Als Gegenstand der alten „Hamburger Schule“ ist das Label Grand Hotel van Cleef (GHvC) nicht mehr aus der Kulturszene Hamburgs wegzudenken, und das seit nun mehr 20 Jahren. Im Jahre 2002 gegründet von Marcus Wiebusch, Reimer Bunstorf und Thees Uhlmann, um im Endeffekt ihre eigenen Alben von Kettcar und Tomte herauszubringen, hat sich das Label als eines der wichtigsten Norddeutschlands organisch entwickelt. Die Geburtstagsparty am Donnerstagabend sollte neben diesen beiden Oldschool-Giganten auch die New School des Labels zelebrieren. Es fanden sich zahlreiche Geburtstagsgäste im ausverkauften Knust ein, um die Indie-Institution auf eine besondere Art zu beglückwünschen.
Die Uhr über dem Schreibtisch zeigte unbarmherzige 16:57 Uhr an, was einfach noch nicht Feierabend hieß. Aber die Taschen waren schon gepackt und alles war bereit, um sofort aufzuspringen, sobald es zur vollen Stunde geschlagen hatte. Schließlich fing nun der weitaus bedeutendere Teil des Tages an: für unsere Redakteurin ging es wie viele andere Hamburger*innen direkt nach der Arbeit nach St. Pauli, um einen Geburtstag zu feiern. Wenn GHvC ruft, kommen sie halt alle und machen den Lattenplatz vorm Knust voll. Um Punkt 18 Uhr ging es direkt mit einer Ansage von Thees Uhlmann los. Aufgrund des besonderen Konzeptes starteten seine zehn Songs ohne Umwege mit der ersten Ehrung des Labels mit seinem Song „Katy Grayson Perry“, der der Sängerin nahelegt doch bitte zum Label zu kommen. Die Stimmung war direkt da und der Plätze startete unter strahlend blauem Himmel zu tanzen. Thees genoss dieses positive Willkommen sichtlich und war mit Gitarre in der einen und Mikrofon in der anderen Hand direkt voll am Start. So machte er auch direkt den Mikrofonständer lose mit dem er durchaus noch einige Male lustig in Konflikt kam. Mit guten Vibes ging es durch den Tomte-Song „Ich sang die ganze Zeit von dir“, „Danke für die Angst“ und „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt“. Dazu gab es vor allem vorne einen schönen, satten Sound von der kleinen Bühne aus.
Ist man also beim Vorverkauf leer ausgegangen und spontan auf einer sommerlichen Kieztour unterwegs am Lattenplatz vorbei, konnte man sich an einem halben Gratiskonzert erfreuen. Bei Lied Nummer 5, was in dem besonderen Konzept des Abends schon die Halbezeit markierte, verließ die Band die Bühne und Thees machte eine dieser Endlos-Ansagen, für den wir ihn so lieben. Belohnt wurden wir mit der „Schönheit der Chance“, die akustisch einfach nur unglaublich schön war und rundum für Gänsehaut sorgte, besonders als das Publikum die letzten Refrainwiederholungen mitsang. Weiter ging es mit einem Tomte-Kracher, für den er tatkräftige Unterstützung von alten Bekannten bekam, während Casper hingegen nur Grüße ausrichten ließ. Das Finale war aber auch mit Thees alleine furios, denn er brach „Fünf Jahre nicht gesungen“ ab, um noch eine pathetische Ansage zur Findung seiner Produzenten verlauten zu lassen, bevor zu „Avicii“ mit widerspenstigem Mikrofonständer in der Hand richtig abgerockt wurde. Absolutes Highlight der „Vorband“ war dann natürlich das Lied mit den Fischen, wie „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ liebevoll genannt wird. Denn zum letzten Refrain steppten einfach Marcus Wiebusch und Aki Bosse auf die Bühne, um das großartige WBU-Projekt noch einmal aufleben zu lassen. Diese Sekunden waren ein Fest für alle GHvC-Fans der alten Schule und sorgten für maximale Begeisterung.
Der nächste Slot von einer Stunde oder zehn Songs gehörte dann ganz der Band von Marcus Wiebusch. Auch hier wurde mit einer Ansage begonnen, obwohl sie eigentlich gar keine machen wollten. Dafür ging es mit „Money left to burn“ und „Benzin und Kartoffelchips“ gewohnt rockig los. Abgesehen vom typischen Kettcar-Sound merkte man den Bandmitgliedern ihre Aufregung und Angespanntheit deutlich an. Denn die Fünf fungierten heute Abend nicht nur als Act, sondern auch als Gastgeber der Geburtstagsfeier. Da will man natürlich, dass es allen gut ging und kann schon mal leicht unverständlich singen oder seinen Text beim schellen Sprechgesang von „Sommer `89“ glatt ganz vergessen. Aber das macht den Charme der Hamburger aus und sie so unglaublich nahbar. Dies und dass der sympathische, wenngleich etwas strubbelige Sänger, laut eigener Aussage für solch irdische Sachen wie Haare schneiden keine Zeit mehr hätte. Die nächsten drei Songs verflogen bei bester Stimmung zum Tanzen und Spaß haben wie im Flug und schon stand der nächste Track „Der Tag wird kommen“ vor der Tür. Wiebusch hätte keinen Bock auf eine Mitleidsnummer, und nur wer es wirklich fühle solle im Takt mit dem Beat mitgehen: Er fragte also „Hamburg, seid ihr mit mir?“ und wie die Hansestadt mit ihm war. Der gesamte Platz, der von Menschen gesäumt war, erhob im Beat die Arme und sorgte für den nächsten Gänsehautmoment. Fast hätte man glauben können, dass man auf einem Hip-Hop-Konzert gelandet war.
In puncto, Ansagen ließen sie sich von Thees inspirieren und moderierten am Rande des Pathetischen, aber die Aussage war unbestreitbar: 20 Jahre und es fühlt sich immer noch so gut an! Für uns auch, liebe Kettcars, daher wurde zu „Kein Außen mehr“ und „Deiche“ sich noch einmal ordentlich bewegt und dieses einmalige Konzert genossen. Krönender Abschluss bildete dann wie immer die Hamburg-Hymne „Landungsbrücken raus“, bei dem die Leute dann endlich kein Halten mehr fanden und begeistert auf und ab hüpften. Damit feierten auch Kettcar in der versprochenen hohen Hitdichte ihre zehn Songs ab und machten den Sommerabend perfekt. Doch halt, Moment, da werden noch zwei Mikrofonständer auf die Bühne gestellt. Gibt es etwa doch noch eine heiß ersehnte Zusage, auch wenn es vorher klipp und klar hieß lediglich zehn Songs. Ja, es gab eine Zugabe, wenn man es so nennen mag, aber keine sehr typische. Denn es stellte sich heraus, dass die zusätzlichen Mikros für nicht weniger als elf Menschen gedacht waren, die in einer Art Allstars-Formation rund um das Young Rebel Set auftraten. Sie sangen zusammen „If I was“ und das taten sie mit so viel Liebe und Leidenschaft, dass man jedem von ihnen den ehrlichen Spaß an der Sache ansah. Es wirkte wahnsinnig befreiend, auch die Kettcar-Jungs hatten wie alle anderen auch endlich ein breites Lächeln im Gesicht und es wurde gemeinsam gejammed. Schöner hätte man den „Oldschool“-Teil nicht abschließen können.
Nach der Vorstellung der „alten Hasen“ leerte es sich rasant, was wirklich schade war, denn zur zweiten Runde riefen vier der GHvC-New School Bands in den Klub. Um auch hier wieder auf die magischen 20 zu kommen, spielte jede der Band fünf ihrer Titel. Dadurch ging es ziemlich Schlag auf Schlag und bevor sie richtig angefangen waren, war es eigentlich auch schon wieder vorbei. Jedoch war dieses Konzept ideal für die Verbliebenen zum Kennen -und lieben lernen der neuen Gruppen. Shittney Bears, die zuletzt unter anderem mit ihrem Akustikset als Voract von Kettcar im Molotov überzeugte, zeigte, dass sie mit ihrer Band auch ganz unakustisch konnte. Um nicht zu sagen sehr laut und wild. Sie bewies was für eine krasse Sängerin sie ist und sang entweder ganz unaufgeregt im Liegen auf der Bühne oder schrie vor allem ihre Zeilen gerade zu raus, sodass das Mikro fast nur noch Deko war. Intergalactic Lovers sorgten im Folgenden exakt für die federleichte Stimmung, in der man sich befindet, sobald man nur zehn Sekunden ihrer Lieder hört. Des Weiteren präsentierten noch Gringo Mayer und Accidental Bird ihr Können für die neue Riege.
Insgesamt war also beste Unterhaltung für Jung und Alt geboten und ließ alle Anwesenden mit einem der schönsten Sommerabende des Jahres 2022 überglücklich zurück. Danke GHvC und alles Gute für die nächsten 20 Jahre!
Fotocredit: Kevin Randy Emmers