Ein letzter wunderschöner Sommerabend stand den Lüneburgerinnen und Lüneburgern am Sonntag als krönender Abschluss des Lüneburger Kultursommers auf den Sülzwiesen bevor. Die Ehre den letzten Gig des Open Air Events zu spielen, oblag der Hamburger Indie-Band Kettcar, die mit einem zwinkernden Auge extra dafür von Hamburg nach Lüneburg gefahren sind. Dank der familiären Atmosphäre konnte man der Band ganz nah sein, die bei bester Laune in der untergehenden Sonne ihren einzigartigen Vibe versprühten.
Wie das zuletzt erschienene Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ wurde auch das Konzert mit den eindrücklichen Worten „Mittelmeer, Massengrab“ des Songs „Auch für mich 6. Stunde“ eröffnet. Darauf folgte „Benzin und Kartoffelchips“ sowie „Rettung„. Damit war expositorisch alles gesagt, was gesagt, werden musste, um Kettcar standesgemäß vorzustellen – eine Band zwischen Politsongs und Liebesliedern. In den folgenden knapp zwei Stunden untermauerten sie dies überzeugend auf ihren charakteristischen Perserteppichen.
Dabei half ihnen eine atemberaubende Kulisse. Die tief stehende Sonne schien so intensiv, wie keinen anderen Abend beim Kultursommer zuvor und hebte sichtlich die Laune bei Band und Publikum. Kettcar kamen in Plauderlaune und teilten sowohl das Geheimnis, dass Lars Wiebusch in Lüneburg geboren wurde als auch die Tatsache, dass es bei Bosshoss ja so voll war, dass man anstehen musste für Toiletten. Deswegen hätte man extra das Feld und die Dixi-Toiletten erweitert, so Reimer Bustorff, in einer seiner humorvollen Ansagen. Im Anschluss fragte er sich berechtigterweise aber selbst, wie er jetzt von Dixi-Toiletten zum nächsten Song vom neuen Album „Kanye in Bayreuth“ kommen solle, und kassierte dafür Lacher aus dem Publikum.
So konnte man sich über eine herrlich lockere Band freuen, die auch schon 2001 im Lüneburger Vamos spielte als der Song „Rettung“ aus 2012 noch nicht einmal vorgesehen war. Und das obwohl die Band eng mit der Hansestadt verstrickt ist und einen der Söhne Lüneburgs beschäftigt – so korrigiere man Wikipedia! Als dies trugen Kettcar mit einem Augenzwinkern und Lächeln vor. Neben der geselligen Atmosphäre kamen die Leute natürlich vor allem für die klugen Texte, die man nur bei Kettcar so maximal mitfühlen kann. „48 Stunden„, „München„, „Sommer ’89“ und „Balu“ – „die ganze Scheiße mitsingen können“, das sind die Songs zwischen Politik und Liebe, die alle im Publikum andächtig miterlebten. Dazu war die Stimmung gebannt und komplett konzentriert auf diese Lieblingsband und die Texte. Es wurde wenig während der Musik geredet, viel mehr handelte es sich um kollektives Erlebnis, was Kettcar Konzerte so besonders und einzigartig macht.
Zudem machen sie deutlich, wofür sie auf der Bühne stehen wollen: Musik hat keine Agenda außer Gleichgesinnte zu verbinden und dazu beizutragen, dass sich Einzelne weniger alleine fühlen. Dafür werden sie noch ein Album machen, auf Tour gehen und jede Menge Interviews geben. Und genau zu so einem Gefühl tragen Songs wie „Der Tag wird kommen“ bei. Diese Gewissheit wird einem in der untergehenden Sonne versprochen, als die orangenen Banner des Lüneburger Kultursommers Effekt heischend in Szene gesetzt wurden. Lüneburg ist mit Marcus Wiebusch und quittiert diese Botschaft mit einem langen, euphorischen Applaus. Bevor das bekannte „Landungsbrücken raus„, der letzte Track der regulären Spielzeit, gespielt wurde, bot sich noch die Gelegenheit einmal mehr in tiefe lyrische Abgründe einzutauchen als mit „Ein Brief meines 20-jährigen Ichs (Jedes Ideal ist ein Richter)“ metaphysische Philosophien nach Arthur Schopenhauer beleuchtet wurden.
Die Zugabe brachte im Anschluss einmal mehr das beste von Kettcar zusammen, bevor die Dunkelheit Einzug in Lüneburg erhielt. Dafür wurden im Taylor-Swift-Style das Gelände mit Handylichtern zum Leuchten gebracht, denn auch die Herren haben erkannt: „Von Taylor Swift lernen, heißt siegen lernen“. Mit den Klassikern „Deiche“ und „Mein Skateboard kriegt mein Zahnarzt“ brachte die Band eines ihrer schönsten Konzerte sicher nach Hause. Lüneburg erlebte die gut aufgelegte Band hautnah in einem fantastischen Setting und zelebrierten den perfekten Abschlussabend des Kultursommers auf den Sülzwiesen.
Fotocredit: Marc Erdbruegger