Eine Liebeserklärung ans bunt sein, verrückt sein, du selbst sein – das ist „Yungblud“, das selbstbetitelte Album des 25-Jährigen Briten aus Doncaster. Yungblud ist in den letzten Jahren zur Stimme, oder besser gesagt zum Megafon, einer ganzen Generation geworden. Angetrieben vom Leben, seine eigenen, teils schmerzhaften Erfahrungen, Ups and Downs, schafft er es wie kein Zweiter, die Gefühle und die innere Zerrissenheit vieler junger Menschen in seinen Texten aufzugreifen. Dabei sind Rumjammern und Aufgeben absolut keine Eigenschaften, die Yungblud auch nur ansatzweise mit dem kleinen Finger berühren würde. Im Gegenteil: eine geballte Faust für Empowerment und Stärke – das ist Yungblud.
Ein Album mit einer Beerdigung beginnen? Macht das Sinn? Aber sowas von! In „The Funeral“, der ersten Singleauskopplung des Albums und gleichzeitig dem ersten Song auf der Platte, besingt Dominic Harrison aka Yungblud seine eigene Beerdigung. Er schaufelt sich sein eigenes Grab und wird im passenden Musikvideo von niemand geringerem als Ozzy und Sharon Osbourne umgebracht… naja, quasi versehentlich. Ozzy fragt sich: „What the fuck was that?“, nachdem Sharon ihn überfahren hat. Sie antwortet: „Just some fucking poser!“. Yungblud, der kein Geheimnis daraus macht, an einer depressiven Erkankung zu leiden, listet in „The Funeral“ außerdem alles auf, was ihn unsicher macht, unter Druck stellt, ihn traurig oder wütend macht. Der Song thematisiert also gleichzeitig eine Art Abschied, eine Beerdigung von diesen alten Lastern, um endlich frei zu sein und ein neues Kapitel aufzuschlagen. „I can’t leave my bed, but I can’t sleep – I’ve got no clean clothes and I can’t eat – And I smoke too much ‚til I can’t breathe – I’m emotional, I’ll always be“. „The Funeral“ wurde bereits im März veröffentlicht und ist der perfekte Appetizer für die restlichen 12 Tracks der Platte.
Denn Yungblud beerdigt auf seinem 3. Studioalbum nicht nur das ein oder andere Laster, sonden erweckt auch alte Beats und Melodien wieder zum Leben. Habt ihr Bock auf ein paar 80’s Vibes? Na dann, Dauerwelle richten, Aerobic-Leggins an und Walkman voll auf laut! Wer sich bei „The Funeral“ gedanklich noch nicht mitten in den Achtzigern und irgendwo auf einer Tanzfläche in einem leicht angestaubten Lokal wiedergefunden hat, wird das spätestens mit dem zweiten Song „Tissues“ tun. Yungblud sampelt im Track nicht nur Passagen aus The Cures “Close To Me”, sondern setzt wie auch in „The Funeral“ auf poppige 80er-Jahre-Klänge. Für mich ist das die musikalische Kirsche auf der Sahnehaube und gleizeitig der wesentliche Unterschied zum Vorgänger-Album „Weird“. Natürlich ist dieser Mix aus Alternative-Rock/Emo-Rap und Retro-Vibes Geschmackssache – funktioniert für mich aber einfach extrem gut! Auch wenn die Lyrics teils sehr düster sind, macht diese musikalische Untermalung für mich einfach Bock und gute Laune. Sagen wir mal so: Meine Füße konnten beim Hören der Platte jedenfalls nicht still stehen.
Neben der musikalischen Retro-Renovierung, wirkt Yungblud auf seinem neuen Album deutlich erwachsener – weniger aufgedreht, weniger quietschig und überdreht. Aber auf keinen Fall weniger überzeugend in seiner rebellischen „Fuck off“ und „Be who you are“-Haltung. Verändere die Welt so, dass sie zu dir passt und nicht dich, damit du in die Welt passt – Yungblud steht zu 150% hinter dieser Message. Wer Yungblud schon mal live gesehen hat, weiß, dass die Shows eine pure Explosion von Leidenschaft und Emotionen sind. Ich finde, dass er es geschafft hat, diese Energie auch auf „Yungblud“ zu transportieren. Apropos, zu „Yungblud“, dem Titel des Albums: Ich bin grundsätzlich kein Fan davon, dass Bands oder Künstler:innen eine Platte nach sich selbst benennen und habe kurz darüber nachgedacht, ob mich das in dem Fall auch stört?! Ganz klar: nein! Denn Yungblud betont bei Auftritten und in Interviews immer wieder, dass nicht er, sondern wir alle, also die gesamte alternative Community, Yungblud ist. Yungblud bedeutet Familie, Zusammenhalt, Liebe und Stärke. Daher ist die Selbstbetielung alles andere als ein narzisstischer, egozentrischer Move, sondern viel mehr ein Liebesgeständnis an seine Fans. „Listen to the album. It’s yours now“ hat er erst gestern in seiner Instagram-Story gesagt.
Mein Lieblingssong der Platte ist definitiv „Cruel Kids“. Ich kann gar nicht genau erklären, was es ist, aber der Song reißt mich ab der ersten Sekunde so krass mit – Gänsehaut, Herzklopfen und Emotion pur! Die Melodie wunderschön, die Lyrics und der Gesang bittersüß, ausdrucksvoll und voller Sehnsüchte und Leidenschaft: „Don’t leave me alone. ‚Cause I won’t survive it“. Klingt kitschig? Meinetwegen! Der Song hat sich schon beim ersten Hören direkt tief in mein Herz katapultiert und bedeutet für mich das, was „Mars“ auf dem Vorgängeralbum „Weird“ war. Yungblud zelebriert es auch auf seinem neuen Album ein Freak, weird und anders als die „Cruel Kids“ zu sein: „I don’t wanna like – What the cruel kids like – I’d rather burn alive“. Yungblud hat die Schnauze voll davon, sich in eine von der Gesellschaft geschneiderte Zwangsjacke pressen zu lassen, hat kein Bock mehr auf Normative, Geschlechterrollen und längst überholte Konventionen, in die sich viele Menschen heutzutage leider immer noch gezwängt fühlen. „It’s all about sex not violence“ singt er im gleichnamigen Song.
Die Gen Z, die alternative Szene und alle, die gegen den Mainstream-Strom schwimmen, die bunt, laut und anders sind, die Grenzen überschreiten und brechen wollen – all diese Menschen haben eine Stimme und vor allem eine Familie: Yungblud. Das neue Album des Briten ist funky, mal mehr rockig, mal mehr poppig, aber auf jeden Fall laut und gleichzeitig tiefgehend und emotional. Ein bisschen 80er-Charme und eine Extra-Packung David-Bowie-Glitzerstaub machen „Yungblud“ für mich zu einem empowernden und extrem tanzbaren gute Laune-Soundtrack. Yungblud ist im Herbst auf kleiner Club-Tour (auch in Deutschland) unterwegs, bevor er im kommenden Jahr groß auf Welttournee geht und unter anderem am 1. März in Berlin spielen wird. Ich freue mich jetzt schon, die neuen Songs und das Feuerwerk aus Energie und Positivity live zu erleben. Für mich ist „Yungblud“ definitiv eins der besten, wenn nicht das beste, Album 2022 so far.
Tracklist:
- The Funeral
- Tissues
- Memories (feat. Willow)
- Cruel Kids
- Mad
- I Cry 2
- Sweet Heroine
- Sex Not Violence
- Don’t Go
- Don’t Feel Like Feeling Sad Today
- Die For A Night
- The Boy In The Black Dress
- The Emperor
Fotocredit: Cover Artwork / Universal Music International