Am vergangenen Wochenende ist die neue Single „There is nothing but hope anymore“ von Halfway Atlantic erschienen. Noch bevor der Lockdown Light Einzug (und vor den Präsidentschaftswahlen in den USA) erhielt, hatte unsere Redakteurin Jacky die Möglichkeit sich in Hamburg mit Sänger Matt zu treffen. Nach einem kurzen Spaziergang über den Kiez, haben sich die beiden einen Laden ausgesucht und sich eine gute Stunde über Halfway Atlantic (HWA) und ihre Songs unterhalten (natürlich alles unter den gängigen Hygieneauflagen).
Jedoch wurden auch politische Themen jenseits der Musik angeschnitten, da Matt in Austin Deutsch an der Universität lehrt. Gerade ist er aufgrund der Corona-Pandemie bei der Familie in Deutschland und plant im Januar wieder in die USA zu fliegen. Dort hat er vor fünf Jahren nicht nur neue Freunde und eine Promotionsstelle gefunden, sondern auch seine neue Band, Halfway Atlantic gegründet. Matt produziert mit Bassist Patrick, den Gitarristen Matt und Paul und Schlagzeuger Sal einen Emo-Sound. Dabei sind sie unglaublich authentisch und strotzen besonders auf Live-Konzerten vor Energie. Obwohl die Band erst knapp 10 Shows auf dem Buckel hat, sind die Mitglieder von Halfway Atlantic keinesfalls grün hinter der Ohren. Besonders Matt kann heute auf seine langjährige Erfahrung in der Musikwelt zurückblicken (über 200 Shows). Seitdem er 15 Jahre alt ist spielt Matt in Bands und konnte vor allem in Deutschland mit At The Farewell Party und Kings Are Better Queens Erfolge feiern. Sein Soloalbum erschien 2012. Abseits von HWA, die nach ihrer EP 2019 dieses Jahr fleißig Singles veröffentlicht haben, ist Matt auch solo im Polit-Punk unterwegs (Soul Prchr). Mit ganzem Namen heißt der 32-jährige Musiker übrigens Matthias Warmuth, der aber nur bei der Arbeit oder offiziellen Dingen zum Einsatz kommt. Gute Gelegenheit nachzuhaken, wie er mit diesen Alter Egos umgeht.
Frontstage Magazine: Hast du ein Beispiel dafür, wie die Trennung von Beruf und Privaten bei dir mit den Alter Egos abläuft?
Matt: Das hätte ich, glaube ich, nicht sagen sollen (lacht). In der Uni trage ich häufiger mal ‘n Hemd, also das ist ein schlechtes Beispiel, weil ich gerade ein Hemd anhabe (lacht und zeigt auf sein blaues Hemd). Aber ich glaube, Namen erst mal: Matthias versus Matt. Zweitens: Hosen.
Frontstage Magazine: Hosen?
Matt: Ja, Hosen. An der Uni habe ich tatsächlich andere Hosen an. Also jetzt auch keine krassen Skinny Jeans oder so aber anders.
Frontstage Magazine: Okay, aber fühlst du dich in der einen oder anderen Rolle wohler oder unwohler?
Matt: Ne, das ist beides so ein bisschen Ich. Unwohler nicht, aber manchmal merke ich es auf langen Konferenzen, dass ich mich leicht zusammenreißen muss, wenn es zu ernst, langweilig und businessmäßig wird. Dann denke ich mir: „Boah, da muss ich jetzt irgendwo hin. Dann gehst nach Hause, trinkst halt Bier, hörst ein bisschen Musik, benimmst dich ein bisschen daneben und gehst dann ins Bett.“. Ich glaub‘ das ist so der Unterschied. Aber der Name ist das krasseste, also Matthias vs. Matt. Unter der Woche bin ich Matthias oder Professor Warmuth und am Wochenende spiele ich dann Musik.
Frontstage Magazine: Hast du einen Plan B, abgesehen von der Uni?
Matt: Ein bisschen vielleicht, aber ich glaube auch, dass es im Leben viel um Motivation geht. Man sollte vom Herzen her immer 100% dabei sein, aber du kannst nicht alle Dinge in deinem Leben 100% machen und ich find es richtig krassen Bullshit, den uns irgendwie die Gesellschaft verkauft, dass du immer so hart arbeiten musst. Manchmal sind auch 80% gut genug. Du musst auch irgendwie noch leben nebenbei. Du machst Dinge erstmal, weil sie sich gut anfühlen, egal ob Sport, Beruf oder Musik. Insgesamt bin ich mit dem, was ich mache schon sehr zufrieden, auch weil es einem enorm viel Flexibilität gibt.
Frontstage Magazine: War das auch der Anfangspunkt für Halfway Atlantic? Wie hat man sich kennengelernt?
Matt: Nach dem Soloalbum und dem Ende von At The Farewell Party bin ich dann mit geschriebenen Songs in die USA, wollte meinen Doktor machen und habe irgendwann festgestellt, dass es ohne Musik gar nicht geht. Dann habe ich online nach Leuten gesucht online, die Bock haben mit mir Musik zu spielen. Es gab immer schon Ideen in Form von Aufnahmen oder Demos. Mittlerweile läuft es ganz gut zusammen, wenngleich immer noch 80% von mir sind.
Frontstage Magazine: Bist du dabei perfektionistisch am Werk?
Matt: Ganz schrecklich! Patrick würde sagen, dass ich ein richtig pedantischer Deutscher bin. Ich sage immer „yeah, you have to do it again“. Das war jetzt beim Aufnehmen auch so. Für die EP jetzt entstand alles während Corona und wir haben es komplett selber aufgenommen. Ich habe quasi in Isolation die Vocals zur Gänze bei mir Zuhause im begehbaren Kleiderschrank aufgenommen. Den habe ich von innen mit lauter Dingen aus dem Studio verkleidet und mich dann in meinem Schlafzimmer selbst aufgenommen. Ich bin immer zum Schreibtisch gelaufen, zurück in den Kleiderschrank und habe den Song dann ein paar Mal mit Zweitstimmen durchgesungen. Danach wieder raus und alles angehört. Das war krass, weil die die ganze EP war so richtige Einsamkeitsaufnehmung. Ich war eigentlich die meiste Zeit alleine. In Austin gab es zwar keinen Mega-Lockdown, dass niemand mehr auf die Straße durfte, aber im April war schon alles leergefegt. Uni war dicht, alle geplanten Reisen nach Deutschland oder Namibia wurden abgesagt und ich war so „fuck, was mach ich mit meinem Leben?“. Dann fing natürlich auch die ganze Sache mit Black Lives Matter an. Das war einfach das pure fucking nightmare. Ich kam mir zwischen Himmel und Hölle vor und habe zwischendurch noch irgendwie versucht Vocals einzusingen.
Frontstage Magazine: Zu diesem Zeitpunkt habt ihr auch die Single „Better Days“ geschrieben.
Matt: Genau, davon handelt es. Wie du zuhause hockst und die Wand schaust und dir „Fuck“ denkst. Du würdest am liebsten einfach wegrennen und sehnst dir einfach die alten Zeiten herbei, in denen du Menschen umarmen, in einem vollen Restaurant sein oder irgendwie tanzen kannst. Alles ist auf einmal weg.
Frontstage Magazine: Was fehlt dir davon am meisten?
Matt: Ich glaube schon Menschen unbeschwert zu treffen und umarmen zu können, ohne sich permanent Gedanken machen zu müssen, einfach Nähe. Und das Leben an der Uni, weil ich es hasse am Computer zu sitzen, denn du starrst in ein scheiß Loch für 40 oder 50 Stunden die Woche. Der Kontakt zu Studierenden, das Unterrichten und Forschen fehlt.
Frontstage Magazine: Stimmt, trotzdem ist „Better Days“ mein Lieblingslied von euch.
Matt: Cool, im Endeffekt geht es darum, wenn ich eine Maske anzieh‘, vermutlich, um mich vor allen Dingen zu beschützen, aber ich beschütz mich nur vor mir selbst, weil ich selbst am Arsch bin von der ganzen Geschichte und mich ablenken will von den Dingen, die im Fernsehen laufen. Da seh‘ ich einen Präsidenten, dem alles scheißegal ist, was in seinem eigenen Land abgeht, wie die Gesellschaft in den USA sich immer weiter entzweit. In Austin bekommt man davon kaum was mit, weil Austin relativ links ist. Ich persönlich habe bei der letzten Wahl kaum Trump Zuspruch gesehen. Texas ist nicht wirklich so konservativ, wie man es gerne wahrhätte, sondern ist im Wandel und urbanisiert. Mittlerweile haben die Republikaner schon Angst, wahrscheinlich nicht für diese Wahlperiode, aber vielleicht die nächsten könnten das Gleichgewicht verschieben.
Frontstage Magazine: Wenn Du frei auswählen könntest, wer wäre dein Präsident?
Matt: Boah, (Pause), das ist ganz schwierig. Auf der einen Seite Bernie Sanders, weil ich es dem wirklich abkaufe. Vom Charisma Obama. Aber ich mein, dasselbe kann man auch nach Deutschland geben. Wenn man sich anguckt, wer für die SPD für die letzten Bundeskanzlerwahlen aufgestellt war, ist das irgendwie auch lächerlich. Man muss wiederum der Merkel geben, dass sie trotzdem eine Persönlichkeit hat, die eigentlich in den letzten 20 Jahren kein deutscher Politiker hatte.
Frontstage Magazine: Wenn du 2021 wieder zurückgehst, gibt es einen neuen Präsidenten und das Trump-Thema begegnet dir nicht hoffentlich nicht überall im Alltag. Was habt ihr im nächsten Jahr als Band geplant? Ihr wärt ja eigentlich mit The Ataris auf Tour gegangen.
Matt: Es wurde erstmal alles postponed, aber wer weiß denn heutzutage noch, was denn überhaupt postponed ist. Erst sollte es im September stattfinden, dann Frühjahr, aber wird wohl nichts, eher nächstes Jahr Spätsommer oder Herbst. Ich glaube mit Shows ist da nicht mehr viel. Wenn ich zurückkomme werden wir ein neues Video für „Dropdead“ machen. Und sonst werden wir mal gucken. Wahrscheinlich werden wir anfangen so ein paar Live-Konzerte zu streamen zum Spaß. Das hatten wir schon mal vor, weil wir auch die Technik dafür eigentlich. Ansonsten neue Sachen schreiben, wahrscheinlich werden wir noch zwei Songs dranhängen. Gegebenenfalls auch mal eine Akustik-EP aufnehmen.
Frontstage Magazine: Wie ist „Dropdead“ gemeint? Der Sinn von tot umfallen oder „scher dich zum Teufel“.?
Matt: „Dropdead“ im Sinne von tot umfallen. Ich würde am liebsten tot umfallen. Der andere Song heißt „There is nothing but hope anymore”, der um globale Erwärmung und, naja, Weltuntergangsszenarien. Bevor der Tag kommt, hätte ich dich gerne bei mir und würde dich gerne festhalten.
Frontstage Magazine: Süß, wie viel Romantik in einem Weltuntergang sein kann.
Matt: Immer, wenn Dinge scheiße werden, gerade auch bei Corona, merkt man, was man an Leuten so wirklich hat und dann merkt, wen man vermisst und wen nicht. Ich glaube schon, dass hat Corona auch schon ein bisschen bei mir bewirkt.
Frontstage Magazine: Ja, das ist für jeden eine ganz persönliche Krise gewesen und natürlich auch eine weltweite. Was war deine Beschäftigung, um nicht komplett wahnsinnig zu werden?
Matt: Ein bisschen Yoga, Meditation. Was schon witzig ist, sich vorzustellen, wie ein Typ mit 1,90m Yoga macht. Viel gekocht, aber das habe ich vorher auch schon. Ich habe angefangen so fancy Drinks zu machen, Longdrinks usw. Das ist auch eine ganz schlechte Angewohnheit. Und ich habe mega viel gegrillt. Ich saß einfach alleine bei mir vorm Haus, abends mit meinem Grill. Ich habe echt zwei, dreimal die Woche gegrillt; alles! Und zum Nachtisch dann sogar Tortillas mit Schokolade gemacht.
Frontstage Magazine: Was ist deine Lieblingsposition im Yoga?
Matt: (langes Ähm) Schwierig. Alles, wo man Stabi auf einem Bein hat und Koordination ist ganz cool. Auch wenn es Momente gab, wo es mich fast auf die Fresse gelegt hat. Im Video zu „Better Days“ gibt es eine Szene, wo ich einen Handstand mach‘. Natürlich ist nur der Anfang drin, denn am Ende fall ich natürlich doch hin. Eine Freundin von mir war da und hat die Kamera gehalten, die habe ich auch noch mitumgehauen, die stand nämlich auf einem Stuhl.
Frontstage Magazine: Allgemein finde ich das „Better Days“ Video richtig schön gemacht, weil es total persönlich wirkt.
Matt: Ja, es war eine mega coole Idee. Wir haben uns überlegt, wir machen ein paar Shots zuhause von Dingen, die wir machen und es war geil und dann haben wir halt noch mehr Dinge gemacht, die man alltäglich macht. Wir haben echt versuch alles unterzubringen. Ich finde das Video ist echt cool geworden. Das Video zu „Phantom Pain“ mussten wir dann coronabedingt etwas einsatzgeschwächt ohne Drummer und Bassisten durchziehen. Wollten aber trotzdem unbedingt ein Video dazu machen. „Phantom Pain“ ist mein Lieblingssong.
Frontstage Magazine: Aus welchem Grund?
Matt: Am persönlichsten für mich und es ist der Song, auf den ich am meisten Stolz bin, weil die Lyrics gut passen und zu den Vocals harmonieren und der ganze Song vom Writing her relativ gut gelungen ist, wenn man das so sagen darf. Auch wenn ich immer noch nicht zufrieden bin, mag ich den Chorus extrem und es bedeutet mir sehr, sehr viel. Es ist sau persönlich. Ich war vor circa 1 Jahr ziemlich ausgebrannt und hatte die ganze Zeit diese Schmerzen in der Magengegend (und noch andere tolle Dinge). Sämtliche Arztbesuche und ein CT später, aber da war nichts. In dem Song geht aber nicht nur um Phantomschmerzen, Stress, psychosomatische Dinge, sondern auch um verflossene Liebe. Um den Moment, in dem man merkt, man vermisst jemanden, aber es gibt wahrscheinlich keinen Weg zurück. Und das Loch, das eine Beziehung hinterlässt. Es tut einfach weh, man kann es nicht lokalisieren und deswegen „Phantom Pain“.
Frontstage Magazine: Ich hoffe, dir geht es wieder besser.
Matt: Ja, seitdem ich in den USA bin hatte ich ganz viel mit so kleinen Wehwehchen immer zu kämpfen. Bis ich 30, ich bin jetzt 32, habe ich nie irgendwas gehabt. Und auf einmal kann man von Stress Kopfschmerzen, Muskelzittern, Magenprobleme oder noch Schlimmeres bekommen. Deswegen auch Phantom Pain, aber auch wegen Beziehung. Da sind so viele Lines, gerade am Anfang, die so persönlich sind: How do I fall asleep when I can’t forget the things I did?“ Zweite Strophe ist: „can’t breathe inside of me there is a ghost that’s fed by my mistakes; my stomach turns red, inside I bleed.“ Das geht halt genau darum. Man erkennt, das war Heimat, „‘cause you were home“. Deswegen ist der Song für mich mega bedeutsam.
Frontstage Magazine: Würdest du sagen, dass man eher Musik für andere macht oder für sich selbst?
Matt: Joa, ich mach das komplett für mich. Ich freue mich natürlich, wenn es andere Leute hören und sharen, aber im Endeffekt ist es für mich. Ich schreibe die Songs nicht dafür zu denken, wie wir damit erfolgreicher sein könnten oder mehr Plays kriegen. Ist mir scheißegal. Wir machen halt das, was wir cool finden. Und das ist ja das tolle an DIY, dass man überhaupt keinen Druck hat. Und ich glaub unsere Musik klingt sowieso ein bisschen Anfang 2000er.
Frontstage Magazine: Ja, davon hat es stilistisch was, aber ich finde deine Stimme tatsächlich prägnant. Es hat auf jeden Fall einen Wiedererkennungswert.
Matt: Es klingt nicht so nasal wie viele andere dieser Pop-Punkbands. Ich singe’ wohl auch mehr als viele der neuen Welle an Pop-Punkbands, die shouten mehr. Daher eher Yellowcard, Cartel oder Jimmy Eat World, so in die Richtung. Ich bin bei weitem nicht so nasal wie Simple Plan, wobei das auch eine Band ist, die einen großen Einfluss auf mich hatte.
Frontstage Magazine: Cool, dann habe ich noch eine letzte Frage. Die soll immer mehr etwas mit Persönlichem zu tun haben als der Musik. Wo ist dein Happy Place?
Matt: Ich probe tatsächlich gerne oder spiele Konzerte. Sobald du stehst und es losgeht, wird der Schalter komplett umgelegt und ich kann etwas komplett abspulen und es geht so schnell vorbei. Oder der Moment, in dem man nach Hause kommt nach einem langen Arbeitstag, den Kühlschrank aufmacht und sich ein Bier rausnimmt. Ich trinke mega gerne Bier, muss ich zugeben, das ist auch happy. Oder aufzuwachen und zu wissen, dass man an dem Tag nichts machen muss und komplett unbeschwert frühstücken kann. Spaziergänge sind auch toll. Ich jogge auch gerne.
Frontstage Magazine: Wir sollten uns alle gerade viel häufiger dran erinnern, was uns glücklich macht. Vielen lieben Dank für das Interview, Matt. Ich wünsche dir alles Gute für 2021! Danke für deine Zeit.
Matt: Danke, wünsche ich dir/euch auch.
Fotocredit: Dominic Kirmes und Titelbild Matt Bender