Am 23. Februar hat das Warten ein Ende: Nach großem Erfolg ihres dritten Tonträgers „Dark“ präsentiert das Trio Blackout Problems nun ihr viertes Album „Riot“. Elf düstere, aber dennoch tanzbare Songs sollen darauf zu einem explosiven Rocksound verschmelzen. Ob da etwas dran ist, wie es überhaupt zu dem neuen Sound kam und was das Kernkonzept des Albums „Our flame won’t get any smaller if you feed it with oil“ zu bedeuten hat? Das verrät euch Bassist Marcus im Interview.
Frontstage Magazine: Lieber Marcus, ich freue mich sehr, dass du heute Zeit gefunden hast, mit mir über euer kommendes Album zu sprechen. Es wird „Riot“ heißen und am 23. Februar erscheinen. Wie würdest du es mit drei Adjektiven beschreiben?
Marcus (schmunzelt und beginnt zu grübeln): Zugänglich. Aufständisch. Friedlich.
Frontstage Magazine: Mit „Riot“ schlägt euer Albumtitel buchstäblich Purzelbäume. Was hat euch an diesem Wortspiel so fasziniert, dass ihr euch für ein Anagramm als Titel entschieden habt?
Marcus: Die Geschichte hinter dem Albumnamen ist eher zufällig entstanden als von langer Hand geplant. Wir haben unglaublich lange nach einem passenden Titel gesucht und lange darüber nachgedacht – es war echt nicht leicht. Aber wir hatten ein paar Parameter im Kopf, die uns wichtig waren. Zum Beispiel wollten wir wieder einen Namen mit vier Buchstaben, damit er zu den vorherigen Alben passt. Aber das schränkte unsere Möglichkeiten ein.
Am Ende hatten wir ein paar Albumnamen in der engeren Auswahl. Unter anderem „Beautiful Riot“, weil Mario das in unserem Song „Funeral“ so besingt. Da wir aber einen Titel mit vier Buchstaben haben wollten, stellten wir uns die Frage, warum wir es nicht „Riot“ nennen und den Leuten einfach etwas dazu erzählen. Klar, wer in den 00er Jahren großgeworden ist, denkt bei „Riot“ vielleicht schnell an Paramore. Aber damit hat unser Album nicht viel zu tun. Vielleicht gibt es textlich oder musikalisch hier und da ein paar Parallelen. Wir outen uns aber nicht als krasse Paramore-Fans. Es war eher Zufall, weil es einfach für uns passte.
Irgendwann saßen wir in unserer Lieblingsdönerbude und beschlossen, „Riot“ als unseren neuen Albumtitel zu besiegeln. Beim Verabschieden standen wir noch ein bisschen zusammen und plötzlich schoss es aus mir heraus: „Hey Leute, ‚Riot‘ heißt auch ‚Trio‘, wenn man die Buchstaben anders angeordnet!“ Das kam so random, dass wir danach definitiv gesagt haben, dass es wohl so sein muss. Wir sind jetzt ein Trio und deshalb hat es hat sich wohl so gefügt. (lacht)
Frontstage Magazine: Das ist wirklich eine lustige Fügung. Wie du gerade schon angesprochen hast, kann „Riot“ unterschiedlich assoziiert werden. Was verbindet ihr mit dem Albumtitel?
Marcus: „Riot“ spiegelt ziemlich gut wider, wofür wir unsere Musik sehen und was weltpolitisch gerade passiert. Wir leben in einer super kontroversen Zeit. Deshalb passiert es bei uns quasi automatisch, dass wir solche Musik schreiben und unser Album gleichzeitig zum friedlichen Protest aufruft. „Riot“ wird oft mit Gewalt oder Militanz assoziiert. Wir wollen aber zeigen, dass es auch anders geht. Als „Beautiful Riot“ zum Beispiel; einem friedlichem Widerstand oder Aufstand eben gegen Dinge, die uns nicht passen – ganz gleich, ob weltpolitisch oder im privaten Umfeld.
Frontstage Magazine: Wenn ich mir eure Albumbeschreibung anschaue, dann beschreibt Mario darin das Kernkonzept eures neuen Tonträgers mit den Worten „Our flame won’t get any smaller if you feed it with oil“. Inwiefern beschreibt das eure Entwicklung als Band und als Menschen?
Marcus: Seit unserem letzten Album sind mittlerweile drei Jahre vergangen. Geschrieben haben wir es vor vier. 2019 sind wir als Support von Royal Republic auf großer Europatour gewesen. In dieser Zeit haben wir auch „Stash“ geschrieben und mit der Abeit an „Riot“ begonnen. Gleichzeitig ist in dieser Zeit unglaublich viel passiert – unabhängig davon, dass sich unser Schlagzeuger und Freund von uns getrennt hat. In vielen Ländern der Erde herrscht Krieg und die Welt geht vor die Hunde. Da brauchen wir kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Auch persönlich ist in den vier Jahren viel passiert und wir sind durch eine krasse Krise gegangen.
Zum einen kam Corona und wir vier haben gemerkt, dass wir auch mal einen Break voneinander brauchen. Wir hingen in der Zeit vor Corona absurd viel aufeinander und rund um den Albumrelease von „Dark“ natürlich auch. Deshalb beschlossen wir, jeden seinen eigenen Weg gehen zu lassen; wohin auch immer es ihn zieht, in der Gewissheit, dass wir am Ende wieder zueinander finden würden. Was schließlich auch passiert ist – bis auf eine Person. Deshalb ist das Album auch sehr autobiographisch. Mit den Texten, die Mario schreibt, können Moritz und ich uns zu 99,9 Prozent immer identifizieren. Um deine Frage zu beantworten: „Our flame won’t get any smaller if you feed it with oil“ beschreibt „Riot“ also sehr gut.
Frontstage Magazine: Es ist so schön zu sehen, dass ihr euch den Raum gebt, euch persönlich weiterzuentwickeln und am Ende trotzdem wieder zueinander findet. Das zeugt von einer Menge Vertrauen und tiefer Verbundenheit. Ich bilde mir ein, eure Weiterentwicklung in eurem neuen Sound zu hören. Siehst du das ähnlich? Wie würdest du euren neuen Sound beschreiben? Gibt es bei „Riot“ musikalische Elemente, die sich von seinem Vorgänger „Dark“ unterscheiden?
Marcus: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass uns die Entwicklung liegt und dass wir uns selbst einen Gefallen tun, wenn wir uns stetig weiterentwickeln, anstatt zu versuchen, „Dark“ zweimal zu schreiben oder „Kaos“ zu reproduzieren. Es würde uns viel schwerer fallen, etwas im gleichen Gewand zu schreiben, nur vermeintlich besser. Deshalb ist der Prozess der Weiterentwicklung für uns völlig normal und leichtgängig. Wir versuchen immer, uns ein wenig auszuprobieren und spielen gerne mit einer gewissen Polarität in den Songs. Ob sehr hart oder sehr weich, sehr synthieorientiert oder mit Saiteninstrumenten: Ich glaube, die Linie zieht sich ein bisschen durch.
Das erste Album war das rudimentärste. Drei Instrumente – das war‘s. Keine High-End-Vocal-Produktion, sondern auch schiefe und nicht ganz synchronisierte Töne. Bei „Kaos“ konnte man bereits eine gewisse Weiterentwicklung erkennen. Und bei „Dark“ wollten wir herausfinden, wie es ist, eine High-End- und Fullrange-Produktion mit Synthesizern und allem Drum und Dran zu machen. „Riot“ ist das kosmische Ergebnis, das aus der Verschmelzung der Elemente von „Dark“ und „Kaos“ entsteht. Es verbindet das Bandlastige aus „Kaos“ mit den starken Synthieparts von „Dark“, die für uns natürlich auch eine große Rolle spielen.
Um es auf den Punkt zu bringen: „Riot“ vereint Synthies und Gitarren auf harmonische Weise und repräsentiert beide Seiten unserer musikalischen Welten – die elektronische und die akustische.
Frontstage Magazine: Das hast du schön auf den Punkt gebracht. Wie fühlt es sich für euch an, ein Album erstmalig als Trio aufzunehmen? Wie hat sich eure Arbeit auf die Dynamik und euren kreativen Ausdruck ausgewirkt?
Marcus: Da wir sehr lange am Album geschrieben haben, haben wir sehr viele Stadien durchlebt. Es war nicht so, dass wir uns einen Monat lang jeden Tag getroffen haben, um an dem Album zu arbeiten. Stattdessen haben wir eher in Etappen geschrieben – und nicht immer waren alle dabei. Es gab Phasen, in denen nur Mario und Mo zusammen in Berlin saßen und ihre Ideen festhielten. Ebenso gab es Zeiten, in denen Mario komplett alleine arbeitete oder sich Produzent*innen oder Songwriter*innen dazu holte, um gemeinsam mit ihnen am Album zu schreiben. Das galt auch für die Suche nach Produzent*innen, die für uns von großer Bedeutung war. Denn es war uns wichtig, eine externe Meinung in den Writingprozess miteinzubeziehen, die uns versteht.
Irgendwann gab es eine Phase, in der Mario die Sonne im „Riot-Universum“ war und sich die Mitwirkenden nahm, die er gerade brauchte. Wir haben ihm geholfen, wo wir konnten und uns eingebracht, wo wir es für sinnvoll und richtig hielten. Das führte schließlich dazu, dass Mario zum ersten Mal ein Album von uns in Eigenregie zusammen mit Karan Walia aufgenommen und produziert hat. Zum Abschluss hat Moriz Enders dann das ganze Album abgemischt. Da wir mit seiner Arbeit bei „Dark“ so happy waren, stand es für uns außer Frage, ihn auch diesmal wieder zu fragen.
Frontstage Magazine: Wie kam die Zusammenarbeit zwischen Moritz und Karan zustande?
Marcus: Wir haben Moritz vier Tage vor dem ersten Lockdown in seinem Studio in Berlin besucht und kennengelernt. Wir hatten schon viel Positives über ihn gehört und wollten ihn unbedingt persönlich kennenlernen, weil seine Arbeit einfach so absurd gut klingt. Wir hatten ihn also schon immer im Auge und waren froh, dass wir bei „Dark“ die erste Gelegenheit hatten, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Karan kennen wir seit 2013, also schon super lange. Damals spielten wir eine Show mit Nico Laska, der auch ein Freund von uns ist, und Karan war Teil seiner Band. Seitdem haben wir seine Entwicklung und auch die von Nico als Soloartist verfolgt. Die Zusammenarbeit mit Karan hat schon bei „Kaos“ begonnen, als wir aktiv auf ihn zukamen. Damals war er noch als Aufnahmeleiter mit dabei, fuhr mit ins Studio, mikrofonierte, drückte auf Record und sorgte dafür, dass alle Signale eine gute Qualität hatten. Bei „Dark“ war er dann schon Assistent von Moritz Enders. Und jetzt bei „Riot“ hat sich eine kreative Partnerschaft zwischen ihm und Mario entwickelt.
Frontstage Magazine: Ach, wie schön! An welchen Stellen haben Moritz und Karan ihren Feenstaub über den neuen Klang des Albums gestreut?
Marcus: Moritz ist ein Klangexperte, der unserem Sound am Ende genau das verleiht, was es braucht, um so groß zu klingen, wie wir es uns wünschen. Sein Gehör ist bemerkenswert und er verfolgt nicht den Ansatz, den Sound zu sehr in eine Richtung zu lenken. Stattdessen sorgt er dafür, dass es weit, offen und groß klingt – genau so, wie wir es uns für unsere Musik und unseren Sound wünschen. Moritz hat die Fähigkeit, das Maximum aus den Songs rauszuholen, weil er einfach die Expertise hat, Songs auf die bestmögliche Art und Weise abzumischen.
Karan hingegen beherrscht es hervorragend, dass wir uns nicht in Details verlieren und vermittelt ein klares Verständnis dafür, was den Song wirklich besser macht und wie viel Liebe zum Detail angebracht ist. Er lenkt die Energie geschickt dorthin, wo sie am effektivsten ist, und erkennt, dass sie an einer anderen Stelle oder in einem anderen Song vielleicht viel wichtiger sein könnte.
Frontstage Magazine: Diese geballte Synergie kreativer Kräfte klingt faszinierend. Lass‘ uns nun einen genaueren Blick auf eure Arbeit werfen: Wie war es für euch, einen Song mit Rou Reynolds von Enter Shikari aufzunehmen? Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und warum gerade mit Enter Shikari?
Marcus (Gerät ins Schwärmen): Wir sind seit 10 bis 15 Jahren bekennende Enter Shikari-Fans. Schon früh im Schaffensprozess von Enter Shikari haben wir gemerkt, wie absurd gut wir ihre Musik, ihre Werte und ihre Live-Performance finden. Enter Shikari ist unsere größte Inspiration und auch der Grund, warum unsere Live-Shows heute so sind, wie sie sind. Durch sie haben wir gelernt, wie man sich auf positive Art und Weise in der Musik verlieren kann und wie es möglich ist, sich von der Musik tragen und in ihr fallen zu lassen. Das war für uns am Anfang total überwältigend. Deshalb haben wir versucht, diese inspirierenden Erfahrungen als Antrieb zu nutzen und unseren eigenen einzigartigen Weg zu finden.
Natürlich versuchten wir irgendwann, mit der Band Kontakt in Kontakt zu treten. Denn es juckte uns schon in den Fingern, die Leute hinter der Band kennenzulernen. Der erste Kontakt ergab sich, als wir 2014 mit dem Bayerischen Rundfunk eine Serie namens „Startrampe“ produzierten. Dort hatten wir die Gelegenheit, Enter Shikari zu interviewen. Das war unser erster Kontakt mit ihnen. Die Band schaute sich sogar neben der Bühne unsere Show an, was uns total flashte. Von da an bewarben wir uns für jede Supportshow ihrer Tourneen, aber ohne Erfolg. Irgendwann schien die Band erkannt zu haben, dass wir Biss und richtig Bock haben – und vielleicht auch die richtigen Werte teilen. Für die aktuelle Tour haben wir uns tatsächlich zum ersten Mal auch nicht beworben – aber: Überraschenderweise kam die Band von sich aus auf uns zu. Das hat uns komplett umgehauen und wir haben natürlich sofort zugesagt!
Für Mario war es schon immer ein großer Traum, eines Tages mal mit Rou ein Feature zu machen. Während wir also nach der Veröffentlichung von „Dark“ alle unsere eigenen Wege gingen, heckte Mario im Studio etwas aus, von dem wir damals noch nichts ahnten. Eines Tages trafen wir uns im Studio, um uns ein paar Demos anzuhören – als Mario auf uns zukam und sagte, er müsse uns etwas zeigen. Er fügte hinzu, dass er gerade an einem Track arbeite, den er sich gut für das nächste Album vorstellen könne. Als dann plötzlich Rous Stimme aus den Boxen ertönte, waren wir total baff, bekamen Gänsehaut 3000, und konnten kaum begreifen, was in diesem Moment passierte. Mario hatte sich über unsere Management-Kanäle Rous Handynummer besorgt, ihm eine Demo von „Glofs“ geschickt und ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, mit uns ein Feature zu machen. Es verging einige Weile, bis eines Tages eine Whatsapp-Nachricht mit einem mp3-File und seiner Aufnahme kam. Genau diese Spur ist auch auf dem Album zu hören. Das war dann sozusagen der Beginn – ich lehne mich jetzt ein bisschen aus dem Fenster – einer Freundschaft, die wahnsinnig inspirierend ist.
Durch die Einladung zur UK-Tour, die beiden ausverkauften Konzerte in Deutschland und die große Tour mit vielen EU-Dates, hatten wir schon die Gelegenheit, sie etwas näher kennenzulernen. Wir haben sie als extrem sympathische, bodenständige, kommunikative und liebe Menschen erlebt. Es ist total schön, so eine Verbindung zur Insel zu haben. Es rückt das UK-Thema ein bisschen näher an das Festland und vertieft somit die Beziehungen zur EU-Gemeinschaft, was trotz der aktuellen politischen Lage, eine echt positive Entwicklung ist.
Frontstage Magazine: Während eurer musikalischen Reise lernt ihr viele tolle Bands kennen. Royal Republic und Enter Shikari durftet ihr schon auf Tour begleiten. Was habt ihr von ihnen lernen dürfen?
Marcus: Was ich von Royal Republic, Enter Shikari und vielen Bands unserer Supportshows gelernt habe, ist die Bedeutung von gegenseitiger Achtsamkeit und Respekt, sowohl vor als auch hinter der Bühne. Diese Bands haben sich wirklich die Finger wund gespielt und absurd viele Kilometer auf Autobahnen und Highways verbracht, um das zu tun, was sie lieben: Musik. Ein weiterer wichtiger Aspekt, den ich von ihnen gelernt habe, ist, für das einzustehen, was man fühlt.
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass jeder, ob auf, neben oder hinter der Bühne, seinen Beitrag dazu leistet, um den Tag für alle angenehm und schön zu gestalten. Die Idee einer Tour basiert darauf, dass eine Gruppe für eine bestimmte Zeit zusammen unterwegs ist und sich aufeinander verlassen kann. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, dass der Tag für alle harmonisch verläuft. Wenn das nicht der Fall ist, gerät das Ganze ein wenig aus dem Gleichgewicht und der Tag ist nicht mehr so schön oder jemand fühlt sich nicht mehr so wohl.
Frontstage Magazine: Gibt es für dich ein Geheimrezept, das du für dich daraus mitnehmen kannst?
Marcus (schmunzelt): Atmen und den Moment bewusst wahrnehmen und verstehen. In unserer super schnelllebigen Zeit verlieren wir uns schnell in den vielen Ereignissen, die gleichzeitig stattfinden, oder erinnern uns nach kurzer Zeit nicht mehr an sie. Ich finde, dass es super wertvoll ist, das Hier und Jetzt bewusst wahrzunehmen, ohne sich schon in den Ereignissen der Zukunft zu verlieren. Gerade auf Tour: die Konzerte, die Momente und Gespräche mit Konzertbesucher*innen und Freund*innen. Das Geheimrezept ist also eine Mischung aus Reflexion, Achtsamkeit und dem Bewusstsein für den Moment.
Frontstage Magazine: In den nächsten Tagen habt ihr mit Enter Shikari noch Termine in der EU. Worin seht ihr die größten Chancen und Herausforderungen als deutsche Band in der internationalen Musikszene?
Marcus: Das ist eine wirklich interessante Frage. Vor unserem ersten Konzert im Ausland hatte ich extrem Respekt und auch ein bisschen Angst. Ich fragte mich, wie die Leute dort wohl reagieren würden – auf eine deutsche Band mit englischen Texten. Besonders vor dem Hintergrund der beeindruckenden Künstler*innen und Acts, die sie bereits haben. Es war unglaublich, wie herzlich und nett wir dort aufgenommen wurden. Seit unserem ersten Konzert wächst unser Publikum und die Zahl der Konzertbesucher*innen dort stetig, ähnlich wie in Deutschland. In Großbritannien haben wir mittlerweile Bekannte und Freund*innen, mit denen wir uns nett unterhalten können und die immer wieder auf unsere Konzerte kommen.
Es ist wahnsinnig schön zu sehen, dass in der Musik nationale Grenzen keine hinderliche Rolle spielen. Selbst eine deutsche Band, die obviously keine englische Muttersprachlerin ist, wird dort herzlich aufgenommen. Die Leute sind wegen der Musik da und nicht, um mit dem Zeigefinger auf die schlechte Aussprache zu zeigen. Außerdem war es für uns schon seit Jahren ein Wunsch, im Ausland zu spielen, weil wir eine extreme Spielwut und Spielfreude in uns tragen. In den Phasen, in denen wir keine Konzerte spielen, fragen wir uns manchmal, wie wir dieses Ventil ersetzen können.
Bei uns spielt auch eine starke intrinsische Motivation eine Rolle, im Ausland Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen, neue Orte zu erkunden und ein tieferes Verständnis und Bewusstsein für die Geschehnisse in unserer Welt zu entwickeln. Deutschland kann, ehrlich gesagt, wie ein Mikrokosmos erscheinen. Vor allem, wenn man sich in seiner Bubble bewegt und nicht über den Tellerrand hinausschaut. Die Konzertlandschaft in Deutschland kann einen schnell zum Kotzen bringen, weil sich Bands darüber beschweren, dass es im Jugendhaus XY mal wieder Chili zu essen gibt. Wenn man nach England oder in andere Länder fährt, weiß man krass zu schätzen, dass es im Jugendhaus XY Wasser, vielleicht ´ne Auswahl an Softdrinks und sogar ´ne warme Mahlzeit gibt.
In England ist es überhaupt nicht üblich, dass einem Essen gestellt wird. Stattdessen bekommt man dort ein paar Pfund und muss sich selbst versorgen – das ist keine Wertung, sondern einfach ein anderer kultureller Ansatz. In Deutschland bewegen wir uns schnell und gerne in unserer Komfortzone, in der vieles vorhersehbar ist. Aber wenn man diese Komfortzone einmal verlässt und sich auf neue Erfahrungen einlässt, entsteht ein wunderbares Gefühl von Gemeinschaft und Verbundenheit. Deshalb gehören für mich die gemeinsamen Reisen mit der Band zu den schönsten Erlebnissen.
Ich glaube, es ist wichtig zu verstehen, dass dort niemand auf uns wartet. Aber auch wenn wir nicht in unserer Muttersprache singen, wollen wir den Menschen eine Botschaft und unsere Werte vermitteln. Und das nicht nur innerhalb unserer eigenen Landesgrenzen. Abgesehen davon, dass ein Native Speaker vielleicht anders klingt, kann die Musik trotzdem magisch sein, weil sie mit Gitarre, Schlagzeug oder dem Synthie ihren eigenen Klangcharakter hat. Und Akzent hin oder her: Wenn man die Grenzen fallen lässt und offen für Neues ist, stellt man fest, dass sich der britische Konzertmarkt und die Mentalität gar nicht so sehr von der deutschen unterscheiden.
Denn selbst in Großbritannien ist die Konzertatmosphäre sehr unterschiedlich – je nachdem, ob man in London, Glasgow Cardiff oder Birmingham auf eine Show geht. Die Leute sind völlig unterschiedlich. Es gibt Regionen oder Leute, die eher steif sind, zuhören und dann krass laut nach einem Song applaudieren. Das sind auch die, die hinteher zum Merch kommen und dir erzählen, wie krass sie die Show fanden. Dann wiederum gibt’s Shows in Städten wie in London und Berlin, mit einer großen Gästeliste, bei denen die Leute aus dem ganzen Land kommen, feiern, abgehen, Circle Pits machen, springen und klatschen. Die ähneln sich sehr, nur dass sie eben nicht geografisch gleich verteilt sind, sondern man auch regionale Unterschiede bemerkt.
Die gegenseitige Symbiose ist das Wichtigste bei unseren Konzerten. Wenn die Zuhörer*innen bei uns keine gute Zeit haben, haben wir sie auch nicht. Ich glaube, dass es umgekehrt genauso ist. Wenn die Leute merken, dass wir nicht bei der Sache sind, sind wir nicht authentisch und dann ist das Konzert auch nicht gut.
Frontstage Magazine: Wenn wir unseren Blick jetzt mal über die Konzerte raus in die Welt richten: Wie erlebt ihr die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen, die uns momentan umgeben? Kanalisiert ihr sie?
Marcus: Tja, das ist in der Tat eine gute Frage, die ich mir regelmäßig auf’s Neue stelle und jedes Mal neu bewerte. Gerade habe ich die Zeit völlig aus den Augen verloren, weil ich mich so intensiv mit dem Nahostkonflikt beschäftigt habe. Manchmal überkommt mich so ein unfassbarer Weltschmerz und ich fühle mich so taub und ohnmächtig gegenüber all diesen Themen. Gleichzeitig denke ich aber auch, dass es doch möglich sein muss, etwas dagegen zu tun. Deshalb ist Musik für uns auf jeden Fall eine Art Ventil, um Themen zu verarbeiten und zu kanalisieren.
Allerdings glaube ich, dass es nicht ausreicht. Wir sind eine kleine Band, und obwohl wir Menschen erreichen, sind es nicht alle. Es ist schwierig, genug Bewusstsein für Werte zu schaffen, wenn so viele gegensätzliche Werte im Umlauf sind. Trotz der Resignation, die uns oft überkommt, wenn wir von Nachrichten überflutet werden, sollten wir daran festhalten, dass es wichtig ist, an wichtigen Orten und zu kritischen Zeitpunkten Stellung zu beziehen. Ob es um den Klimaschutz, den Kampf gegen Rechts oder für den Einsatz für den Frieden geht – ich glaube, es ist ein Mix aus allem, was wir tun. Wir schreiben Songs, spielen Konzerte, versuchen, die Menschen zu sensibilisieren – sei es physisch auf Konzerten oder digital auf Plattformen. Gleichzeitig sind wir auch auf der Straße aktiv.
Ich möchte allen mit auf den Weg geben: Auch wenn es manchmal so aussieht, als könne man nichts tun, weil man denkt, dass kleine Aktionen nichts bewirken und am Ende sowieso jemand anderes entscheidet. Aber es ist wichtig, den Glauben nicht zu verlieren. Ich verstehe, dass solche Gedanken aufkommen können, aber ich glaube fest daran, dass wir zeigen müssen, dass wir gemeinsam laut und stark sind – und dass wir eine Gemeinschaft bilden. Das ist das Wichtigste für die Demokratie und die Menschheit insgesamt – der Zusammenhalt. Wenn der verloren geht, stimmt es: Dann können wir wirklich nichts mehr machen. Solange wir jedoch eine starke Gemeinschaft bilden, eine Mehrheit, die für das Richtige steht, haben wir etwas in der Hand, dem wir entgegensetzen können.
Trotzdem finde ich, dass man sich auch die Zeit nehmen darf, Weltschmerz zu empfinden. Im besten Fall kann daraus ein Impuls entstehen, etwas zu tun. Es muss nichts Großes sein, denn wir sind alle viel zu klein, um das große Ganze zu verändern. Aber wenn jeder das Beste aus seinen Möglichkeiten macht, glaube ich, können wir auch besser damit umgehen.
Wir engagieren uns zum Beispiel mit Benefizkonzerten für die Erdbebenopfer in Syrien und der Türkei. So haben wir zumindest das Gefühl, dem Geschehen nicht so machtlos gegenüber zu stehen. In Bezug auf den Ukrainekrieg und die EU-Außengrenzen handeln wir ähnlich: Wir nehmen uns einen Sprinter und fahren dorthin, um den Menschen Hilfsgüter zu bringen. Das sind nur kleine Hebel. Aber zumindest etwas zu tun, fühlt sich immer noch besser an, als tatenlos zuzuschauen.
Frontstage Magazine: Glaubst du, dass es eure Verantwortung als Band ist, euch ganz klar zu gesellschaftlichen und politischen Angelegenheiten zu positionieren?
Marcus: Ja, auf jeden Fall. Das sollte für jede Person gelten, die sich für eine Funktion im öffentlichen Leben entscheidet. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es uns heutzutage nicht mehr leisten können, nichts zu sagen. Es gibt genug wichtige Themen, die schief laufen. Ich finde, jede Person sollte sich dazu äußern. Ich finde es heute ein bisschen schwierig, nichts zu sagen, weil man denkt, es sei zu kompliziert, Stellung zu beziehen. Gerade weil die meisten politischen oder gesellschaftlichen Themen im Leben nicht nur schwarz und weiß sind. Die Leute gehen zum Beispiel nicht nur wegen der AfD auf die Straße, sondern auch, weil sie die Politik der Ampel kritisieren. Deshalb habe ich ein Problem damit, nichts mehr zu sagen, und deshalb ist es für uns wichtig, das zu tun. Außerdem ist es und wichtig, dass die Leute auf unseren Konzerten wissen, dass alle im Raum gleichberechtigt sind, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft.
Frontstage Magazine: Das hast du schön formuliert. Lass uns nun zu etwas Positiverem übergehen: Welche Wünsche und Hoffnungen hegst du für die Zukunft?
Marcus: Für die nächste Zeit wünsche ich mir ganz klar eine weltpolitische Deeskalation. Das Leid in der Welt muss einfach aufhören! All der Fremdenhass, die Fremdenfeindlichkeit und der Rassismus sollten endlich aufhören. Es mag vielleicht utopisch erscheinen zu glauben, dass diese Probleme vollständig verschwinden oder aufhören können. Aber es bleibt ein berechtigter Wunsch.
Ich wünsche mir aber auch, dass wir mit dem neuen Album und der kommenden Ära viele schöne Erlebnisse auf uns warten. Ich hoffe, dass wir wahnsinnig schöne Konzerte spielen werden, neue Gesichter kennenlernen und neue Hörer*innen gewinnen. Es wäre großartig, neue Menschen in unserem Bandkosmos willkommen zu heißen und selbst in unserem kleinen Wirkungskreis Gutes zu tun, um die Welt zumindest ein bisschen besser zu machen.
… All das wünsche ich mir ganz arg – und dass Blackout Problems so weitermachen kann, wie wir es die letzten zehn Jahre getan haben. Denn wenn ich mir eines nicht vorstellen kann, dann ist es ein Leben ohne Musik oder ohne die Band. Deshalb hoffe ich inständig, dass wir uns, nachdem wir „Riot“ ge- und bespielt haben, direkt wieder zusammensetzen, um neue Musik zu schreiben.
Für alle jene, die gerne unsere Musik hören, zu unseren Konzerten kommen und für die wir gerne da sind, wünsche ich mir, dass wir genau das noch sehr lange machen können.
Frontstage Magazine: Zum Schluss unseres Interviews möchte ich dir gerne noch drei Wunderfragen stellen, die du gerne humorvoll und kreativ beantworten darfst: Wenn du einen Song eures aktuellen Albums einer / einem berühmten Künstler*in oder Band vorspielen könntest, dann …
Marcus: … würde ich Justin Vernon besuchen und ihn fragen, ob wir eine Stunde lang zusammen Musik hören könnten. Ich würde ihn bitten, mir ganz viele Sachen zu zeigen, die er gut findet, um zu verstehen, wie er Bon Iver-Songs schreibt. Zum Schluss würde ich ihm noch „Talktome Part 2“ zeigen.
Frontstage Magazine: Wenn ihr „Riot“ in einem anderen Jahrzehnt veröffentlichen könntet, dann …
Marcus: … würde ich es in den 90er oder 00er Jahren veröffentlichen, als die Vans Warped Tour noch richtig cool war. Um einmal mit Blink und Co. auf der Bühne zu stehen, würde ich deshalb zuerst versuchen, in Amerika erfolgreich zu werden.
Frontstage Magazine: Wenn euer neues Album der Soundtrack einer Partei wäre, dann …
Marcus: … würde ich mir wünschen, dass „Riot“ Zauberkräfte hätte und sich AfD, CDU, CSU, FDP – und alles, was sich von der Mitte nach rechts bewegt – verwunschen würden und alle rechten Ideologien aus ihren Köpfen gelöscht würden. Wie wie bei Man in Black der Blitzdingsbums. (lacht)
Frontstage Magazine: Lieber Marcus, danke für unser inspirierendes Gespräch. Ich wünsche euch alles Gute für eure Veröffentlichung. Möge euer neues Album die Herzen all euer Fans berühren.
Marcus: Vielen lieben Dank auch dir!
Blackout Problems live
19.02.24 – Ancienne Belgique, Brüssel (Enter Shikari-Support)
21.02.24 – Le Trianon, Paris (Enter Shikari-Support)
23.02.24 – AFAS Live, Amsterdam, (Enter Shikari-Support)
24.02.24 – Palladium, Köln, (Enter Shikari-Support)
26.02.24 – Sporthalle, Hamburg, (Enter Shikari-Support)
27.02.24 – Columbiahalle, Berlin, (Enter Shikari-Support)
28.02.24 – Zenith, München, (Enter Shikari-Support)
29.02.24 – JuHa West, Stuttgart (Riot-Release-Show)
01.03.24 – Helios37, Köln (Riot-Release-Show)
08.06.24 – Rock im Park, Nürnberg
09.06.24 – Rock am Ring, Nürburg
29.06.24 – Vainstream Rockfest, Münster
17.08.24 – Highfield Festival, Großpösna
Fotocredit: Bernhard Schinn