Ziemlich genau acht Jahre nach dem letzten Konzert der Band hat Linkin Park mit einem starken Auftritt in Hannover offiziell ihre Rückkehr auf die großen Bühnen Europas eingeläutet. In der Heinz-von-Heiden-Arena präsentierte sich die Band in neuer Formation mit Frontfrau Emily Armstrong (Dead Sara) – und machte dabei deutlich, dass sie mehr vorhat, als nur nostalgische Erinnerungen wachzurufen. Hannover war der erste von fünf Deutschlandterminen der „From Zero World Tour 2025“, die parallel zum gleichnamigen achten Studioalbum aus 2024 ansetzte. Wie das ausverkaufte Konzert wirkte, lest ihr in unserer Live-Review.
Der erste Act des Abends grandson eröffnete den Montagabend und hinterließ mit seiner treibenden Mischung aus Alternative-Rock und Elektropunk einen positiven Eindruck. Gerade sein bekanntester Song „blood//water“ heizte die Masse von rund 42.000 Menschen zum Mitklatschen an und erhöhte die Freude auf den Hauptact. Bevor es aber so weit war, stand ein kraftvoller Support von Architects ins Haus, die ihre geballte Energie förmlich ins Publikum ergossen. In den vier Wellenbrechern vor der Bühne öffneten sich bereits erste Tanzkreise – Hannover war am komplett am Start, so viel war gewiss.
Der eingeblendete zehnminütige Countdown wurde gegen Ende musikalisch von einem augenzwinkernden “Rock You Like a Hurricane” untermalt; eine freundliche Hommage bevor es von Null an los ging, wobei der Anfang schon ein gutes Gefühl dafür gibt, wie es im Publikum aussah: Zunächst wurde rhythmisch geklatscht, welches wieder verebbte und einer gespannten Vorfreude wich, in der alle ehrfurchtsvoll die riesige Bühne beobachteten, die auffälliger Weise ohne großes Bühnenbild daherkam. Diese Anspannung wurde erst durch frenetischen Jubel gelöst als die einzelnen Bandmitglieder Dave „Phoenix“ Farrell, Joe Hahn, Colin Brittain, Mike Shinoda und Emily Armstrong die Bühne betraten.
Wirkten die ersten Songs zwar noch leicht suchend seitens Emily, gewann die Band in ihrer neuen Konstellation stetig und vor allem schnell an Sicherheit und Raum. Mit dem dritten und vierten Track „Crawling“ und „New Divide“ schienen die Fans komplett überzeugt und eine fantastische Stimmung war greifbar. Es wirkte als seien Publikum und Band in Norddeutschland so richtig angekommen und man war sich einig, dass man sich auf einen phänomenalen Abend freuen durfte. Dazu einleitend las Mike eine kurze Begrüßung auf Deutsch ab, in der er sich darüber freute, wie herzlich Emily vom deutschen Publikum empfangen wurde. Dieser Umstand wurde während der nächsten zwei Stunden immer wieder von „Emily, Emily“-Sprechchören untermalt, die die Sängerin sichtlich rührten. Das darauffolgende neue Stück “The Emptiness Machine” widmete die Band ihren Fans, was überraschenderweise den heiß geliebten Klassikern in rein gar nichts nachstand. Viel mehr sorgte es für den ersten holistischen Wow-Moment des Abends und verweilt als seltener Augenblick, in dem ein neuer Song altes überstrahlt, im Kopf. Es kristallisierte sich heraus, dass Linkin Park nicht zwingend auf die alten Songs angewiesen war. Nichtsdestotrotz funktionierten diese dennoch ohne Abstriche als Emily das erste Mal zu „Burn It Down“ sichtlich befreit über den Steg sprang, mit dem Publikum interagierte und eine sehr starke Präsenz zeigte.
Diese dominanteren Phasen schoben sich immer wieder ins Geschehen. Jedoch gab es im Gegensatz abwechselnd ebenfalls Einstellungen, in denen sie, wahrgenommen aus dem Oberrang, schlechter abgemischt und leiser ankam als ihr Debütpartner Mike. Bei „Castle of Glass“ und „Two Faced“ war dies allerdings nicht der Fall. Vielmehr konnten die beiden gemeinsam vom ausgedehnten Steg, der bis an den dritten Wellenbrecher heranreichte und Emily mehr als einmal nicht nur buchstäblich lang rannte, einen Pit Contest starten. Vorm Übergang zur zweiten Hälfte konnte die Stimmung damit noch einmal ordentlich angefacht werden. Das Programm war von der Band clever in vier Akte plus Zugabe eingeteilt, was ihr immer wieder Atempausen verschaffte. Dieser Strategie dürfte auch geschuldet sein, dass die beiden Singenden trotz viel Hin- und Hergelaufen nicht außer Atem wirkten und nicht an Kraft einbüßten. Vor allem Mikes Rap-Passagen saßen vollumfänglich und machten Lust auf mehr. Dies stand ebenfalls im Gegensatz zu manchen Passagen, die vielleicht noch nicht vollends überzeugen konnten. Was die US-Amerikaner wiederum aus dem Stegreif beherrschen ist eine liebevolle Beziehung zu ihren Fans zu unterhalten. Immer wieder gab es Autogramme, Umarmungen und Fannähe zu beobachten.
Zudem präsentierten Linkin Park eine breitgefächerte Auswahl an Songs. Das emotionsgeladene „Lost“ erzeugte ein effektvolles Handylichtermeer, während das härtere „Casualty“ einen ganz anderen Nerv beim Publikum traf. „What I’ve Done“ läutete dann einen großen Block aus Nostalgie ein, als die Songs, die alle noch von früher kennen, gespielt wurden. Wenngleich die Band als solches vielleicht noch etwas hineinwachsen muss, gab es bei der lauten, mitschreienden Masse keine Fragen oder Zweifel mehr zu beantworten. Es war offensichtlich, wie sehr Linkin Park verehrt wurden, welches sich in den folgenden Liedern manifestierte. „Numb„, „In The End“ und „Faint“ rundeten den regulären Teil des Konzerts ab. Die Zugabe wurde euphorisch gefeiert. Auch hier wurden neben dem traditionsreichen „Papercut“ neue Schmuckstücke gebracht, wie die zuletzt erschienene Single „Let You Fade„, welche Mike ganz besonders mag, wie er verrät. Damit fasst die Zugabe den ganzen Abend zusammen, nicht nur als musikalischer Schlusspunkt, sondern als Versprechen: Diese Band ist nicht zurückgekommen, um nur Vergangenheit zu feiern und zu reproduzieren. Die Band, die sympathisch ohne großes Bühnenbild oder aufwändige Kostüme auskommt, ist roh gekommen wie sie ist, um gemeinsam Zukunft zu schreiben. Dies bewiesen die Nu-Metal-Legenden mit einem Abend, welcher von Song zu Song besser, gelöster, intensiver wurde. Linkin Park hat sich in diesem Jahr neu gefunden – und sich mit diesem Abend in Hannover eindrucksvoll zurückgemeldet.
Fotocredit: Jimmy Fontaine