmal ganz anders auf dem Zettel. Die Visitenkarte, die er mit seinem Set ausstellte, ließ ihn definitiv nicht in Vergessenheit geraten und zählte mit zu unseren Highlights.
Ein bisschen tiefer legte der Däne Morten seinen nächsten Slot an. Auf die Sekunde genau 75 Minuten ließ er Future Rave auf das Publikum ab, der außerordentlich deep ging. Das Set endete eindrucksvoll im Konfettiregen und CO2-Kanonen. Das letzte Stück Papier war noch gar nicht ganz auf dem Boden angekommen, da war Morten schon überpünktlich vom Pult verschwunden und machte Platz für Paul Van Dyk. Dieser fing die losgelöste Stimmung in einem seiner Tracks „Time Of Our Lives“ mit dem Text „Oh, this is the time of our lives“ passgenau ein. Harmonische Klänge gewannen die Sympathien des Publikums. Ein bisschen aufregender trug es sich im Folgenden bei KSHMIR zu. Seine eigens komponierten Anime-Szenen, welche sein Seit in mehrere Teile strukturierten, sahen auf den großen zwischen den Säulen des Brandenburger Tores eingespannten LED-Screens richtig gut aus. Neben seinen internationalen Hits zeigte sich der US-Amerikaner mit indischen Wurzeln beispielhaft auf das deutsche Publikum vorbereitet und hatte gleich zwei Tracks auf Lager, die bestens zugeschnitten waren. „Ohne mein Team“ von RAF Camora und Andreas Bouranis „Auf uns“ brachten Begeisterung in der lauen Freitagnacht hervor. In seinem ansonsten ebenfalls vielseitigen Set spielte er ebenfalls zwei brandneue Songs, „Close To You“ sogar direkt an seinem Veröffentlichungstag. Damit war die Party des Tages perfekt und konnte unter anderem mit Blastoyz, Lucas & Steve oder Vintage Culture noch beliebig verlängert werden.
Obwohl bereits zwei Festivaltage hinter den Besuchenden lagen startete der Samstag in voller Stärke, da der dritte und letzte Tag vollständig ausverkauft war. So war der zweite Act auf der Mainstage Neelix bereits richtig gut besucht und der Bereich vor der Bühne fast vollständig belegt. Genauso voll wie der Bereich vor der Bühne, war es jedoch auch darauf. Neelix brachte wie immer zahlreiche Friends & Family mit, die auf den Bühnenflügeln ordentlich Party machten. Die ausschweifende Energie von DJ und Leuten auf der Bühne transferierte sich ins Publikum und zündete eine ekstatische Atmosphäre. Auch der Künstler Noisecontrollers auf der Eagle Stage hatte seine Zuhörenden fest im Griff. Dazu ballerte er feinste Hardstyle Vibes gepaart mit Songschnipseln aus Evergreens von „Seven Nation Army“ bis hin zu „We will rock you“. Untermalt wurden die Szenen von kollektivem Armeschwenken sowie gemeinsamen Raven. Im Hintergrund sank die Sonne unaufhaltsam gen Horizont, sodass der Himmel zunehmend in ein dunkles gelb-orange getaucht wurde. Somit bot sich der perfekte Sundowner-Slot für den nachfolgenden Wildstylez an. In dieser einmaligen Kulisse machte das gemeinsame Feiern gleich doppelt so viel Spaß. So ließ sich auch Rapper und MC E-Life nicht lumpen und schaute kurz vorbei. Von diesem Besuch abgesehen war das Publikum in den Händen des niederländischen MCs Villain, der immer sehr gesprächig war. So manifestierte er mehrfach den Spruch, der ebenfalls riesig auf seinem T-Shirt prangte „Der Bass muss ficken“. Zum Glück ließ sein Landsmann diesen Worten klangvolle Taten folgen und sorgte für durchgehende Ekstase unter dem Adler.

Kurze Zeit später erstrahlte die Mainstage im Zeichen des Megafons, welches auf dem 40 Meter hohen Emblem zu sehen war. Dies konnte nur eins bedeuten: Keine andere Band als Scooter würde hier in Kürze zu sehen sein. Um den Ansprüchen der Live-Band inklusive Tänzerinnen gerecht zu werden, wurde die Hauptbühne bereits in der Nacht zu Samstag angepasst. Dies erlaubte sowohl genügend Platz für Hans-Peter und seine Kapelle sowie zwei weitere mobile DJ-Sets. Um alles an seinen vorgesehenen Platz zu schaffen, gab es zudem wohl die einzigen beiden richtigen Umbaupausen des gesamten Festivals. Somit war es ebenfalls verzeihlich, dass Scooter leicht verspätet startete. Los gelegt wurde dann mit „Waste Your Youth“, welches eine Hommage an das allseits beliebte „Ein Kompliment“ von den Sportfreunden Stiller enthielt. Ebenfalls aus diesem Jahr durfte „Techno Is Back“ natürlich nicht fehlen. Wenn man noch nicht vergessen hat auf welchem Festival man eigentlich war (lacht nicht, das kam tatsächlich vor), war es nun an der höchsten Zeit sich noch einmal seine Leute zu schnappen und richtig Party zu machen. Dementsprechend war die Mainstage rappelvoll und allesamt in guter Laune bei dem kultigen Electro-Act der 90er Jahre. Ein bisschen schade war, dass die Masse sehr viel Lautstärke schluckte und man sich bereits auf Höhe des FOHs in normaler Lautstärke unterhalten konnte. Ungeachtet dessen zogen H.P. Baxxter und seinen zwei neuen Kumpanen ihre Show durch. Das Publikum ging vollkommen mit und störte sich auch an zwei Regenschauern nicht im Ansatz. Sobald das letzte „Hyper Hyper“ verklang, strömten die Massen in Scharren in die Nacht. Der typische Scooter-Fan schien sehr wenig von dem nachfolgenden W&W zu halten, sodass die Überschneidungen der Hörerschaft wohl nicht so groß waren.
Ganz zur Freude aller, die Bock auf das niederländische Duo hatten und quasi ganz nach vorne durchgehen konnten. Die beiden starteten ihre Show im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Knall an Konfetti und Musik. Sie hauten ein insgesamt starkes Set raus, wenngleich man manche Passagen bereits kannte und einige Übergänge zumindest zweifelhaft waren. Das tat der blendenden Stimmung aber keinen Abbruch. Somit wurde noch einmal 70 Minuten Non-Stop gefeiert. Die danach anstehende Closing-Show zog noch einmal die Massen von den anderen Bühnen und Campingplatz an. Wenn man jedoch auf letzterem geblieben ist, galt es sich den schönsten Platz, am besten eingekuschelt in Decken auf dem eigenen Autodach zu suchen. Dafür wurde man mit einem schönen Feuerwerk mit selten zu sehenden Kombinationen belohnt, was es auf jeden Fall wert war. Wenn man sich für einen weiter entfernten Platz entschied, konnte man sich immerhin an den visuellen Effekten erfreuen und musste nicht wie die Menschen vor Ort Nena und David Hasselhoff ertragen. Damit wurde für uns ein wunderschönes Airbeat One 2023 abgeschlossen. Selbstverständlich gab es auch hier für die Feierwütigen noch weitere Optionen, die zum Beispiel die Namen Deborah de Luca, Jebroer oder Harris & Ford.

Alles in allem bereitete das Airbeat One Festival wieder einmal ein fantastisches Spektakel, das seine Fans nachhaltig begeisterte. In diesem Sinne freuen wir uns auf das nächste Jahr vom 10.-14-07.2024, welches unter dem Motto Frankreich stehen wird, welches eigens von Festivalveranstalter und Gründer Sebastian Eggert erdacht und konzipiert wird.
Fotocredits: Kevin Randy Emmers