Dürfte ich einen Preis für die schönste Festivalkulisse überhaupt verleihen, der ginge ganz klar und ohne zu zögern direkt an das Schweizer Greenfield Festival. Vergangenen Donnerstag ist die 17. Auflage auf dem Flugplatz im wunderschönen Interlaken im Berner Oberland gestartet und von Samstag auf Sonntagnacht dann würdig zu Ende gegangen. Gesäumt und eingebettet von Bergen – schon allein für diesen Anblick hat sich die Anreise gelohnt, auch nach drei Tagen hatte man sich da lange noch nicht satt gesehen. Aber an sich ist die Optik ja eigentlich Nebensache und die Musik spielt die wichtigste Rolle. So ganz klar auch beim Greenfield. Das Line-Up hat sich bei Größen wie Die Ärzte, Slipknot, Wolfmother oder Sabaton und musikalischen Diamanten wie den Donots, Papa Roach oder Halestorm absolut nicht lumpen lassen und das Publikum, ich denke da kann ich für den Großteil sprechen, hat das Festival glücklich und beseelt wieder verlassen. Der ein oder die Andere sicherlich auch ein wenig wehmütig. Ich für meinen Teil wollte zumindest von noch keinem Festival wirklich so ungern wieder nach Hause fahren wie vom Greenfield. Aber fangen wir mal ganz von vorne an!
Donnerstag:
„Die Alphornbläser gehören zum Greenfield Festival wie das Bier zum Sommer“, denn die eröffnen den großen Spaß traditionell jedes Jahr wieder aufs Neue. Deswegen waren wir umso trauriger, dass wir uns dieses Spektakel leider entgehen lassen mussten. Denn wie der Deckel auf den Topf gehört, so gehört auch zur Festivalanreise der Stau. Mit dem mussten wir auch wieder einmal Bekanntschaft machen.
Also wurde für uns das Greenfield mit Enter Shikari pünktlich um 15:40 Uhr auf der Jungfrau Stage eingeläutet. Bei strahlendem Sonnenschein, einer leichten Brise, Blick auf Berge soweit das Auge reicht und ganz wichtig: dem ersten frisch gezapften Festivalbier. Was übrigens nur 5,50 Schweizer Franken gekostet hat. Da hätte ich mit deutlich mehr gerechnet! Aber Bier soll hier jetzt gar nicht groß Thema sein.
Der Gig von Enter Shikari war jedenfalls ein gelungener Einstieg ins ganze Geschehen. Nicht direkt auf die 12 aber dennoch nicht zu seicht. Die Briten haben das Publikum aufgesammelt, mit ihrem Sound in andere Sphären getragen ohne dafür den Flugplatz in Interlaken verlassen zu müssen. Zeitgleich sind aber auch alle Anwesenden wieder zum Ort des Geschehens zurückgekehrt und gerade dem Sänger Rou hat man angemerkt, dass auch er, trotz der Tatsache, dass sie schon mal auf dem Greenfield gespielt haben, von der Kulisse einfach überwältigt war. Völlig verständlich. Auch ich bin es noch immer.
Band Nummer Zwei am Donnerstag: die Donots. Ganz klar mein absolutes Highlight aber das war im Prinzip schon von vorne herein klar. An diese fünf Musiker hab ich einfach mein Herz verloren.
Wo soeben bei Enter Shikari noch strahlender Sonnenschein über den Bergen hing, hatte der Wettergott bei den Ibbenbürener Jungs weniger Gnade. Vielleicht haben sie auch einfach das Schmuddelwetter vom Nova Rock eingepackt, wo sie einen Tag vorher gespielt haben. Oder schieben wir das Ganze einfach auf die schnell wechselnde Wetterlage im Gebirge. Jedenfalls waren da auf einmal viele Wolken, aus denen dann auch schnell Wasser gelassen wurde. Aber halb so wild, das war sofort vergessen, so wie allgemein alle Negativitäten vergessen sind, wenn die Donots ihr Set spielen und das Publikum mit ihrer charmant-punkig-angerotzten Art mitreißen.
Einziges Manko: mit nur 7 Songs, die sie spielen durften, ist das Konzert natürlich nur so an einem vorbeigerast. Zeit für einen Circle Pit mit Sänger Ingo in der Mitte hat sich aber ein Glück und zur vollen Freude der Fans trotzdem gefunden.
Nach den Donots ist vor den Donots. Dieses Motto kann ich an dieser Stelle einfach ganz allgemein mal jedem ans Herz legen. Sie sind und bleiben einfach die beste, charismatischste und bodenständigste Live-Band die es gibt! Wer die nicht mag, sollte sich dringend ärztliche Hilfe holen!
Da wir uns mitten in den Bergen befinden: allerhöchste Zeit für die erste Wanderung rüber zur Eiger Stage. The Menzingers aus Philadelphia hatten sich da nämlich schon ein wenig warm gespielt. Also fix Beine in die eine Hand, das Bier in die Andere genommen und nix wie hin da. Wer auf klassischen, simplen und handgemachten Punkrock steht, war da nämlich auch genau richtig aufgehoben und ist auch schnell wieder getrocknet, weil auf der anderen Seite dann auch schon wieder die Sonne schien – schön! Weniger schön war: von The Menzingers habe ich nur noch die vier letzten Songs mitbekommen aber wenigstens war mein liebster „After the party“ dabei.
Weiter ging’s, fliegender Wechsel rüber zur großen Bühne wo Hollywood Undead schon in Reih und Glied auf der Bühne standen. Ich kannte vorher nichts von denen, muss ich gestehen aber schon auf dem Weg rüber haben die mit ihrer Bühnenpräsenz und dem musikalisch-leicht exotischem Mix aus Rap, Rock und Nu-Metal überzeugt. Bis zu dem Punkt, wo sie „Du hast“ Rammstein gecovert haben. Eventuell damit zu entschuldigen, dass die ganze Tragödie noch nicht über den großen Teich nach Kalifornien geschwappt ist. Jedenfalls hat diese Coversong-Wahl gespaltene Reaktionen beim Publikum hervor gerufen. Viele entsetzte Gesichter, teilweise Buhrufe aber was mich dann doch sehr schockiert hat: viele Menschen haben unbeschwert dazu gefeiert. Generell gab es am ganzen Greenfield Festival 2023 eine Sache die schon keinen ganz kleinen Schatten für mich auf das Event geworfen hat bzw. die mir einfach sehr suspekt war: enorm viele Menschen sind im Rammstein Merch dort erschienen und es wurde auch immer wieder in diversen Zelten oder Getränkeständen Musik von der aktuell sehr umstrittenen Band gespielt. Für mich persönlich ein absolutes No-Go aber auch das einzig Negative was ich zum Festival sagen kann.
Aber widmen wir uns mal wieder den schöneren Dingen: dem Folgeprogramm auf den Bühnen. The Hu angereist aus der Mongolei, haben das Publikum mit ihrer Musik in eine völlig andere Welt entführt. Spannend anzuhören allerdings habe ich währenddessen festgestellt, dass es nicht ganz mein Fall ist und so bin ich langsam rüber zu Swiss & Die Andern gepilgert. Ich hab’s schon nicht so mit der Pünktlichkeit und dachte, ich komme etwas zu spät zu deren Gig aber die Hamburger Punk-Proleten haben’s anscheinend auch nicht so damit und so hab ich dann doch nichts verpasst. Ein Hoch auf ein paar Minuten Verzug!
Gut wars bei Swiss & Die Andern noch besser wurd’s danach bei Papa Roach auf der Hauptbühne. Lange nicht mehr gehört und während des Konzerts festgestellt, dass man so gut wie jeden Song von denen kennt. Das war quasi ein bisschen so, als hätte man sein, vor langer Zeit verloren geglaubtes Lieblingsshirt plötzlich ganz unten im eigenen Kleiderschrank wiedergefunden. Die Jungs rund um Sänger Jacoby Shaddix haben auf den Punkt abgeliefert, klangen wie auf Platte und haben mit Power und Pyro das Publikum auf die beste Band der Welt eingestimmt: Die Ärzte aus Berlin. Aus Berlin!
Optisch haben sich Farin, Bela & Rod, soweit ich das ohne meine Brille erkennen konnte, gut gehalten. Auch musikalisch war das Motto „Alles beim Alten“. Zur Freude vom Großteil des Publikums und auch zu meiner haben sie ihre Setlist mit vielen alten Klassikern wie „Lasse redn„, „Schunder–Song“ oder „Schrei nach Liebe“ bestückt. Auch Witz und Charme hatten sie natürlich mit im Gepäck, allerdings hätte ich mir entertainmenttechnisch doch ein ganz klein wenig mehr von den Ärzten erwartet. Trotzdem ein perfekter Abschluss für einen wunderbaren ersten Tag auf dem Greenfield Festival 2023.
Freitag:
Frühstück, Fahrrad & dann Funeral For A Friend. Mit diesen drei F’s sind wir in Festivaltag Nr. Zwei gestartet. Die Band aus Wales hat uns, ähnlich, wie am Tag zuvor Enter Shikari, seicht und dennoch temperamentvoll aufgeweckt – besser hätte es kein Kaffee der Welt gemacht. Zusätzlich noch Sonne satt, die Betonung liegt auf noch und dazu ne leichte Brise – fein!
Im Anschluss dann, für mich meine persönliche Neuentdeckung und somit ein absolutes Highlight, Coheed and Cambria aus New York. Kraftvoller und sehr authentischer Progressive-Rock – warum hat mir von denen vorher noch niemand erzählt? Vor allem hat wirklich jeder einzelne Song komplett überzeugt und das ist, meiner Meinung nach, eine seltene Sache, wenn man eine Band noch so gar nicht kennt.
Nach melodiös gab’s dann püntklich, als die Uhr 18:15 schlug, richtig auf die 12. Hatebreed, der Name ist Programm, mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. Auch die Sonne hatte ab da nichts mehr zu lachen, hat sich so langsam aber sicher verkrümelt und uns den Regenwolken überlassen. So schnell kann’s manchmal gehen.
Aber Greenfield ist auch nass schön und weiter geht’s so oder so. In dem Fall mit Arch Enemy aus Schweden. Musikalisch und gesanglich einwandfrei aber nicht so ganz mein Geschmack, deswegen hab ich mich eher auf’s Bühnenbild und das dazu perfekt abgestimmte Outfit der Sängerin konzentriert. Da war ich mit großer Sicherheit auch nicht die Einzige.
Nach Frauenpower auf der Bühne war es Zeit für die Australier und zwar im Doppelpack. Parkway Drive auf der Jungfrau Stage und The Amity Affliction auf der Eiger Stage. Beide Bands waren bis zum Anschlag energetisch aufgeladen, wobei bei The Amity Affliction auch immer wieder eine gewisse Melancholie in den Songs durchgesickert ist – ein Mix der mir persönlich ziemlich gefallen hat.
Schlusslicht und somit Headliner für den Festival Freitag war dann wieder aus schwedischen Gefilden: Sabaton. Ehrlich gesagt, war ich schon vor dem Greenfield kein großer Fan der Band und bin es auch nach deren Gig nicht geworden. Ich wusste nie, wie ich den Musikstil der Band beschreiben soll. Auf dem Festival habe ich dann von einem anderen Sabaton-Skeptiker die Bezeichnung „Mallorca-Metal“ aufgeschnappt und besser hätte ich es selbst wohl nie sagen können.
Dazu das ganze Kriegsgehabe mit Kanonen, Panzer etc. auf der Bühne hat’s leider nicht besser gemacht – sondern eher das Gegenteil bewirkt.
Einen Versuch war es wert und es ist ja auch immer Geschmackssache aber für mich sind Sabaton durchgefallen. Aber halb so wild, das gehört nun mal dazu.
Samstag:
Wie ungewohnt, dass ein Samstag schon der letzte Festival Tag ist. Aber beim Greenfield ist das so, also: Endspurt ist angesagt. Voller Vorfreude aber zeitgleich auch voller Wehmut, dass bald schon wieder Schluss ist. Wollen wir jetzt noch gar nicht dran denken!
Erst einmal den Fokus auf Halestorm. Band Nummer Eins für heute.
Von der ersten Sekunde an war ich beeindruckt. Die Sängerin und Gitarristin Lzzy Hale stand vorerst allein auf der Bühne und hat die ersten Zeilen ins Mikro geschmettert. Gänsehaut pur! Das war für mich mit Abstand, von allen Darbietungen, stimmlich die beste Leistung auf dem ganzen Festivals. Insgesamt eine Band mit super sympathischer Ausstrahlung, Gute-Laune-Faktor und einer wirklich ganz riesigen Portion Talent.
Weiter im Text bzw. im Line-Up. The BossHoss waren an der Reihe. Bei strahlendem Sonnenschein und sengender Hitze – richtiges Cowboywetter eben. Auch das Publikum hat der Hitze getrotzt und vor, neben und auch auf der Jungfrau Stage ne verdammt heiße Sohle auf’s Parkett gelegt. Yeehaw! Das war eine Gaudi!
Nachdem The BossHoss ein durchgeschwitztes, aber durchaus fröhliches, Publikum zurück gelassen haben war auch wieder mal nur ganz kurz Zeit zum Durchatmen. Der nächste Top Act hat das Bühnenbild nämlich ziemlich simpel gehalten und somit konnte es auf der Hauptbühne zackig weitergehen. Mit Wolfmother aus Sydney. Kein Banner mit Bandlogo, keine Showeffekte, nada. Die Australier haben nur auf Musik und Gesang gesetzt und das hat bestens funktioniert und trotzdem einen wirklich bleibenden und tiefgehenden Eindruck hinterlassen. Stoner-Rock trifft auf imposante Gitarrenriffs – ein absolutes Hörerlebnis!
Anschließend hat’s mich wie von Geisterhand wieder zur Eiger Stage gezogen. Die wurde nämlich jetzt von der Münchner Band Emil Bulls verschönert. Solider, handgemachter moderner Metal, konnte man sich perfekt mit nem Bierle in der Hand geben. Mehr durch Zufall bin ich dann kurz noch bei In Extremo gelandet, die fast zeitgleich auf der anderen Bühne standen. Diese haben mich dann innerhalb von nur zwei Songs davon überzeugt, dass Mittelalter-Rock gar nicht mal so übel ist, wie ich vorher gedacht hatte.
So langsam aber sicher nähern wir uns nun dem Ende. Es sind nur noch zwei Bands übrig, die auf der Hauptbühne spielen werden. Amon Amarth und Slipknot. Eine klitzekleine, leichte Melancholie schleicht sich ein, weil man hier einfach noch nicht ans Gehen denken mag.
Deswegen enterten die Wikinger von Amon Amarth als gut getimte Ablenkung das Bühnenschiff und zogen das Publikum ganz tief rein in ihren Sog. Die Bezeichnung „Episch“ trifft ihr Set wohl am besten. Nicht nur musikalisch haben sie auf den Punkt abgeliefert auch das Drumherum war einfach absolut stimmig.
Dann haben sämtliche Zeiger an den Uhren der Festivalbesucher auf einmal auch schon 23:20 Uhr angezeigt. Zeit für den allerletzten und langersehnten Headliner des Greenfield Festivals 2023: Slipknot.
Was soll ich sagen: das war ein absolut würdiger Abschluss für dieses einfach wundervolle Festival. Trotz Änderung in der Bandbesetzung (neuer Keyboarder und ohne Gründungsmitglied Shawn Crahan) brachten die Metal-Größen um Corey Taylor ein astreines Set auf den Flugplatz, von dem sicher alle Besucher*Innen noch lange träumen.
Eine Bühnenpräsenz vom Feinsten, die wirklich so gut wie jeden Einzelnen auf dem Geländer mitgerissen hat. Schneller als wir alle blinzeln konnten war es auch schon wieder vorbei. Mit „Duality“ und „Spit It Out“ wurde für dieses Jahr ein allerletztes Mal gemoshed, mitgegrölt und geheadbangt.
Nicht nur das Publikum wirkte mehr als zufrieden mit dem diesährigen Greenfield Festival. Auch die Veranstalter gaben am Samstag auf der Pressekonferenz bekannt, dass sie mit dem Verlauf des Events rundum happy sind.
An dieser Stelle übrigens auch mal ein großes Lob an alle Securities, Organistor*Innen & alle anderen Mitarbeiter*Innen die irgendetwas zum Festival zu beigetragen haben. Selten habe ich durchweg eine so entspannte und friedliche Atmosphäre bei so einer großen Veranstaltung erlebt. Es war wirklich von vorne bis hinten einfach nur schön!
Fazit: ich wollte noch nie so wenig meine sieben Sachen wieder einpacken und nach Hause fahren. Selbst jetzt, nachdem ich alles ein paar Tage hab sacken lassen – habe ich doch schon etwas Fern- ,oder sollte ich sagen Heimweh, nach dem Greenfield Festival. Es hat sich dort nämlich wirklich komplett heimelig angefühlt.
Aber ein Glück gibt es ja dieses eine bekannte Sprichwort, welches lautet: „Nach dem Greenfield ist vor dem Greenfield.“ Also, in diesem Sinne – bis 2024!
Fotocredit: Johanna Lippke