Als mir vor einem Monat jemand gesagt hätte, dass ich in sehr naher Zukunft Linkin Park live sehen werde, hätte ich ihn definitiv für verrückt erklärt. Nicht bei der tragischen Geschichte um die Band und ihren langjährigen Sänger Chester Bennington, nicht sieben Jahre später – als Fan hatte ich mich mittlerweile damit arrangiert, dass es (neben gelegentlichen Re-Releases) nicht mehr viel Neues von Linkin Park geben würde.
Doch dann kam der 24. August 2024 – ein Tag, der die Musikszene gehörig durcheinander wirbeln sollte: Ein mysteriöser Countdown begann von 100 Stunden herunterzulaufen – unwissend, was einen auf der anderen Seite erwarten würde. Nachdem der Timer ablief, platzte nach äußerst aufregenden Tagen die Bombe: Linkin Park sind tatsächlich zurück! Es wurde ja schon längere Zeit gemunkelt, wer die Band künftig stimmlich begleiten könnte bzw. ob es überhaupt möglich oder gar richtig sei, weiterzumachen. Mit Colin Brittain am Schlagzeug und Emily Armstrong von der Band Dead Sara an den Vocals gibt es nun gleich zwei neue Bandmitglieder.
Und damit sich die Fans auch direkt selber davon überzeugen können, gab es ein großes Comeback-Konzert, das von hunderttausenden live verfolgt wurde. Doch dabei blieb es nicht: So erschien am selben Abend mit The Emptiness Machine die erste neue Single aus dem neuen Album „From Zero„, das am 15. November erscheinen wird. Der Titel ist eine Hommage an die Ursprünge der Band, die sich unter dem Namen Xero gründete, aber eben auch das klare Statement eines Neubeginns.
Und das Beste daran: Linkin Park würden endlich wieder auf Tour gehen und nach Deutschland kommen, genauer gesagt nach Hamburg! Der Hype war real, nicht nur bei mir, sondern bei Millionen anderer Fans…
Fast forward: So stand ich nun am 22. September 2024 in Hamburg vor den Toren der Barclays Arena in direkter Nachbarschaft zum ehrfürchtigen Volksparkstadion. Schon seit meiner Ankunft in der Stadt gegen Mittag war Hamburg fest in der Hand der Linkin Park-Fans: Viele kamen mir mit T-Shirts und anderen Fanartikeln entgegen, sowohl aus früheren Zeiten, als auch mit ganz neuem Merch, den es seit dem Morgen bereits an der Halle zu erwerben gab. Am Rande wurden noch die letzten der heißbegehrten Tickets ausgetauscht, um anderen Fans die Chance zu geben, ihre Idole live zu sehen. Die steigende Spannung und Vorfreude lag förmlich in der Luft und übertrug sich mit jeder Minute mehr und mehr auf einen – ich konnte das Konzert kaum noch abwarten!
Eröffnet wurde der Abend vom amerikanischen Sänger und Rapper grandson, den einige bereits als Featuregast auf dem Soloalbum „Post Traumatic (2018)“ vom Linkin Park-Urgestein Mike Shinoda kennen könnten. Mit einer aufregenden Mischung zwischen Rap, Hip-Hop und Rock mit leichten Alternative-Einschüben gelang es ihm, von der ersten Sekunde an die gesamte Halle auf seine Seite zu ziehen. Er erzählte davon, wie viel ihm die Freundschaft zu Mike und zur gesamten Band bedeutet und wie viel Spaß es ihm macht, mit Linkin Park auf Tour zu sein – und wer kann das schon von sich behaupten?
Um 20:40 Uhr war es nach einer kurzen Umbaupause dann so weit: Ein greller Laserstrahl erhellte, von dumpfen aber bestimmenden Tönen begleitet, die Arena. Nebel verhüllte die Bühne, bis kurze Zeit später zu Somewhere I Belong die sechs erschienen, auf die alle gewartet haben: Linkin Park sind back! Was ab hier folgte, war nichts weiter als eine Liebeserklärung an die Band, vor allem an die Fans, aber auch an die Musik selbst.
Die Setlist erstreckte sich über alle Phasen der Band hinweg und war innerhalb der Show in verschiedene Akte unterteilt. Neben Fan-Favorites wie „Burn It Down„, „Crawling“ oder „Faint“ gab es auch eine kleine Akustiksession, in der insbesondere Sängerin Emily ihr volles Potenzial ausschöpfen konnte. So bewies sie in wundervollen Unpluggedversionen von Lostund dem zuletzt 2008 live gespielten „My December„, dass sie sowohl die lauten wie auch die leisen Töne beherrschte. Dabei versuchte sie vor allem in keinster Weise, Bestehendes nachzuahmen oder gar den Stil von Chester Bennington adaptieren zu wollen.
Als Künstlerin, die schon seit vielen Jahren auf den Bühnen dieser Welt zuhause ist, zeigte sie ihren ganz eigenen Stil, sei es in der Art wie sie sich auf der Bühne zeigte und wie sie neue und alte Songs interpretierte. Dabei fiel auch auf, dass viele der gespielten Songs in ihrer Tonart angepasst wurden, um Emilys Stimmumfang gerecht zu werden. Dies erwies sich keinesfalls als falsche Entscheidung, denn auch so wurde ihr viel Raum für Eigeninterpretationen geboten. Dadurch wirkten viele dieser Titel auch ein Stück weit melancholischer und haben sie mitunter im Zusammenspiel mit den Lyrics nochmals emotionaler wirken lassen.
Die Band spielte auf dieser Tour auf einer Bühne mitten im Innenraum und ist auf diese Weise 360° von den Fans umgeben, um ihnen so nahe zu kommen wie noch nie. Begleitet von großen Videocubes unter der Decke, Lasern und einem Lichtkonzept, das alle Zuschauer bis in die obersten Reihen ins rechte Licht hüllte, fühlte man sich selbst als Teil der Show.
Es hat sich von Anfang an richtig angefühlt, denn die Verbindung von Linkin Park zu ihren Fans war schon immer eine ganz besondere. Vor allem die deutschen Fans haben eine ganz besondere Bedeutung, wie Mike Shinoda zwischen zwei Songs erzählte. Man habe sich hierzulande von Anfang an verstanden und akzeptiert gefühlt und spürt bis heute die immense Liebe der deutschen Fans. Das habe sich auch mit der neuen Musik nicht geändert, die in Deutschland so sehr akzeptiert wird, wie in kaum sonst einem anderen Land – Platz eins der Singlecharts sprechen klar für sich.
Da lag es dann auch einfach auf der Hand, dass diese kleine Comebacktour auch Station in Deutschland machen würde. Zur Zugabe überraschte Emily Armstrong zudem mit einem Outfitwechsel, als sie sich kurzerhand das pinke Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft überzog, welches mit ihrem Namen beflockt war. Die Arena war mittlerweile gar nicht mehr zu bändigen, was sich auch nicht mit Papercut änderte – einem Song, den Mike Shinoda mal als „Visitenkarte der Band“ bezeichnete, da dies der erste Song des Debütalbums „Hybrid Theory (1999)“ ist und schon damals der Welt da draußen gezeigt hat, was Linkin Park alles drauf hat.
Im Anschluss folgte sogar noch eine Weltpremiere, mit der wohl die wenigsten gerechnet haben dürften: Nach kurzer Überlegung entschied sich die Band, wenige Tage vor Veröffentlichung den brandneuen Song „Heavy Is The Crown“ zu spielen, welcher ebenfalls auf dem neuen Album „From Zero“ zu finden sein wird.
„Heavy Is The Crown“ ist Linkin Park in Bestform – eine eingängige Melodie, schnelle Rapstrophen von Mike, abgerundet durch einen starken Chorus von Emily inklusive einem beachtlichen Screampart zum Ende des Songs. Stilmäßig erinnert der Titel vor allem an die Alben „Hybrid Theory“ und „Minutes To Midnight“ und zeigt bereits jetzt zusammen mit „The Emptiness Machine“, dass wir uns auf jene Stilmischung freuen können, die Linkin Park schon immer ausmachte.
Und auch wenn man sich wünschte, dass dieser Abend niemals enden würde, beschlossen Linkin Park in alter Tradition mit „Bleed It Out“ das Ende der Show und verabschiedeten sich gebührend von den 15.000 Hamburger Fans.
Es war beinahe so, als wären Linkin Park niemals weg gewesen. Und doch sind alle froh, diese Band endlich wieder auf der Bühne zu haben. Man konnte ausschließlich glückliche Gesichter auf dem Weg aus der Halle hinaus sehen, einige haben einfach weiter gesungen, um den Abend niemals enden zu lassen. Es war genau diese Aufbruchsstimmung, die sich mit diesem großen Comeback aufgetan hat.
Natürlich gab es viele Stimmen, die der Meinung waren, dass man nach dem Tod von Chester Bennington 2017 Linkin Park nicht weiterführen darf, dass man sein Vermächtnis ruhen lassen sollte. Aber Emily Armstrong hat ihren Job wirklich gut gemacht, alleine wenn man bedenkt, welch große Steigerung sie alleine in diesen ersten vier Shows bis Hamburg erreicht hat – sie ist eine wirkliche Bereicherung für die Band und die beste Entscheidung, die sie hätten treffen können.
So ersetzt Emily Chester auch in keinster Weise, sondern steht zusammen mit dem Rest der Band für einen Neubeginn – eben „From Zero“ – und den Auftakt eines neuen Kapitels.
Fotocredit: James Minchin
Review: Mirco Holz