Vom 20. bis zum 23. Juni ging es auf dem Seeflughafen in Nordholz bei Cuxhaven wieder rund. Das ausverkaufte genreübergreifende Deichbrand Festival lockte rund 60.000 feierwütige Besucher*Innen an. Kein Wunder bei dem erstklassigen Line-Up mit Headlinern wie Broilers, K.I.Z., Deichkind oder Beatsteaks. Anfangs waren die Wettergötter allen Konzertgänger*Innen gut gesonnen und ließen es nur selten mal vom Himmel tröpfeln. Ab Samstagnachmittag ist das Deichbrand dann nach und nach bei Unmengen an Regen im Schlamm untergegangen und viele Besucher*Innen haben verfrüht die Heimreise angetreten.
Donnerstag
Startschuss Donnerstag bei Schäfchenwolken, Sonnenschein und logo, wie es sich für die Nordseeküste gehört, einer leichten Brise. Im Palastzelt ist die um 18 Uhr auch ganz angenehm durchgeweht als Hot Milk aus Manchester über die Bühne gefegt sind. Ein energiegeladener Auftakt für alle, die was von gutem Pop-Punk halten und musikalisch absolut passend zu den Blackout Problems, die sich anschließend auf der Zeltbühne auch mal wieder die Ehre gaben und das Publikum ordentlich auf Trab hielten. Sänger Mario hat es sich nämlich nicht nehmen lassen, einen kleinen Ausflug in die Menge zu starten und somit mal wieder zu zeigen, dass sich die Münchner für nichts zu schade sind.
Perfekt eingereiht in diese zwei sehr energetischen Gigs haben sich dann You Me at Six, die zwar in Ihren Sakkos etwas melancholischer aber dennoch mit mindestens genauso rockigen Tönen die meisten aller Fanherzen gewonnen haben.
Überraschung und absolutes Highlight dieses ersten Deichbrandabends war wieder ein Act aus dem Königreich England: Don Broco. Wenn man bei allen vorherigen Auftritten an diesem ersten Festivaltag dabei war, war es kaum zu glauben, dass noch mehr Action auf die Bühne im Palastzelt gebracht werden konnte…aber das ging – und wie das ging!
Freitag
Eingeläutet haben den Festivalfreitag zwei Damen und ein Herr aus Hertfordshire auf der Water Stage.
The Subways – erwecken bei mir immer Erinnerungen an mein erstes Deichbrand Festival und meinen ersten Circle Pit im Jahre 2012. Eine ganz wunderbare Erinnerung! Umso mehr habe ich auch ihren diesjährigen Auftritt genossen und mir gedacht: die Subways sind so eine Band, die sowohl musikalisch aber als auch optisch über die Jahre ne ordentliche Schippe drauf legen. Auch bei diesem Gig hat ihre Sympathie und gute Laune von der Bühne nur so runtergestrahlt und ist direkt aufs Publikum übergegangen. Ein kleiner Moment in dem wohl alle kurz mal den Atem angehalten haben: als Sänger Billy Lunn sich von der Crowd hat zum FOH hat transportieren lassen, dann hinaufgeklettert ist und von dort aus mir nix dir nix mal eben schwindelerregender Höhe zurück ins Publikum gesprungen ist. Aber er ist ja schließlich Fachmann auf diesem Gebiet und somit tauchte er kurze Zeit später wieder auf der Bühne, vor seinem Mikro auf und die wilde Party mit The Subways ging weiter.
Von der einen Fete zur anderen. So kennen und lieben wir das vom Deichbrand Festival. Allerdings ging die Feierei jetzt auf deutsch weiter und zwar mit den Düsseldorfer Jungs von den Rogers. Songs zum Mitgrölen, Polonäse tanzen, im Mosh Pit die Sau rauslassen, zum Nachdenken und Haltung zeigen – so ungefähr lief der Gig ab und es war ganz wunderbar.
Gegen Abend wurde es dann allerhöchste Zeit dem Palastzelt mal wieder einen Besuch abzustatten. Blond standen da nun nämlich auf dem Programm.Noch nie live gesehen aber vorher schon viel Gutes von der jungen Band gehört und was soll ich sagen, ich kann jetzt auch nur Gutes berichten. Musik top, Ansagen top und vor allem textlich top! Wenn live noch nicht gesehen – unbedingt nachholen!
Tokio Hotel bildeten wohl für viele Festivalfreunde*Innen das absolute Highlight auf dem Deich, denn wär hatte schon gedacht, dass die mal irgendwo wieder zusammen auf der Bühne stehen. Deswegen strömten alle Fans oder auch Nicht-Fans aber Schaulustige in Massen zur Water Stage. Allerdings wurde der Gig dann nicht ganz so goldig-glitzernd-bunt wie die Outfits von Frontmann Bill Kaulitz, denn nach einigen Songs versagte die Technik. Zum Leid der Fans aber auch zum Leid der Band selbst, di elaut eigener Aussage ein extrem geiles Set extra für das Deichbrand vorbereitet hatten. Kleiner Trost: auf den heiß ersehnten Banger aus Teenagerzeiten „Durch den Monsun“ musste niemand verzichten, den gab es nämlich als Acoustic-Version von den Gebrüdern Kaulitz.
Für weiteres Festivalfeeling deluxe sorgte unter anderem im Palastzelt noch Disarstar, der sein Publikum bestens im Griff hatte und mit ehrlichen Texten überzeugte. Außerdem natürlich die Headliner SDP, von denen ja so ziemlich jede*r so ziemlich jeden Song mitsingen kann ganz ähnlich wie natürlich auch bei Deichkind, die ja schon fast zum festen Deichbrand Festival Inventar gehören.
Samstag
Wie viele unterschiedliche Genres das Deichbrand gekonnt vereint, das wurde uns allen beim sogenannten Frühsport wieder einmal präsentiert. Der Frühsport war in diesem Fall der Gig von Alexander Marcus, der selbst alle größten Schnapsnasen um 12 Uhr vor die Hauptbühne zog. Ein Wachmacher deluxe oder zumindest ein Hinhörer bzw. Hingucker der Extraklasse.
Soweit so gut und das Wetter hat übrigens auch noch gehalten, zwar war der Himmel schon wolkenverhangen dennoch luscherten da ab und an mal ein paar klitzekleine Sonnenstrahlen durch.
Änderte sich leider schlagartig, als die Hamburger Jungs von Liedfett die Bühne enterten. Aber wie könnte es auch anders sein, die hatten eben neben wie immer geiler Mucke, guter Laune auch das typische Hamburger Schmuddelwetter mit in ihre Instrumentenkoffer gepackt. Das Publikum hat sie sowohl auf der Fire Stage als auch später nochmal bei ner Acoustic Session beim Merch sehr gefeiert.
Auch Yaenniver auch bekannt als Jennifer Rostock Frontfrau Jennifer Weist hat nach langer Festivalpause mal wieder eine der Hauptbühnen des Deichbrands betreten. Das Publikum war mehr als zufrieden mit ihr, sie auch mit dem Publikum aber nicht mit der Frauenquote im Festival Line-Up, wie sie mehrfach betonte. Also merken bitte für das nächste Jahr: da geht noch was an weiblichen Acts!
Einer meiner liebsten Festivalmomente: der Gig von Swiss & die Andern. Liegt vermutlich auch daran, dass ich die einfach schon lange sehr gerne höre und leider erst einmal live gesehen habe aber der Auftritt an sich war trotz Ecken und Kanten sehr rund. Es gab einen sehr sympathischen Gastauftritt von Deine Cousine, Wall of Death im Schlamm und eine kleine reise mit dem Schlauchboot durchs Publikum bis nach Sri Lanka. Da war dann auch kurzweilig vom Regen nicht mehr viel zu merken.
Swiss vorbei, Beginn für die Leoniden auf der Water Stage. Wie immer abgeliefert an Show, Sympathie und hervorragender Musik. Kann man auch von Electric Callboy behaupten, astreiner Sound, bei purem Entertainment und ein paar Pyro-Momenten, die bei der ungemütlichen Wetterlage mehr als gut taten.
Mehr als gut tat auch wieder einmal der Gig von den Broilers. Einfach eine sausympathische, authentische Band die mit ihrer Musik das Publikum berühren und mit auf eine Reise nehmen. Es wurde getanzt, gelacht und vielleicht auch bei dem ein oder anderen Song mal ein Tränchen verdrückt.
Beim Headliner K.I.Z dann von Tränen keine Spur mehr, da waren alle Zeichen auf Abriss programmiert. Eins muss man denen lassen ob man sie nun feiert oder auch nicht, sie ziehen einen in ihren Bann und dann bleibt man auch die ganze Show. Vor allem, wenn man wie wir ein trockenes Plätzchen zum Unterstellen gefunden hat und sich das Spektakel von dort aus geben kann.
Sonntag
In der Nacht von Samstag auf Sonntag dann leider große Ernüchterung für Festivalveranstalter*Innen, Besucher*Innen und auch sicher die Künstler*Innen – es hat sich so richtig schon eingeregnet. Von normalem, trockenen Boden absolut keine Spur mehr. Führte dazu, dass unglaublich viele Menschen ihre sieben Sachen zusammenpackten oder auch liegenließen und das Gelände vorzeitig verließen. Besonders weit kamen die meisten dabei nicht. Stau auf dem Gelände und Steckenbleiben im Schlamm führte dazu, dass die Abreise vom Campingplatz oftmals bis zu sechs Stunden gedauert hat.
Dann doch lieber nochmal Gummistiefel an und aufs Gelände waten. Zum Beispiel zu den Schweden von Royal Republic, die trotz des schwindenden Publikums alles gaben und wie immer mit sehr viel Charme die Bühne rockten.
Zum Auftritt von Nura wurde ich mehr oder weniger mitgeschleppt. Da ich mich mit der Rapperin noch nie so wirklich beschäftigt habe, wusste ich nicht, was mich da erwartet, muss aber sagen, ich war positiv überrascht. Die frau hat wirklich eine ganz wunderbare Stimme und auch wenn ich vielleicht kein Riesenfan von ihrer Musik werde, so ab und an und gerade da auf dem Deichbrand ging das richtig gut klar!
Wirklich schade nur, dass vom Festivalpublikum nicht mehr so viel übrig geblieben ist, sich die meisten von den wenigen Hinterbliebenen dann eher ein trockenes Plätzchen bei irgendeinem Unterstand gesucht haben – das war natürlich für alle ein kleiner Dämpfer.
Nichts desto trotz gabs noch genug mutige und Feierwütige, die sich direkt vor den Bühnen immer noch pudelwohl gefühlt habe. Wie sagt man in Norddeutschland ja auch so schön: „Es gibt kein falsches Wetter, sondern nur die falsche Kleidung.“
Außerdem wurde es dann sowieso am Sonntagnachmittag bei The BossHoss trotz Regen und etwas Wind schon fast wieder etwas heiß an der Wurster Nordseeküste. Denn bei deren Sound blieb kein Tanzbein ganz still stehen und ein bisschen Pyroshow hat uns auch etwas erwärmt.
Von der Hauptbühne nun mal zur kleinsten Stage vom Deichbrand: die Jever Hafenbar. Punkt 18 Uhr standen da nämlich Smile and Burn aus Berlin auf der Bühne. Und was soll ich sagen? Smile and Burn fangen an zu spielen und die Sonne kommt zum ersten Mal seit 48 Stunden wieder raus – wenn das nicht ein Zeichen ist! Eine kleine aber feine Punkrockparty wurde da auf sandigem Untergrund gefeiert und das war eine wahre Energiequelle. Nach 4 schönen aber dennoch anstrengenden Festivaltagen, war dieser Gig nochmal Schuld an einer letzten Ausschüttung von Glückshormonen. Danke dafür!
Bei einer anschließenden Riesenradrunde mit Blick auf das gesamte Areal von oben konnte man nochmal das ganze Regen und Abreiseausmaß deutlich sehen. Der Campingplatz war um die Hälfte der Zelte und Wohnwagen ärmer, das Gelände ein einziger großer Kuhfladen aber vor den Bühnen herrschte trotzdem noch gute Stimmung mit genug Besucher*Innen um noch einen letzten Abend Gas zu geben.
Jan Delay machte es dem Publikum aber auch wirklich leicht. Bei seinen Solosongs aber auch Werken aus den Zeiten der Beginner wurde gegroovt, geschunkelt und noch ein vorletztes Mal die Sau rausgelassen.
Zu guter Letzt wurde die nämlich nochmal bei den Beatsteaks befreit. Die haben nämlich nicht nur mit ihrer bodenständigen und ehrlichen Art für einen würdigen Festivalabschluss gesorgt, sondern natürlich auch mit ihrer ebenso ehrlichen und grandiosen Musik. Hier auch nochmal Hut ab an Frontmann Arnim, der hat nämlich trotz Bänderriss auf der Bühne alles gegeben und das Publikum somit gut aus dem Deichbrand Festival 2023 verabschiedet. Also: bis 2024 liebes Deichbrand, hoffentlich dann etwas weniger nass!
Fotocredits: Johanna Lippke