Hinter uns liegt ein ganz besonderes Wochenende, welches im Norden noch einmal zwei hochklassige Festivals im November versprach. Dabei hätten die musikalischen Richtungen nicht unterschiedlicher sein können: Während es am Weissenhäuser Strand mit dem Rolling Stone Beach die geballte Ladung Rock auf die Ohren gab, glänzte man in Neustadt-Glewe in der Mega-Arena des Airbeat Ones mit feinster Electro-Musik rund um Headliner Scooter. Wir waren für euch auf beiden Events unterwegs und berichten über unsere Eindrücke und warum man sich die Termine fürs nächste Jahr durchaus vormerken sollte.
Am Freitag und Samstag konnten sich Freund*innen der Rockmusik verwirklichen. Mitten am Weissenhäuser Strand wurde ein Festival mit vier Bühnen in einer ganz besonderen Location abgehalten. „Vielleicht fängt jemand da draußen Feuer“, mit dieser Hoffnung startete Die Regierung aus dem Einflussbereich der Hamburger Schule ihr Konzert am ersten Tag, nachdem die Jungs von The Dead South ihrerseits auf der Mainstage eröffneten. Gleichzeitig machten sich David Keenan in der Alm und Betterov auf der kleinsten Bühne, dem Möwenbräu, bereit. Damit fällt direkt die erste Besonderheit ins Auge, dass die drei Bühnen immer genau zur selben Zeit starteten. Also musste man sich entweder entscheiden oder schnell sein. Da wir so viel wie möglich für euch sehen wollten, gab es für uns einiges zu laufen. Zum Glück gab es keine langen Wege, da das Festival in einem Hotelkomplex in direkter Strandnähe abgehalten wurde. Bedeutete für uns zum einen Freude über die Wetterunabhängigkeit, zum anderen aber auch die Möglichkeit in die besondere Atmosphäre einzutauchen, da die meisten Besucher*innen direkt im gleichen Gebäude ihre Apartments hatten. Dies macht das Rolling Stone Beach zum perfekten Konzert für entweder Kandidat*innen des älteren Semesters, die auf keine Annehmlichkeiten verzichten mussten, oder Familien, denn das eigene Zimmer war ja nie weit. Außerdem bot die Location ihr komplettes, normales Unterhaltungsprogramm von Tischkickern bis hin zum Südseebad an. Wenn der Geldbeutel stimmte, waren den Aktivitäten zum Vergnügen also keine Grenzen gesetzt. Zudem konnte man die ansässigen Restaurants besuchen, sodass man kein überteuertes Festivalessen konsumieren musste – wirklich etwas für Genießer*innen.
Zurück zu Betterov, der mit dem komplett gefüllten Möwenbräu etwas mehr Glück erwischte als mit dem Nachmittagsslot des Hütte Rockt Festivals im August, wo wir ihn zuletzt erleben durften. Seine Indie-Songs seien halt nicht für die Good-Vibes-Only-Strandbars dieser Welt gemacht, sondern für Leute, die seine verletzliche Melancholie mit jeder Silbe spüren wollten und in dem intimen Setting auch konnten. Dementsprechend gut war die Stimmung in dem kleinen, gefüllten Raum. Spätestens zu dieser Zeit verstand man jedoch die gleichzeitig starteten Acts, weil man schon so als kleinerer Mensch sich eher durchkämpfen musste und den Freitag eher nicht so viel von den drei Bühnen gesehen hatte, wenn man sich nicht rechtzeitig anstellte. Gleiches galt auch für die Auftritte des deutschen Liedermachers Niels Frevert, der mit einer leichten Verspätung startete, sowie der Hamburger Rockband Blumfeld, die am Anfang ihres Sets mit einem fetten Peer-Gynt-Intro aufwartete. Der durchschnittliche deutsche Mann ist halt 1,80 m groß und das konnten unsere 1,69 m große Redakteurin und unser 1,74 m großer Fotograf definitiv bestätigen. Auf der Mainstage im großen Zelt wurde man zum Glück von diesem Problem verschont und so konnte man dort ganz entspannt Elements Of Crime und später am Abend als letzten Act Headliner Thees Uhlmann verfolgen. Dabei gab es die Chance prominentere Gäste im Publikum anzutreffen, wie etwa Kettcar-Sänger und Grand Hotel Van Cleef-Kumpane Marcus Wiebusch oder Singer/Songwriter Georg Auf Lieder. Währenddessen lieferte Thees auf der Bühne ordentlich ab und schrie teils seine ganze Energie heraus. Er feuerte das Publikum immer wieder ab und fegte voller Elan über die Bühne. Allein dieses fröhliche Herumgezappel machte Spaß anzuschauen und dazu gab es noch Lieblingslieder wie „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“, „Junkies und Scientologen“, „Fünf Jahre nicht gesungen“ oder „Jay-Z singt uns ein Lied“ inklusive dem Rap-Part, der eigentlich von Casper übernommen wird, in der Sprechgesang-Ausgabe von Thees. Wenngleich der Auftritt in den ersten Reihen etwas lauter hätte sein können, konnte man damit glücklich und beseelt den ersten Tag ausklingen lassen.
Tag zwei an der Ostsee startete hingehen etwas ruhiger und entspannter mit der Versorgung literarischer Gelüste. So konnte man sich über die Lesung von Thorsten Nagelschmidt, der den meisten eher als Frontsänger der Band Muff Potter bekannt sein dürfte, freuen. Dieser las bereits zum 40. Mal aus seinem Berlin-Roman „Arbeit“ vor, der letztes Jahr im ersten Lockdown erschien. Dabei bemerkte er just einen Fehler in seinem Buch als er den Handlungsplatz zwischen „Biermarkt und Bauhaus“ beschrieb. „Wer hat das denn da reingeschrieben?“, fragte er das Publikum mit einem Lachen im Gesicht. Diese humoristische Art hat uns bei seiner Lesung sehr imponiert, sodass wir die anderthalb Stunden auf jeden Fall zu unseren Highlights zählen. Dazu gesellte sich zudem ein anderes besonderes Event, welches nur mittels Verlosung gewonnen werden konnte. Die Glückspilze durften Enno Bunger vor knapp 50 Leuten im kleinen Bistro direkt am ausladenden Sandstrand live erleben – was für ein außergewöhnliches Erlebnis. Davor und danach luden die Hochseebrücke und der traumhaft schöne Strand zum kurzen Spaziergang ein, auch wenn es absolut kein Strandwetter und irre kalt war. Nichtsdestotrotz kann man sich kein schöneres Setting für so ein Festival wünschen als den Weissenhäuser Strand.
Durchgefroren ging es musikalisch weiter mit Cassandra Jenkins, die uns mit ihrer Stimme verzauberte und auch mit ruhigeren Klängen wusste, wie sie Corona vergessen machen ließ. Aber auch die Alm Stage hatte mit M. Byrd ein Schmankerl zu bieten. Denn normalerweise ist der Indie-Newcomer am Bass der Band Ilgen-Nur zu finden, die später am Abend spielen sollte. Am Nachmittag konnte man ihn solo erleben und sich von dem atmosphärischen Sound entführen lassen. Falls ihr die Chance habt und er mal in eurer Nähe ist, geht hin und genießt es.
Mit diesem Glücksgefühl endete an dieser Stelle unser Aufenthalt leider schon, weil wir direkt weiter zum Festival Nummer zwei an diesem ersten Novemberwochenende fuhren. Was allerdings bleibt, ist der Eindruck eines wunderschönen Festivals, welches eine breite Range an Bands aus dem (Indie)-Rockbereich bot, sodass wirklich für jeden Geschmack etwas Passendes dabei war. Wenngleich die ganz großen, internationalen Headliner coronabedingt ausblieben, schaffte es das diverse Line-Up problemlos dieses zu kompensieren. Hinzukam die absolut bestechende Lage direkt am Weissenhäuser Strand. Auch innerhalb des Hotelcharakters der Anlage funktionierte das Festival und wurde gerade dadurch zu etwas Besonderem, auch wenn man vermutlich kein Gast sein sollte an diesem Wochenende, wenn einen musikhungrige Menschenscharren gestört hätten. Unser Fazit ist auf jeden Fall durchweg positiv: Wir haben Feuer gefangen, liebe Regierung, und freuen uns schon auf nächstes Jahr!
Fotocredit: Kevin Randy Emmers