Theoretisch ist es offiziell nichts weiter als das achte Studioalbum einer weltweit gefeierten Rockband, welche zur Jahrtausendwende groß wurde – soweit nichts Ungewöhnliches. Doch beim Album „From Zero“ von Linkin Park ist nichts normal. Immerhin prägte die Band eine ganze Generation unwiederbringlich mit ihrem innovativen Crossover aus Rock und Hip-Hop, setzten mit Nu- Metal ihre ganz eigenen Maßstäbe, mit denen sich alle kommenden messen würden, und verewigten sich selbst als Legenden der Musikgeschichte. Genauso wird der langjährige Sänger Chester Bennington seit seinem tragischen Suizid 2017 weiterhin verehrt. Sieben Jahre später ist die übrige Band mit neuer Frontfrau zurück und liefert ihr achtes Studioalbum ab – soweit die Theorie. Wie das Ganze in der Praxis klingt, lest ihr in unserer Review.
Vielleicht sollte man vorweg fast so etwas wie eine kleine Triggerwarnung aussprechen, da gerade in verschiedenen Fanlagern Personalien kontrovers diskutiert werden und früher ja sowieso alles besser war. Das ist uns alles bewusst. Jedoch ist und bleibt Musik am Ende persönlicher Geschmack und um es kurz zu machen, können wir sagen, dass „From Zero“ diesen zu 100 % trifft.
Die Aufgabe Chester Bennington zu beerben ist alles andere als einfach. Man wird es niemals allen Recht machen können und die Erwartungshaltung muss schier unermesslich gewesen sein. Mit dem Album erlöst sich die Band selbst und zeigt sich unendlich vielseitig, sodass am Ende für jeden Fan etwas dabei sein wird. Die drei Singleauskopplungen „The Emptiness Machine„, „Heavy Is The Crown“ und „Over Each Other“ wurden als Vorgeschmack präsentiert und machten unfassbar viel Lust auf Mehr. Schon die drei Songs an sich sind wahrlich unterschiedlich und zelebrieren ganz andere Schwerpunkte. Textlich „Heavy Is The Crown“ zu wählen mit dem 15 Sekunden Stream, der durch das Internet ging und damit die neue Vokalistin Emily Armstrong einzuführen, ist nichts Weniger als eine virtuose Meisterleistung. Unwillkürlich ergibt sich ein Cinderella-Gefühl, denn es scheint, dass Emilys Stimme, die man bereits von der Band Dead Sara kennt, einfach ein perfektes Match mit der Band bildet. Dabei armt sie nichts nach oder versucht nicht etwas zu sein, was sie nicht ist, sondern passt vielmehr wie ein Puzzleteil. Dabei kann sie extrem zerbrechlich und zeitgleich wütend wirken wie in „Casuality“ oder genauso unnachgiebig wie bei „The Emptiness Machine„.
Genau so wandelbar wie die neue Stimme an der Front zeigt sich die Variabilität der Band selbst. Die zehn Songs plus das eingesprochene Intro reichen von zart zu hart. Die gesamte Bandbreite wird dabei präsentiert. Am eindrücklichsten wird dieser Kontrast beim Übergang von „Over Each Other“ zu „Casuality“ deutlich, die so weit auseinander sind wie die beiden Brennpunkte einer Ellipse. In den letzten Sekunden von „Over Each Other“ wird gefragt „Can you get your screaming pants on?“ und man wusste es als Single noch nicht ganz einzuordnen. „Casuality„, das fast schon in Richtung Hardcore beziehungsweise Trash Metal geht, beantwortet diese Gedanken in 2:20 Minuten brachialer Vollendung, harten Drums und einer rohen Energie, dass man nichts anderes als Gänsehaut haben kann. Ganz anders wiederum und komplett individuell ist „Overflow„. Während man, vor allem bei den Singles, ganz häufig „Meteora“ im Kopf hat und die Devise „back to the roots“ inklusive 90er-Rap und Scratching zu sein scheint, hat der siebte Track etwas Sphärisches, was man so vorher noch nie gehört hat. Der Flow und das Tempo sind ganz anders als die sechs Tracks zuvor.
Vom Aufbau her ist es ein gekonnter Kniff, um nach „Casuality“ wieder etwas runterzukommen und einen gelungenen Übergang zu vier weiteren Tracks zu schaffen, die ein bisschen wie eine zweite Hälfte wirken. Clever integriert ist dabei am Ende von „Overflow“ ein brillanter Gedanke in Form eines Geräusches das klingt, als ob man eine Kassette umdrehen würde. Weiter geht es mit „Two Faced„, zu dem noch einmal das Bild der beiden Seiten der Kassette passt, was als einleitendes Motiv dadurch noch besser passt und wohl ein Song sein dürfte, der sehr an „Hybrid Theory“ erinnernd wohl allen Linkin Park Fans gefallen dürfte. Lyrisch bewegt sich die gesamte Platte eher im gewohnt düsteren Umfeld und bietet gleichzeitig ein erhöht hohes Identifikationspotenzial. In dieser Manier geht es mit „Stained“ weiter, was wieder eine ganz neue Ebene mit nahezu poppig anmutenden Refrain aufmacht. Das ist ein Track, den man sich sofort im Radio vorstellen kann ohne das abwertend zu meinen, denn der Titel geht vielmehr sofort ins Ohr. „IGYEIH“ kommt dann wieder rockiger daher und nimmt am Ende noch einmal richtig Fahrt auf. Das Duett „Good Things Go“ beendet „From Zero“ versöhnlich und bringt noch einmal alles zusammen, dass die Gänsehaut nicht ausbleibt.
Bereits nach einem Mal hören ist absolut klar, dass es sich um ein ganz großes Album handelt, was Linkin Park geschaffen haben. Dabei sollte man nicht außer Acht lassen, welche Erwartungen an dieses Album nach sieben Jahren und Frontwechsel gerichtet werden. All diese Anforderungen werden nahezu perfekt abgedeckt. „From Zero“ ergibt auf vielen Ebenen Sinn und zeigt lyrisch und in kleinen Kniffen, was es alles leisten kann. Zudem haben Mike Shinoda und Band es immer noch wie vor knappen 30 Jahren drauf als die Band unter dem ersten Namen Xero gegründet wurde. Häufig entdeckt man Sounds, die original nach 2003 klingen und sofort das vertraute Linkin Park Gefühl, wie es damals war, erwecken. Trotz dessen wird Emily ein angemessener Platz gegeben, an dem sie sich wundervoll einfügt und mit der Band entwickeln kann. Damit wurde eine fantastische Synthese von neu und alt geschaffen. Einziger minimaler Kritikpunkt bleibt, dass kein Song stärker ist als die bereits veröffentlichten Singles. Das hätte man sich noch wünschen kommen. Davon abgesehen ist es ein Album, über das wir alle noch lange reden werden und reiht sich schon jetzt in die große Diskographie einer Ausnahmeband ein.
Fotocredit: James Minchin III