Nach 17 gemeinsamen Jahren wurde es langsam Zeit für eine Bestandsaufnahme – dachten sich jedenfalls die Herren von Montreal. Herauskam eine riesige Fan-Aktion. Über diese Aktion, die neue Single „Zum Glück nicht relevant“ und noch ein paar andere Themen durften wir den Sänger und Gitarristen Hirsch mit unseren Fragen löchern.
Frontstage Magazine: Moin! Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für unsere Fragen genommen habt. Wie geht’s dir / euch?
Hirsch: Hey, danke für die Einladung! Wir sind alle gesund und munter, haben ne Kiste voll Schnelltests und hängen viel im Proberaum rum – etwas wie ganz früher. Gibt definitiv Schlimmeres!
Frontstage Magazine: Eure Single „Zum Glück nicht relevant“ ist vor wenigen Tagen erst erschienen und hat in kurzer Zeit 10.000 Streams geknackt. Nach über einem Jahr Pandemie scheint der Song bei den Menschen einen Nerv getroffen zu haben. Wie ist der Song entstanden? Hattet ihr beim Schreiben bereits das Gefühl, dass der Song so „einschlagen“ würde? Soweit ich es gesehen habe, waren die Reaktionen auf den Song durchweg positiv.
Hirsch: Das Lied rappelt in der Tat ganz gut und hat inzwischen mit über 50.000 Plays in der ersten Woche, den für uns bislang besten Single-Start hingelegt. Wir hatten uns im Dezember 2020 verabredet, im neuen Jahr wieder anzufangen, an neuen Liedern zu schreiben und das hat in diesem Fall super geklappt: den Text hier hatte ich am 2. Januar nahezu fertig und hab ihn Yonas geschickt, der dann in den Wochen drauf die Musik dazu geschrieben hat – so entstehen ca. 80% unserer Lieder, aber bei dem hier ging es erfreulich schnell. Die Idee dazu war, mal festzuhalten, was für teilweise schräge, Corona bedingte Auftrittsformen, Produkte, Aktionen etc. diese Zeit hervorgebracht hat – auch wir hatten und haben ja so einiges auf der Agenda, das wir ohne Pandemie vermutlich nicht unbedingt gemacht hätten. Das sollte aber A nicht zu wehleidig und B nicht zu pöbelig werden – diesen schmalen Grat haben wir glaub ich ganz gut getroffen. Dass das Lied aber so gut ankommt überrascht uns schon etwas, weil es thematisch eben sehr im eigenen kleinen Kosmos stattfindet und nicht unbedingt alle Zeilen sofort von allen verstanden werden dürften – da hatten wir definitiv schon Lieder, die inhaltlich von mehr Menschen nachfühlbar gewesen sein dürften. Aber das ist ja das Schöne: man weiss nie, welches Lied wie ankommen wird und dementsprechend lassen wir uns von sowas beim Schreiben auch nicht mehr irritieren.
Frontstage Magazine: „Zum Glück nicht relevant“ ist in jüngster Vergangenheit nicht das Einzige gewesen, das direkt viel Feedback bekommen hat. Für eure „Bestandsaufnahme“ habt ihr zum Voting aufgerufen und innerhalb kurzer Zeit gab es bereits mehr als 1.400 Teilnehmer. War die Aktion von Anfang an geplant gewesen oder entstand die Idee, weil ihr euch nicht entscheiden konntet welche Songs aufs Album sollten?
Hirsch: Nach 17 Bandjahren, 7 Alben und 2 EPs kann man schonmal eine Werkschau oder Best Of rauszubringen – besonders wenn man als Band=Label die Rechte an allen Liedern hat und dementsprechend frei agieren kann. Jetzt aber stumpf alle Singles auf eine Platte zu packen war uns dann doch etwas zu öde – zudem haben wir mit den Streaming Konzerten und den Aktionen drumherum gemerkt, dass unser Publikum vielleicht auch wegen der ganzen Corona Lage unheimlich aktiv und auf Zack ist, wenn wir was starten. So war also recht schnell die Idee im Raum, dass wir einen Aufruf machen und so eine sehr basisdemokratische Liedauswahl anstreben.
Frontstage Magazine: Hattet ihr mit so einer Resonanz gerechnet? Immerhin habt ihr ja versprochen, dass alle Namen im Booklet und auf den Shirts bzw. Hoodies verewigt werden. So viele Namen unterzubringen, wird dann ja auch eine grafische Meisterleistung (ein Hoch an dieser Stelle an den oder die Menschen, die dafür verantwortlich sein werden).
Hirsch: Nein, mit DIESER Resonanz haben wir echt nicht gerechnet! Irgendwas zwischen 500-1000 hatten wir glaub ich im Kopf und angepeilt. So viele hatten vor einem Jahr bei unserem ersten Streamingkonzert mitgemacht bei der Aktion, wo alle den Ort, an dem sie das Streamingkonzert geschaut haben, auf die Rückseite des Shirts dazu packen konnten. Diese Dimension haben wir also schonmal gewuppt bekommen. Inzwischen sind wir aber schon bei über 2000 Teilnehmer*innen – was unglaublich ist und da Booklet etwas dicker werden lassen dürfte und die Schriftgröße auf den Textilien sehr klein – irgendwie bekommen wir das aber schon hin.
Frontstage Magazine: Habt ihr euch die bisherigen Votingergebnisse angeschaut? Wenn ja – gab es irgendwelche Überraschungen oder lagen eher die Songs vorne von denen ich bereits vermutet haben, dass die „beliebt“ sind? Wenn nicht – wart ihr nicht neugierig?
Hirsch: Klar sind wir da super neugierig und wir verfolgen das auch sehr aufmerksam, da wir am 26.05.21 bei unserem Streaming Konzert im Bremer Club100 die vom Publikum ausgesuchten Lieder verraten und spielen wollen – das müssen wir ja schon mal proben. Es sind nämlich einige Überraschungen dabei und es tut sich auf den unteren Plätzen 11-15 immer noch sehr viel. Einige Lieder, die wir klar in den Top15 gesehen hätten, sind wiederum nicht dabei. Auch für spätere Setlistfindung ist diese Umfrage ja nicht ganz uninteressant.
Frontstage Magazine: Wenn wir schon bei einer Bestandsaufnahme sind. Habt ihr eine Ahnung wie viele Songs ihr im Laufe der Jahre insgesamt geschrieben habt?
Hirsch: Wir haben extra nachgesehen und alle von uns geschriebenen und veröffentlichten zur Auswahl gestellt – es sind 85 Stück. Dazu kommen die drei, die wir Anfang 2021 aufgenommen haben und die als Dankeschön mit aufs Album kommen – also dann 88 Lieder. Mit der nächsten Platte könnten wir die 100 knacken!
Frontstage Magazine: Gab es jemals einen Song, bei dem ihr im Nachhinein gedacht habt „hätten wir den mal lieber nicht veröffentlicht“? Wenn ja – welcher und warum? Oder gibt es Songs (eventuell aus euren Anfängen), die ihr mittlerweile nicht mehr oder anders machen würdet?
Hirsch: Wir würden sicher bei einigen Liedern der ersten Alben im Studio heute vieles anders machen und wir passen die Live ja auch zum Teil an, indem wir aus heutiger Sicht unnötige Teile kürzen oder weglassen, aber richtig schämen tun wir uns glaub ich für keins.
Es ist auch etwas beruhigend zu sehen, dass Lieder, die wir jetzt nicht sooo gelungen finden, immer noch von einigen Hundert Leuten unter die Top15 gewählt werden – da haben wir also nicht alles falsch gemacht hier und da.
Frontstage Magazine: Gibt es einen Song (völlig egal von wem oder von wann der eigentlich ist), den ihr gern gemacht hättet? Wenn ja – warum der?
Hirsch: Ich würde mich da jetzt mal auf die deutschsprachigen beschränken, denn Clash oder NOFX Lieder hätten wir sicher einige gern geschrieben und kann da an dieser Stelle auch nur für mich sprechen: Liebesspieler von den Hosen, Allein gegen Alle von der Terrorgruppe oder Junge von den Ärzten sind für mich schon sehr nah am perfekten Lied – und die hätte ich dann auch ganz gern verzapft.
Frontstage Magazine: In einem Interview von euch habe ich gelesen, dass 2020 das Motto „besser als nichts“ hatte. Da wir leider noch weit entfernt von früherer Normalität sind und aktuell die ersten Termine für Dinge wie „Strandkorb Open Airs“ sowie weitere Autokinokonzerte nach und nach veröffentlicht werden. Habt ihr Konzert – Pläne für 2021 (außerhalb der Nachholtermine von 2020)?
Hirsch: Das lässt sich alles nur sehr kurzfristig angehen, weil eben keiner weiß, was in 8 Wochen oder gar später sein wird. Wir hatten für Ende Mai Covid-Konzerte geplant, wo zum Teil 100-200 Leute unter strengen Regeln in Räumen sind, wo sonst 1000-2000 Leute reinpassen – selbst das ist grad leider nicht umsetzbar und konnte nicht angekündigt werden. Wir sehen zu, was im Sommer geht und werden sicher wie im letzten Jahr auch das ein oder andere hinbekommen, aber was-wann-wo hängt erst mal sehr davon ab, wie die nächsten Wochen sich entwickeln. „alles was geht“ könnte man da vielleicht ergänzend zum 2020er Motto packen.
Frontstage Magazine: Die Tour trägt den schönen Titel „Hier und Heute Nicht Tour“? Gab es im Laufe der letzten 12 Monate irgendwann einen Punkt des „Galgenhumors“ an dem man dachte „Nomen est Omen“? Aber tröstet euch – nicht nur ihr hatten passende Tourtitel zum Jahr 2020. Die Tour der Band SDP heißt „Die unendlichste Tour“ und die wurde erstmalig von 2019 auf 2020 verschoben.
Der Tourtitel wurde uns im letzten Jahr ein ums andere mal unter die Nase gerieben, der von ITCHY (Ja, als ob) war ähnlich gut, aber SDP hat da offenbar am gründlichsten ins Schwarze getroffen – wer Touren von 2019 auf 2020 geschoben hat und jetzt mit Glück irgendwann 2022 spielen wird, hat den absoluten Corona-Jackpot abgegriffen.
Frontstage Magazine: Zum Schluss: Was würdet ihr gern mal über euch lesen?
Hirsch: Ach, wir haben inzwischen schon recht viel unverhofft Gutes über uns bzw. zum Glück überwiegend unsere Lieder/Konzerte gelesen und sind immer noch froh und dankbar über alle, die sich in irgendeiner Form mit unserer Musik auseinandersetzen und die im besten Fall dann noch weiterempfehlen. Wir freuen uns über himmelhochjauchzende Lobhudelei und bitterböseste Verrisse nahezu gleichermaßen – darf man eh alles nicht zu ernst nehmen.