In Zeiten von Streaming, in denen Livekonzerte mittlerweile der wichtigste Absatz für Künstler und Bands geworden sind, ist es umso wichtiger, auf seine ganz eigene Weise hervorzustechen und dem Publikum etwas zu bieten, was sie ausschließlich dort bekommen. Eine der Bands, die genau das geschafft haben, ist niemand Geringeres als Deichkind, die am gestrigen Abend in der Emslandarena in Lingen den Tourauftakt ihrer aktuellen „Kids in meinem Alter“-Tour zelebriert haben.
Bereits zum Einlass in die Halle wurden die Besucher von keiner herkömmlichen Vorgruppe begrüßt, sondern von VJ Wasted, der bis zum Beginn der Show ein Set aus feinsten Musikvideos aus Hip-Hop und Elektro zum Besten gab. Passenderweise wurden diese Videos parallel auch auf dem großen Vorhang, welcher bis dato die Bühne noch verhüllte, gezeigt. Das Lingener Publikum war schon immer auf seine Art recht besonnen und tiefenentspannt, weshalb es auch – mitunter auch aufgrund des stürmigen Wetters – einige Zeit dauerte, bis sich die Halle so richtig füllte. Wie sich nach den ersten Songs später aber zeigen würde, sollte dies der Stimmung definitiv keinen Abbruch tun.
Als sich das Set von VJ Wasted langsam dem Ende neigte, wurde zwischen zwei Tracks ein liebevoll produzierter Trailer für den wertvollen Deichkind-Merch gezeigt, in dem zu den Klängen des Songs „Drucker“ vom aktuellen Album „Neues vom Dauerzustand“ der feine Zwirn in seiner Gänze von den Bandmitgliedern präsentiert wurde. Es folgte eine kleine Videobotschaft von Porky, der die Anwesenden nochmals freundlich darauf hinwies, dass ein friedliches und respektvolles Miteinander genauso wichtig ist wie die Show selbst, damit alle den Spaß haben können, für den sie an diesem Abend hierher gekommen waren.
Und dann begann sie: Die Deichkind-Show… von der Band selbst liebevoll auch als „Kindergeburtstag für Erwachsene“ bezeichnet. Und diese Bezeichnung trifft es eigentlich schon ziemlich gut. Auch wenn man dazu sagen sollte, dass seit vielen Jahren die Show stetig professioneller wird und streckenweise gar einer Kunstperformance ähnelt. Die Zeiten der Müllsack-Outfits sind dabei schon längst vorbei. Als kleines Intro lief ein kurzer Film mit Impressionen verschiedenster Deichkind-Exzessen der vergangenen Jahre, als nur wenig später Kryptik Joe, Porky und Roger Rekless mit „99 Bierkanister“ die Show eröffneten.
Die erste Hälfte der Show legte dabei den Fokus stark auf die zahlreichen performativen Elemente, die Deichkinds Konzerte genau zu dem machen, zu dem sie heute geworden sind. Bei jedem Song gibt es eigene Kostüme (inklusive der legendären Pyramidenhelme) und dazu passende Backdrops. Ebenso sind die einstudierten Choreografien ein wichtiger Teil, mit dem die insgesamt siebenköpfige Truppe auf der Bühne jedem Song ein ganz eigenes Wesen und eine besondere Dynamik verleihen.
Insbesondere besagte Dynamik wird von den sogenannten Omnipods getragen. Für alle, die mit diesem Namen nichts anfangen können: Die Omnipods sind diese kleinen fahrbaren Türme, die bei vielen Songs aktiver Teil der Bühnenperformance sind und für die Bandmitglieder bis zu einer gewissen Höhe begehbar sind. Diese sind sogar von der Band selbst patentiert worden und prägen seit vielen Jahren auf immer neue Art und Weise das Bühnenbild von Deichkind. Selbstverständlich werden auch die Omnipods immer passend zum aktuellen Look gekleidet und vollenden das runde Gesamtbild.
Dazu kommen viele kleine Gimmicks, die hier und da in einzelnen Songs auftauchen. Sei es beim Song „Auch im Bentley wird geweint„, bei dem Kryptik Joe auf einer überdimensionalen Gucci-Handtasche über die Bühne reitet oder während „In der Natur„, als analog zum dazugehörigen Musikvideo zwei Menschen in Schutzanzügen die Halle in dichtem Nebel hüllen. Und natürlich darf auch hier und da das Konfetti nicht zu kurz kommen, was mitunter einige der Anwesenden beinahe komplett verhüllt hat.
Zum Titeltrack der Tour „Kids in meinem Alter“ macht es sich Kryptik Joe im knallgelben Bergsteigeroutfit in seiner Portalodge an der Bühnenkante gemütlich und philosophiert ausgiebig darüber, was besagte Kids denn heutzutage alle so machen. Der Vorhang zog sich wieder zu, und es begann die zweite Hälfte der Show.
Was von hier an folgt, war nichts Geringeres als ein pures Hitfeuerwerk – angefangen mit den Klassikern „Komm schon“ und „Bon Voyage„, die selbst den letzten zögernden Zuschauer aus der Reserve gelockt haben sollten. Besonders erfrischend waren die zahlreichen Samples, mit denen insbesondere die beiden Songs, aber auch einige andere Titel am Abend unterlegt worden waren, die eine nette Abwechslung gegenüber den Originalversionen boten und für einen angenehmen Flow gesorgt haben.
Es folgten mit „Bück dich hoch“ und „Leider Geil“ zwei der bis heute erfolgreichsten Songs von Deichkind – kleine subtile politische Botschaft gegen rechts inklusive. Für eine kurze Verschnaufpause diente im Anschluss „Richtig gutes Zeug“, bei dem Kryptik Joe aus seinem viel zu großem Reiserucksack ein viel zu großes iPhone und den dazu passenden – selbstverständlich viel zu großen – Selfiestick hervorgekramt hat, um währenddessen ein paar hübsche Selfies zu schießen.
Nach einer kurzen Darbietung im Jumping Fitness zu „Oma gib Handtasche“ fuhren Deichkind im Anschluss bei „Arbeit Nervt“ mit ihren berühmten Pyramidenhelmen auf die Bühne. Einen der Plätze auf den Omnipods hat dieses Mal ein kleiner Roboterarm eingenommen – und keine Sorge, auch er hat natürlich seine eigene Pyramide getragen, was zugegeben schon ein bisschen knuffig aussah.
Und dann kam der Moment, auf den sicherlich viele der Anwesenden schon gebannt drauf gewartet haben: Das berühmt-berüchtigte Fass wurde in die Halle gerollt und bahnte sich seinen Weg durch die Menge. Zu den Klängen von „Roll das Fass rein“ und „Niveau Weshalb Warum“ gingen Deichkind auf Tuchfühlung mit den Fans und machten mit viel Nebel und einer riesigen Fahne auf sich aufmerksam – also für den Fall, falls das überdimensionierte Fass noch nicht auffallend genug gewesen sein sollte.
Als im Anschluss das Fass auf der Bühne geparkt wurde, zog die Band mit „Hört ihr die Signale“ und „Limit“ nochmals deutlich das Tempo an. Und als die Stimmung auf dem spürbaren Siedepunkt war, schloss sich wieder der Vorhang, ehe einige Minuten Pause folgten, die von zahlreichen lauten Zugabe-Rufen untermalt wurden.
Und das Warten und Bangen sollte sich lohnen, als nur wenig später mit „Remmidemmi“ das große Finale der Deichkind-Show zelebriert wurde. Es wurden säckeweise Federn über den Köpfen der Zuschauer entleert, es wurde gefeiert, getanzt und gesungen. Auf der Hauptbühne hatte sich die gesamte Crew versammelt und feierte inmitten von Hüpfburgen und vielen Relikten vergangener Deichkind-Shows gemeinsam mit den Zuschauern. Unter großem Jubel verabschiedeten sich abschließend alle gemeinsam von der Bühne und entließen eine mehr als zufriedene ausverkaufte Emslandarena in den wohlverdienten Feierabend.
Deichkind stehen seit jeher für abwechslungsreich, wohl durchdachte und choreografierte Shows, die zwar die Anarchie von früheren Zeiten verloren haben mögen. Doch gerade weil es auf so vielen Ebenen etwas zu sehen und hören gibt, fühlt man sich als Zuschauer schon fast selber als kleiner Teil der Inszenierung. Und Deichkind ruhen sich auch nicht auf ihrem Erfolg aus, da jedes Jahr immer wieder an der Show gearbeitet wird und viele kleine Elemente ergänzt werden, um diese Show noch besser zu machen.
Wer die Chance dazu hat und dieses Live-Spektakel selber miterleben möchte, kann Deichkind noch den ganzen Dezember über auf großer „Kids in meinem Alter“-Tour quer durch Deutschland, Luxemburg und die Schweiz erleben.
DEICHKIND – KIDS IN MEINEM ALTER TOUR 202427.11.24 Lingen, Emsland Arena
29.11.24 Erfurt, Messe
30.11.24 Leipzig, Quarterback Immobilien Arena
03.12.24 München, Olympiahalle
04.12.24 Nürnberg, Arena Nürnberger Versicherung
06.12.24 Köln, LANXESS arena
07.12.24 Dortmund, Westfalenhalle
08.12.24 LU-Luxemburg, Rockhal
09.12.24 Frankfurt am Main, Festhalle
11.12.24 Freiburg, SICK-ARENA
12.12.24 Neu-Ulm, ratiopharm arena
13.12.24 CH-Zürich, Hallenstadion
14.12.24 Stuttgart, Schleyerhalle
17.12.24 Kiel, Wunderino Arena
18.12.24 Rostock, Stadthalle
19.12.24 Braunschweig, Volkswagen Halle
21.12.24 Bremen, ÖVB Arena
Fotocredit: Benjamin Ebrecht @Sommer 2024
Livereview: Mirco Holz