Haris ist, wie der Name schon vermuten lässt, Frontsänger des alternativen Akustik-Projektes Haris und der schwarze Hund. Im Interview beschreibt er ganz pragmatisch und unverblümt, wie er die Krise als Künstler erlebt, und warum er mit seiner Meinung mancherorts aneckt. Haris gibt uns einen Einblick, wie die Beschränkungen emotional belasten können, aber auch neue Kreativität, hier in Form des Kreativstudios Paloma, gefördert werden kann.
Frontstage Magazine: Hallo Haris, wir hoffen, Dir geht’s soweit gut? Wie bist Du heute in den Tag gestartet?
Haris: Danke der Nachfrage, mir geht es gut und meine Familie und ich sind gesund. Wir haben Montagmorgen, Joe Biden hat die Wahl für sich entscheiden können, Nizza, Paris und Wien liegen ein wenige Tage zurück und seit einer Woche sind wir im Lockdown Light angekommen. Obwohl sich alles irgendwie immer noch surreal anfühlt und wir die Entwicklung stets im Blick halten, darf ich mich aus meiner Sicht nicht groß beschweren. Meiner Familie geht es gut, natürlich haben wir emotionale Einbußen aber hey, wir sind erkrankt. Da gibt es Menschen, denen es wesentlich schlimmer geht als uns, von daher sollte man positiv bleiben und sich solidarisch seinen Mitmenschen gegenüber zeigen.
Frontstage Magazine: Corona hat die ganze Branche nahezu lahmgelegt. Abgesehen von ein paar Einzelkonzerten unter Corona-Bedingungen geht seit über sechs Monaten nichts mehr. Wie ist es für Dich als Künstler diese Situation zu erleben?
Haris: Im Gegensatz zu anderen Künstlern, die auf der Bühne ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, habe ich mich frühzeitig zurückgezogen und die Aktivitäten auf allen Kanälen und in den sozialen Medien weitestgehend eingefroren. Das war für mich die einzige richtige Option. Der Fokus muss auf die Leute gesetzt werden, die auf das Einkommen vor und hinter der Bühne angewiesen sind. Gerade als Bühnen-, Veranstaltungstechniker oder als Kneipier sieht es gerade katastrophal aus und so durchzieht sich das auch komplett durch unseren Bekannten- und Freundeskreis. Ein zweites Standbein gerade als Musiker war generell immer schon wichtig und so hoffe ich, dass es der Künstler- und Kulturszene bald wieder besser geht. Doch so wie ich das sehe, werden wir noch lange verzichten müssen in Normalität leben zu dürfen. Die Hygienemaßnahmen verhindern das Erlebnis einer Live-Show immens und so habe ich mit unserem Gitarristen Joey Nowicki ein paar Live-Streams als Lebenszeichen gesendet. Das war eine gänzlich neue Erfahrung und Herangehensweise, was aber auch für mich als Musiker nicht zukunftsweisend und wenig befriedigend ist. Um Spenden für einen guten Zweck zu sammeln, ist es sicherlich eine super Alternative, gar keine Frage. Aber mir fehlt prinzipiell die Interaktion mit dem Publikum, so dass es nach ein paar interessanten Eindrücken von den Live-Streams erstmal ruhig in der Hundehütte wurde. So bleibt mir mehr Zeit für Whiskey. ich kann unter anderem an Texten arbeiten oder einfach nur Musik machen. Gedanklich ist für mich alles entschleunigt und ich genieße es auch so oft zu Hause sein zu können. Das ist nicht immer so.
Frontstage Magazine: Gab es zwischendurch mal den Gedanken aufzugeben, wenn die aktuellen Gegebenheiten stagnieren würden? Könntest Du Dir vorstellen komplett wieder in das Leben des Erziehers zurückzukehren?
Haris: Nein, aufgeben war nie eine Option und wird es auch nie sein, das widerstrebt meiner Lebenseinstellung und Haltung nicht nur als Musiker, sondern auch als Individuum. Auch wenn ich von Anfang an wusste, dass wir mit Covid 19 noch lange Zeit leben müssen, wäre das für mich in diesem Zusammenhang ein Schritt in die falsche Richtung. Meinen Beruf habe ich ja immer schon parallel zu allen musikalischen Outputs Vollzeit betrieben und das kommt für mich an jetziger Stelle auch gar nicht anders in Frage. Für Außenstehende mag es auch so wirken, dass die Musik im Wesentlichen bei Bands genug Geld abwirft, um davon leben zu können. Doch wie schwierig das nicht nur unter jetzigen Umständen ist, kann sicherlich jeder Künstler für sich selbst bestätigen. Der jugendliche Traum von der eigenen Musik zu leben, ist heute zum Alptraum für jeden Vollzeitmusiker geworden. Mich regen vor allem solche Bands auf, die sich im Internet brüsten, dass sie ein Release in der Pipeline haben und die Kosten jetzt erstmal „wieder reinbekommen müssen“ und alles doch so unsagbar schlimm sei. Was für ein Quatsch kann ich da nur sagen. Kosten für Studioaufnahmen, Merchandise etc. hat man doch immer und wenn du nicht von der Musik leben musst, heul´ bitte leise und markiere bitte nicht den armen Künstler, dem das Wasser bis zum Hals steht. Dafür habe ich wenig Verständnis und habe mich unter anderem aus diesem Grund zurückgezogen. Das wollte ich schon wesentlich früher öffentlich mal klarstellen, halte mich aber generell mit Meinungsmache im Internet zurück. Mag sein, dass ich damit eine unpopuläre Aussage treffe, die einigen nicht passen wird, aber das ist mir vollkommen egal. So war meine Wahrnehmung in den letzten Monaten halt und ich bin nicht auf dieser Welt, um den Mund zu halten. Punkt.
Frontstage Magazine: Kurz vor dem kulturellen Lockdown ist Haris und der schwarze Hund noch zusammen mit Danny Attack aus den Staaten aufgetreten. Hat man sich während der Tour schon vorstellen können, dass wenige Tage später alles dicht gemacht und diese Auftritte für unbestimmte Zeit einige der letzten Live-Shows werden sollten?
Haris: Ja, in der Tat gab es da schon ein ganz bestimmtes Bauchgefühl und eine gewisse Vorahnung zu. Der erste Tag auf Tour war sold-out und dann wurde es sprunghaft durch Covid 19 spürbar anhand der Aussagen, der Leute die vor Ort waren. Viele hatten oder haben Angst und das vollkommen berechtigt in Anbetracht mancher schwerer Krankheitsverläufe. Wir können froh sein, dass wir überhaupt noch spielen konnten und kurze Zeit später waren ja auch alle Konzerte unmittelbar abgesagt. Wir haben quasi das letzte Wochenende erwischt, wo man noch live spielen konnte, da hatten wir einfach Glück im Unglück. Auch Danny musste seine Tour vorzeitig abbrechen und hatte eine Menge Ärger bei der Einreise in die Vereinigten Staaten. Fortsetzungspläne haben wir bereits geschmiedet, aber sicherlich nicht in absehbarer Zeit.
Frontstage Magazine: Konzerte sind nach wie vor eher Mangelware und die aktuelle Situation scheint sich nicht zu verbessern; ganz im Gegenteil. Woher nimmst Du Deine Kraft, um die nahende, dunkle Jahreszeit zu überstehen?
Haris: Puh, keine Ahnung. Ganz ehrlich gesagt, mag ich die dunkle Jahreszeit sogar sehr gerne. Mir macht es nichts aus. Aber ich weiß, was du meinst, denn emotional macht die derzeitige Situation dem einen mehr aus, als dem anderen. Soziale Isolation, Einsamkeit, Ängste, die geschürt werden, Einkäufe werden zum Slalomlauf, Aggressionen und verbale Entgleisungen in der Gesellschaft steigen, Menschen müssen um ihre Existenz fürchten, irreführende Demos dürfen unter Missachtung der Hygienemaßnahmen stattfinden, Konzerte aber lediglich nur bedingt, besorgte Bürger sehen die Demokratie in Trümmern legen, ohne zu wissen, was es heißt in einer Diktatur leben zu müssen und die ganze Unterhaltungsindustrie bricht in voller geistiger Anwesenheit zusammen. Ganz einfach so! Das erste Konzert, was man sich nach der ganzen Geschichte ansehen kann, wird für immer in deinem Kopf abgespeichert sein. Ich bin gespannt, welches es dann letztendlich sein wird.
Frontstage Magazine: Gibt es eine neue Beschäftigung, die Du in der Quarantänezeit entdecken oder festigen konntest?
Haris: Haha nein eigentlich nicht, außer dass mein Alkoholkonsum in der Tat deutlich gestiegen ist. Entdecken musste ich den jetzt nicht wirklich vorher, aber verfestigen sollten sich gewisse Verhaltensweisen sicherlich nicht.
Nein Spaß bei Seite, wir haben innerhalb der Band eine weitere Passion für uns entdeckt, so dass wir Musikvideos für andere Künstler drehen und gestalten. Das ganze Projekt führen wir unter dem Namen „Kreativbüro Lapaloma“ und besteht aus Phil, Kevin und mir. Die Photos werden dabei von meiner Frau Jen Doe Photography gemacht, um den ganzen Entstehungsprozess auch künstlerisch und individuell festhalten zu können. Die kreative Arbeit hält den Kopf frisch und macht einfach nur Spaß. Man weiß als Künstler halt selbst, was man sich am liebsten wünschen würde und so versucht man ein gutes, stimmiges Konzept gemeinsam zu entwickeln. Die Balance zwischen Licht und Schatten, die komplette Umsetzung und das kreative Wirken beleben als Kollektiv stehen dabei im Vordergrund.
Frontstage Magazine: Bedeuten weniger Konzerte gleich mehr Zeit, um neue Songs zu schreiben? Geht diese Gleichung auf oder ist dazu der Kopf im Moment zu sehr mit anderen Gedanken befasst?
Haris: Ja auf jeden Fall, da hat sich einiges angesammelt, auch wenn es eher viele kleine Fragmente sind, als fertige Songs. Es kommt aber auch vor, dass ich ein oder zwei Wochen gar nicht spiele und die vorhandene Zeit mit meiner Frau und meinem Sohn nutze. Mit Joey habe ich auch schon neues Material geschrieben, was uns sehr gut gefällt. Irgendwann kramt man dann die Songs wieder aus und entscheidet, ob es tatsächlich auch in das Konzept „des schwarzen Hundes“ passt. Alles benötigt seine Zeit und muss einem gewissen Qualitätsstandard entsprechen. Wenn das der Fall ist, wird alles nochmal genau betrachtet, abgerundet und…et voila, wir haben einen neuen Song. Teilweise habe ich aber auch Schreibblockaden und komme ewig nicht weiter, oder verwerfe Ideen auch wieder gänzlich. Sowohl beim Riffing, als auch bei einer gut gewählten Wortwahl bei den Lyrics. Es ist immer auch eine Angelegenheit in welcher emotionalen Verfassung man schreibt.
Frontstage Magazine: Als Sänger des alternativen Akustik-Projekts Haris und der schwarze Hund bist du seit einigen Jahren aktiv. Wo fand das Projekt seine Anfänge?
Haris: Ja das stimmt, die Zeit vergeht einfach viel zu schnell und ohne meinen alten Freund Phil-Joffrey Thiel (Drums und Klavier) hätte ich das Projekt wohl gar nicht erst in dieser Form gestartet. Ich habe ihm einmal angetrunken in unserer Heimatstadt Gladbeck aus Versehen einen Demo-Song von mir vorgespielt, obwohl ich ihm etwas ganz anderes zeigen wollte. Ich habe an diesem Abend 4x das bestellte Taxi stehen lassen, weil wir uns so intensiv unterhalten haben und ich es einfach verpeilt habe…der Rest ist Geschichte und „der schwarze Hund“ war geboren. Wir haben mit Drums, beziehungsweise Cajon, meiner Gitarre und zum Teil zweistimmigen Gesang begonnen. Wichtig waren vor allem die Lyrics und die Story, die man erzählt, ohne dass es irgendwie platt wirkt. Gerade wenn es um die deutsche Sprache geht, wirkt es schnell pathetisch. Im Studio wurde allerdings schnell klar, dass wir zu zweit viel zu wenig Fläche erzeugen können, ohne in Live-Situationen auf Samples zurückgreifen zu müssen. Klar, im Studio kann man viel kaschieren und wesentlich dicker machen, als es dann wirklich auch spielbar ist. So war die Entscheidung allerdings schnell getroffen, dass wir zukünftig mit befreundeten Musikern zusammenarbeiten möchten, um das umzusetzen, was man im Kopf hört. Wir wollten, dass wir alles aus dem Studio auch live umsetzen können und so wurde aus einem Duo eine 5-köpfige Band, die auf dem Dachboden von Phil Songs aus der „le petit noir“-Reihe aufgenommen hat. André Senft hat dabei die Produktion übernommen und spielt neben Joey Nowicki Gitarre bei „Haris und der schwarze Hund“. Kevin Jagelki spielt Bass und ist als angehender Doktor Grundlage einer möglichen früheren Rente haha. Früher hatten wir einen versifften Bunkerraum, dann haben wir zeitweise bei Phil im Keller geprobt, manchmal auf bei mir zu Hause. Es funktioniert in diesem Kollektiv einfach, ohne viel zu diskutieren. Wichtig ist, dass in letzter Instanz ein guter Song rauskommt. Auch wenn es schon länger her ist, dass wir uns alle zusammen in einem Raum gesehen haben, bleibt man kreativ aktiv. Wir haben mit „Das kleine Schwarze„, „GLA noir“ und zuletzt „Schattenland“ bislang drei Singles rausgebracht und wir schauen mal, wann wir das nächste Material releasen.
Frontstage Magazine: Unsere letzte Frage ist immer losgelöst vom Thema: Auf was könntest Du unter gar keinen Umständen verzichten und warum?
Haris: Wow, das ist wirklich eine gute Frage, da ich ein Mensch bin, der generell gut verzichten kann. Ich halte es da eher einfach und male ein kleines Szenario. Gutes Essen mit guten Menschen und dabei läuft teuflisch gute Musik. Es sind die kleinen Dinge, die im Leben zählen und so sollte man sich besinnen, was denn wirklich ist. Inneres Glück wird am besten geteilt und mit einem eiskalten Ouzo begossen, cheers.
Frontstage Magazine: Danke Haris für Deine Zeit, es war uns wie immer eine Ehre etwas mit Dir zu starten! Wir wünschen Dir eine schöne Winterzeit.
Haris: Ich danke Euch für die Möglichkeit, mir etwas Gehör zu verschaffen und meine Gedanken der letzten Zeit zu präsentieren. Ich wünsche Euch nur das Beste für das Magazin. Euer Chefredakteur und ich kennen uns ja jetzt auch schon eine Weile und er war mit der erste, der Haris und der schwarze Hund supportet hat, wofür ich wirklich sehr dankbar bin. Bleibt gesund, passt auf Euch auf.
Fotocredit: Jen Doe Photograhpy / Kreativbüro Lapaloma