Mit ihrem Debütalbum „zero.point.genesis“ legen The Pretty Wild ein Werk vor, das weit über die üblichen Konventionen des modernen Metalcore hinausgeht. Die Geschwister präsentieren ein Album, das sich nicht mit reiner Härte zufriedengibt, sondern aus einer tief verwurzelten, persönlichen Transformation heraus entsteht. Statt linearer Rebellion oder stereotyper Wut entfaltet sich hier eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten – ein Prozess des Zerfalls, der nicht ins Nichts, sondern konsequent in eine neue Selbstbestimmung führt.
Während frühere Veröffentlichungen der Band noch verspielter, teilweise unentschlossen wirkten und stilistisch unterschiedliche Richtungen ausprobierten, zeigt „zero.point.genesis“ eine bemerkenswerte Klarheit. Die Band hat hörbar ihren Fokus geschärft und einer Vision vertraut, die nicht mehr versucht, Erwartungen zu erfüllen, sondern die eigene Identität kompromisslos ausleuchtet. Genau darin liegt die Stärke dieses Albums: Es klingt, als hätten The Pretty Wild endlich den Mut gefunden, ihr Innerstes ohne Schleier offenzulegen.
Musikalisch baut das Album eine Architektur, die gleichzeitig monumental und verletzlich wirkt. Brutale Heaviness trifft auf elegante, fast ätherische Elemente – nicht als Kontrastprogramm, sondern als organische Verschmelzung zweier Pole, die sich gegenseitig erklären. Die Band arbeitet mit intensiven Dynamiken, die keine Effekthascherei sind, sondern die Dualität ihres Themas widerspiegeln: Zerstörung und Heilung, Dunkelheit und Offenbarung, Verlorensein und Rückgewinnung. Die femininen, spirituellen und introspektiven Facetten werden bewusst in den Mittelpunkt gestellt und erzeugen eine emotionale Aufladung, die man im Metalcore so selten findet.
Besonders beeindruckend ist, wie konsequent die Band ihre künstlerische Vision verfolgt. „zero.point.genesis“ ist nicht darauf ausgelegt, „gefällig“ zu sein; es ist vielmehr ein Manifest innerer Arbeit, die sich akustisch in komplexen Arrangements, dramatischen Spannungsbögen und einer klaren, fast zeremoniellen Inszenierung niederschlägt. Die Vielschichtigkeit des Albums öffnet sich vor allem beim wiederholten Hören – je tiefer man eintaucht, desto mehr Schichten werden sichtbar.
Im Vergleich zu früheren EPs und Singles wirkt dieses Album wie der Moment, in dem The Pretty Wild endgültig zu sich selbst gefunden haben. Wo frühere Releases oft nach außen strebten, wirkt „zero.point.genesis“ wie ein Werk, das von innen heraus brennt. Es ist mutiger, reifer und emotional kohärenter als alles, was die Band zuvor veröffentlicht hat.
Mit ihrem Debütalbum schaffen The Pretty Wild nicht nur einen eindrucksvollen Einstieg in den Longplayer-Kanon der modernen Heavy-Szene, sondern positionieren sich gleichzeitig als Acts, die weder klanglich noch thematisch Grenzen akzeptieren. „zero.point.genesis“ ist ein Album, das nicht nur gehört, sondern erlebt werden will – ein Ritual, das die Hörer*innen zwingt, sich der eigenen Dunkelheit zu stellen und darin etwas Neues zu finden.
Fotocredit: Albumcover / Artwork