Das beschauliche Scheeßel befindet sich seit Donnerstag im Ausnahmezustand. Dies kann nur eines bedeuten: Das Hurricane Festival 2024 öffnete seine Tore und wird ein Wochenende lang zum Spielplatz für Erwachsene. Mit Weltstar Ed Sheeran, den Rap-Königen K.I.Z, den Rock-Giganten Bring Me The Horizon und der Pop-Punk-Ikone Avril Lavigne stehen gleich vier überragende Headliner der Extraklasse parat. Die Warm-Up-Party am Donnerstagabend überstieg die Kapazitäten des Zeltes um ein Vielfaches und zeigte deutlich, wie viel Bock die Leute aufs Festival hatten. Da kann der erste Tag eigentlich nur gut werden.
Eröffnet wurde das Spektakel auf der Red Stage von Boston Manor. Bevor die Band aus UK überhaupt richtig los legten, entfesselte sich bereits eine ungezügelte Energie im Publikum, die direkt in Form eines wilden Tanzkreises vor der Bühne zelebriert wurde. Die Luftgitarren wurden nach einem endlos langen Jahr endlich wieder auf dem Eichenring rausgeholt und der Platz machte sich warm. Es war irre zu sehen, wie viel jetzt schon beim ersten Act des Tages ging, indem die Kreise kontinuierlich immer größer wurden. Und das selbst obwohl es mega schwül war und neben einer neuen Bändchenregelung die größte Sorge des Publikums. Obwohl nur circa die Hälfte der Anwesenden per Handzeichen anzeigte, die Band vorher schon einmal live gesehen zu haben, ließ sich die Stimmung absolut sehen – was für ein Opener!
Im Anschluss ließen wir uns von der Masse mit einem harten Genrebruch zur Blue Stage treiben. Sah es gerade noch nach Gewitter aus, brach kurze später die Sonne durch die Wolkendecke und zeigte ihre Kraft. Auf dem Feld wurde die Masse von einem Vorhang mit einem überdimensionierten Haftbefehl begrüßt, der nach einem der gehyptesten Deutsch-Rapper unserer Zeit suchte: Ski Aggu. Der Berliner verkündete zum Anfang, dass diese Show die größte ist, die er je gespielt hat, sodass er sich wünscht, dass es auch die geilste Show wird, die er je gespielt hat. Voll genug, dass dieser Wunsch wahr werden konnte, war der Bereich vor der Bühne auf jeden Fall. Jedoch schwang ebenfalls eine gehörige Portion Hype mit, wenngleich die Leute gut Lust auf Party hatten. Bei seinem Song „HUSO“ wurde er nicht nur tatkräftig von seinem besten Freund Ritter Lean unterstützt, der sein Set bereits um halb vier im Zelt absolvierte, sondern auch vom textsicheren Publikum.
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Weiter ging die wilde Fahrt mit einem Dreierpack, der sich gewaschen hat. The Gaslight Anthem, die aus New Jersey stammende Rockband um Frontmann Brian Fallon, bewies, warum sie als eine der einflussreichsten Bands ihrer Generation gilt. Mit ihrer Mischung aus Punk, Heartland Rock und emotionalen Texten zogen sie das Publikum auf der Hauptbühne in ihren Bann. Gleichzeitig brachten Fontaines D.C. auf einer anderen Bühne ihren unverwechselbaren Post-Punk-Sound zum Besten. Die irische Band, bekannt für ihre poetischen Texte und die charismatische Bühnenpräsenz von Sänger Grian Chatten, verwandelte ihre Show in ein intensives Erlebnis. Songs wie „Boys in the Better Land“ und „Televised Mind“ kamen live noch kraftvoller und eindringlicher rüber, unterstützt von der düsteren, aber elektrisierenden Atmosphäre, die Fontaines D.C. meisterhaft erzeugten. Nicht weniger spektakulär und witzig war der Auftritt von Me First and the Gimme Gimmes ihres Zeichens Punk-Rock-Coverband. Mit Mitgliedern aus namhaften Bands wie NOFX und Lagwagon, brachten sie ihre einzigartigen Versionen bekannter Hits auf die Bühne. Besonders viele Lacher erntete die beschleunigte Version des 80er-Jahre Klassikers „Karma Chameleon“ von Culture Club.
Vor eine weitere schwere Wahl wurde man gestellt, als es galt sich zwischen der Bristol Punkband Idles oder den Emopunk-Legenden Silverstein zu entscheiden. Der Name der letztgenannten Gruppe zog jedoch ordentlich, sodass Sänger Shane Told auf eine ordentliche Crowd vor der Mountain Stage schauen konnte. Die erste Hälfte des einstündigen Sets war die Welt auch noch in Ordnung. Pünktlich zu „My Heroine“ trat der Himmel als Akteur in Kraft und öffnete seine Schleusen. Der erste Schauer traf das Hurricane hart und auch der Sänger stellte fest: „Things are getting serious“. Ernsthaft nass wurden alle Anwesenden ausnahmslos, sangen aber trotzdem tapfer den Klassiker zusammen und versuchten sich bestmöglich vom Regen abzuschirmen. Das war aber gar nicht so einfach, da es sich um kurzzeitig starke Regenfälle handelte. The Kooks, die im Anschluss auf der Blue Stage hätten spielen sollen, hatten gegen die Fluten keine Chance und konnten ihren Auftritt gar nicht erst antreten.
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Dafür ging es zurück auf die Mountain Stage zu Bury Tomorrow, die mit feinstem Metalcore ins Haus standen. Akzente zu dem brachialen Sound setzten Flammenelemente, die das Publikum zusätzlich anstachelten. Im Verlauf des Auftrittes ließ der Regen nach, ließ aber ein weites Schlachtfeld aus Schlamm und Matsch zurück. Sänger Daniel Winter-Bates rief dazu auf, den Schlamm zu ignorieren und auch die Kreise über unwegsamen Gelände zu öffnen. Für den richtigen Soundtrack dazu hatte die Band aus Manchester neben ihrem zuletzt veröffentlichtem Album „Begin Again“ aus dem letzten Jahr, auch ihre neue Single „Villain Arc“ im Gepäck. Das Publikum war heiß und skandierte in einer Songpause Bury Tomorrow Sprechsänge, in denen die Band selbst mit ihren Instrumenten einstieg. Zudem verriet der Sänger, dass es deutsche Tourdaten für Berlin, Hamburg und Köln geben wird. Haltet eure Augen also auch bei uns unbedingt offen!
Die River Stage wurde in der Zwischenzeit gewischt und wieder fürs Festivalgeschehen hergerichtet. Jetzt erstrahlte das blumige Setting von AYLIVA. Die Posängerin ist vor allem für Herzschmerzballaden bekannt, die von ihrer letzten toxischen Beziehung geprägt sind. Dadurch, dass sie diese Erfahrungen erfolgreich mit ihrer Musik verarbeitet, erwuchs sie als Vorbild einer ganzen Generation junger Frauen mit ähnlichen Hintergrundstories. Dies spiegelte sich deutlich im Publikum wieder. Viele Frauen haben die Musik und vor allem die Texte komplett gefühlt sodass nicht alle Augen trocken blieben. Dafür konnten sie ihrem Idol den ein oder anderen nicht 100 % getroffenen Ton verzeihen, denn es ging einzig und allein ums Gefühl.
Dieses Prinzip sollte auch bei DEM Headliner des Tages gelten. Niemand Geringeres als Mister Ed Sheeran gab sich die Ehre auf der Hauptbühne. Seitdem zum ersten Refrain von „Castle on the Hill“ ein Funkenregen auf der Bühne explodierte, ging das Publikum verzaubert mit. Wer wirklich wahres musikalisches Geschick sehen möchte, war mit dem rothaarigen Briten bestens beraten. Mit seiner Loop-Station versprach er, dass alles live und auf der Bühne von ihm selbst produziert wird, was wahrlich beeindruckend war, wenn man bedenkt, was er alles gleichzeitig leisten musste und dass es trotzdem exakt so klingt wie auf Platte. So performte er neben seinen bekannten Hits wie „Shivers„, „Eyes Closed“ oder „Shape of You“ auch Tracks wie „Take It Back„. Bei letzterem wurden Snippets von „Superstition“ von Stevie Wonder sowie ”Ain’t No Sunshine“ von Bill Withers organisch eingebunden. Die Texte und Rhythmen floßen organisch ineinander über und hatten oftmals fast schon einen Jam-Charakter. Zudem erzählte er von seinen Anfängen als er noch auf Open Mic Abenden seinen ersten Titel „The A Team“ performte oder 2011 nachmittags auf dem Hurricane auftrat ohne die Crowd überzeugt zu haben. Dies hat sich mittlerweile eindeutig geändert und gefühlt waren alle 75.000 Menschen vor der Forest Stage versammelt, um dem Musikgenie zuzuhören. Wer ihn übrigens nur aus dem Mainstream kennt, dürfte ebenfalls überrascht gewesen sein, da er mit hervorragenden schnellem Sprechgesang glänzte und auch eine Zweitkarriere als Rapper hätte anstreben können. Mit seinem anderthalb Stunden Auftritt machte Ed Sheeran als tadelloser Headliner den ersten Festivaltag „Perfect„.
Fotocredits:
Titelbild: Jan Sebastian Tegelkamp
Kevin Randy Emmers