Von Wegen Lisbeth betiteln ihr Album gern mal nach einer E-Mail-Adresse, benennen ihre Songs nach Bahnhöfen und Lieferdiensten und erzählen darin von Kneipen, WLAN und dem Döner an der Ecke. Und trotzdem oder gerade deshalb macht die Berliner Indie-Pop-Band alles andere als nebensächliche Musik, denn wie kaum eine andere Formation schaffen es Von Wegen Lisbeth Leichtigkeit und Witz mit Tiefgründigkeit und Melancholie zu einer einzigartigen Mischung zu verquirlen. Über die Jahre sind die Konzertbühnen auf Touren und Festivals immer größer geworden und trotzdem klingen Von Wegen Lisbeth noch immer erfrischend anders und so gar nicht nach Pop-Einheitsbrei.
Es sind die kleinen, alltäglichen Belanglosigkeiten, die oftmals so viel mehr über eine Gesellschaft aussagen als die vermeintlich großen politischen Themen und Von Wegen Lisbeth zeichnen in ihren Texten nach wie vor ein pointierteres Bild unserer Zeit als uns wohl manchmal lieb ist – als hätte man mit dem Skalpell einen präzisen Schnitt von Berlin bis Annaberg-Buchholz gezogen. Mit beißender Ironie singen die Berliner über die großen philosophischen Fragen unserer Zeit: Geh ich zur Demonstration oder schau’ ich noch eine Youtube-Compilation? Wann lern’ ich endlich aus meinen Fehlern? Und swipe‘ ich lieber nach links oder nach rechts?
Um den sperrigen Bandnamen ranken sich unzählige Gründungsmythen – bestätigt werden konnte bisher keiner, nur eins gilt als wissenschaftlich bewiesen: Nach tausenden Elevator-Pitches und jahrelanger Marktanalyse erklärten Versuchspersonen, denen man „Von Wegen Lisbeth“ ins Ohr flüsterte, durchschnittlich mehr Appetit auf Schokopudding zu verspüren.
Wenn meine neue App Recht hat, rauch ich heut’ zehn Kippen weniger / da spar’ ich zwei Euro dreißig, da krieg’ ich vier Bier bei Edeka / es wird sich einiges ändern, der Döner ist jetzt n’ Friseursalon / und du weißt nichts davon.
Noch in ihrer gemeinsamen Schulzeit fanden sich die fünf Berliner Matze (Gitarre/Gesang), Doz (Gitarre), Julian (Bass), Robert (Synthie) und Julian (Schlagzeug) zusammen, spielten (damals noch unter anderem Namen) von Punk über Ska bis hin zu 8-Bit-Gameboy-Musik alles was nicht richtig in ein Genre passte und würzten das Ganze mit einer skurrilen Instrumentierung, so etwa einem Omnichord, einem sogenannten Regenbogenachttästler, verfeinert mit einem kräftigen Schuss Maggi. Seitdem hat sich für Von Wegen Lisbeth so ziemlich alles geändert und trotzdem ist eigentlich alles geblieben, wie es immer schon war: Ihre Musik lässt sich noch immer in kein Raster pressen und mit keiner anderen Band so wirklich vergleichen. Wer dem Ganzen unbedingt einen Stempel verpassen will, der einigt sich am besten auf den Begriff „Indie-Pop“ – ganz einfach weil sich dahinter alles verbergen kann.
In ihren Anfängen begleiteten Von Wegen Lisbeth die Kölner von AnnenMayKantereit als Supportband oder spielten im Vorprogramm von Musikgrößen wie Sven Regeners Element of Crime, bis dann plötzlich alles riesengroß wurde: 2016 ging die Band mit ihrem Debütalbum GRANDE auf eigene Tour quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, belagerte in den folgenden Jahren so ziemlich jede verfügbare Festivalbühne und erspielte sich dabei schnell eine beträchtliche Fangemeinde.
Nachdem der Kater des ersten Albums endlich ausgeschwitzt war, erblickte im Mai 2019 das zweite Album das Licht der Welt. Entgegen des allgemeinen Gesetzes der Popkultur, Paragraph 1, nach dem zweite Teile mit einer Wahrscheinlichkeit von 82% zum Flop werden, legte die Band mit der dreizehn Songs starken Platte textlich und musikalisch noch mal einen drauf, erntete dafür zurecht positive Kritik und rückt seitdem auf Festivalpostern konstant Zeile für Zeile nach oben (noch vier Schriftgrößen bis Miley Cyrus).
Warum war früher alles schöner / warum macht ihr Mayonnaise in den Döner / und warum ist die AfD immer noch da / obwohl ich heut’ beim Yoga war?
Nachdem Von Wegen Lisbeth im Herbst 2019 auf großer Britz-California-Tour in unzähligen ausverkauften Hallen spielten und nebenbei zweimal die Berliner Columbiahalle zum Schwitzen brachten, war man sich schließlich einig, den Status als Geheimtipp nun endgültig nicht mehr für sich reklamieren zu können.
War nach der Tour doch nur eine kurze Erholung durch Fußreflexzonenbehandlung und Akupunktur geplant, wurde daraus dank der Coronapandemie eine niemals erwartete und viel zu lange Konzertpause. Nachdem Von Wegen Lisbeth einige Wochen melancholisch aus dem Fenster gestarrt hatten und selbiges Fenster genauso trüb wurde wie die Aussichten auf Liveshows, beschlossen sie einstimmig, sich anstatt zuhause wenigstens im Studio einzusperren. Das Ergebnis waren unzählige neue Songs, die im Sommer 2021 nach und nach auf die Öffentlichkeit losgelassen wurden und auch im Rahmen einiger Picknickkonzerte zu erleben waren.
Wenn nichts Unvorhersehbares passiert (und der Bedarf an Unvorhersehbarem ist für die nächsten Jahrzehnte gedeckt), könnte 2022 eine Menge neuer Musik und hoffentlich noch mehr Konzerte auf uns zukommen.
09.06.22 – JunkYard – Dortmund
12.06.22 – Gut Wöllried Kulturtage – Rottendorf
14.07.22 – Kulturinsel Wöhrmühle – Erlangen
16.07.22 – Kulturarena – Jena
05.08.22 – Junge Garde – Dresden
20.08.22 – Kulturfabrik Kufstein – Kufstein
Fotocredit: Nils Lucas