Wann bist du geboren? Irgendwann in den 80er Jahren? Dann hast du die 90er vermutlich ähnlich intensiv miterlebt wie ich. Und dann könnte die 90er live Tour ein fetter Flashback für dich sein. Stars aus diesem Jahrzehnt drücken sich Klinke in die Hand und locken lauter Partywütige Menschen nach Oberhausen.
Der Parkplatz zwischen dem Centro und der Rudolf-Weber-Arena wurde umfunktioniert und ähnelt einer Mischung aus Festival und Jahrmarkt. Viele Konzertbesucher sind in knalligen Neonfarben gekleidet, tragen T-Shirts mit aufgedruckten Gameboy, ein glückseliges Lächeln im Gesicht und scheinen ebenfalls den 80er Jahren zu entstammen. Wighfield eröffnet auf der MainStage. Eine schlanke, blonde Frau in eng anliegendem Einteiler betritt die Bühne und wirkt tatsächlich etwas aufgeregt. Statt mit „Saturday Night“ beginnt sie ihr Konzert mit einem – zumindest mir – Unbekannten Song. Ruhig. Gediegen. Den Fans scheint es ähnlich zu ergehen. Höflich, aber reserviert reagieren sie auf den Auftritt der Dänin. Von der „Wonderful Days“-Stage dringt ein schnellerer Beat zur MainStage hinüber. Es zieht mich dort hin. Und noch während Wighfield auf der Bühne steht, geht es, zumindest musikalisch, auf der Wonderful Days Stage rund.
Überrascht stelle ich, vor der Bühne angekommen, fest, dass es dorthin nur wenige 90er Fans verschlagen hat. Melanie di Tria hat dort den ersten Slot ergattert. Bekannt wurde sie unter anderem mit ihrem Song „Life is too short“, einem Remix mit Kai Tracid. Nach einer kurzen Spielzeit ist Wighfield auch schon wieder von der Bühne gestiegen und überlässt Moderator Mola Adebisi das Feld. Von Band laufen ein paar der Bekanntesten 90er Hits in einer Art verlängerten Mega-Hit-Mix und der Bekannte Viva-Moderator gibt sein Bestes, um die Meute zu motivieren, zu singen, zu feiern, zu tanzen. Mit kurzer Verzögerung geht es mit Rednex weiter. Was für eine Gaudi. Die Stockholmer haben es wirklich nicht verlernt, Spaß zu haben. Das wird sofort glasklar. Mola kündigte sie schon richtig an, indem er sie als „die vielleicht verrückteste Band des Tages“ betitelte. Passt. Irre, sympathische Clowns auf der Bühne. Ich habe die Band nie zu ihrer Hochzeit auf der Bühne erlebt… aber ich kann mir vorstellen, was für unterhaltsames und geordnetes Chaos das gewesen sein muss. Konfetti fliegt, die Traverse der Bühne wird erklommen und den Fans ein Besuch am Wellenbrecher abgestattet. Diesen gefällt es und Rednex werden nicht nur bei „Cotton Eye Jo“ gefeiert. Auch auf der Wonderful Days Stage füllt es sich immer mehr und ein kleiner Hauch von Love Parade Feeling kommt zum ersten Mal an diesem Tag auf.
Dort steht mittlerweile Kosmonova auf der Bühne. „Forever Young“ kennt jeder. Kann auch jeder mitsingen. Und heute ganz sicher auch fühlen! Fast fällt es mir etwas schwer, mich auf den Weg zur MainStage zu machen, wo jeden Moment Oli P. auftreten wird. Nach wenigen Schritten höre ich schon Mola Adebisi und „Gangsters Paradise“. Ein Hit jagt den nächsten. Oli P. lässt sich nicht lange bitten. „Flugzeuge im Bauch“ kommt gleich als erster Hit und reißt alle mit. Was für ein Hit. Und so viele kreischende Fans in Reihe eins. Oli hat sichtlich gute Laune und präsentiert sich besonders Fan-nah. Auf dem Wellenbrecher lässt er sich feiern und macht mit dem Handy von Fans Selfies als unvergessliche Erinnerung für diese. Ansonsten wird auch ein wenig gecovert. „Tausend mal berührt“. Stört hier niemanden. Textsicher sind die Kinder der 90er. „Ich habe jetzt ein paar Songs gesungen, die gar nicht richtig 90er sind. Aber der Bezug zu den 90ern ist wichtiger.“ Also kommt „Johnny Däpp“. Ballermann Ole!
Eine heimliche Anspielung auf das „Inselfieber“, welches kommendes Wochenende am selben Ort stattfinden wird und wo der Sänger und Schauspieler – bekannt geworden durch die Soap GZSZ – ebenfalls auftreten wird. Die 90er live nimmt immer mehr an Fahrt auf. Insgesamt wird es nicht nur immer voller, der Weg zwischen den Bühnen dauert zunehmend länger, sondern auch die Stimmung immer ausgelassener. Bei Brooklyn Bounce ist es gut gefühlt und das Tanzbein wird in Hardcore Manier geschwungen. Mein Metaller-Herz muss aber auch ganz ehrlich zugeben – das macht richtig Bock! Etwas gediegener und scheinbar mit Seelenruhe steigt Dr. Alban ein, der mit Sängerin zur 90er Live Tour gekommen ist. Erst bei den Klassikern werden die Fans so richtig abgeholt. „It‘s my live“ und „Halleluja“ kennt man halt. Und weiß man auch zu feiern. Schließlich trifft man diese Songs regelmäßig im Radio, in der Disko oder auf zünftigen Dorffesten an. Bei DJ Sash schaffe ich es nur kurz vorbei zu schauen. Captain Jack erwartet schon volle Disziplin auf und vor der MainStage. Mit Tänzerinnen und Backgroundsängerinnen, die ihn Standardgemäß unterstützen, brüllen die Fans „Ey Jo Captain Jack!“. Die Stimmung ist ausgelassen und die ausgeteilten „Captain Jack“ – Fähnchen werden fleißig geschwungen. Der Military-Stil kommt auch nach rund dreißig Jahren gut an. Auf der Running Order steht Pulsedriver. Wenn ich vor der Bühne stehe, bin ich immer wieder überrascht, wie viele Hits ich von den DJs kenne, diese aber nicht den entsprechenden Musikern zugeordnet hätte
Der Staub wird durch die unzähligen tanzenden Beine mächtig aufgewirbelt. Schwarze Haare haben mittlerweile einen grauen Schimmer bekommen und vielleicht knirscht es auch ein wenig zwischen den Zähnen. Aber egal. Wann bekommt man schon so viel 90er und so viel Party live geboten? Mit Aquagen wird es in jedem Fall nur noch voller. „Nein. Wir eskalieren noch nicht.“ Meint DJ Gino. „Wir warten noch ein bisschen“. Alles klar. Aber die Eskalation kommt. „Leute. Ich sehe gerade. Ich hab schon eine halbe Stunde rum. Und ich hab noch keinen einzigen Song von mir gespielt.“ „Ihr seid so leise!“ zählt zu den Songs, die vollkommen aus meinem Bewusstsein gefallen sind. Aber nun, da ich ihn wieder höre, ist es so, als hätte ich das Lied vorgestern erst noch gehört. Bevor Masterboy ihren strahlend positiven Auftritt haben, kommen mit etwas Verzögerung 2Unlimited auf die Bühne um für eine halbe Stunde Klassiker wie „No Limit“ zu performen. „Wir sind eine Originalband.“ Der Sänger von Masterboy forscht in der Menge durch abfragen nach dem durchschnittlichen Alter der Fans. Diese sind richtig textsicher und die Band ordentlich am feiern. Auch Mola kündigt an, dass Masterboy eine Band sind, die noch immer in der selben Konstellation auf der Bühne stehen, wie in den 90er Jahren. In der Tat eher eine Seltenheit im Musikbusiness. DJ Quilsilver ist wohl auch ein Original. Hierhin geht es zwischen Masterboy und Jenny Berggren von Ace of Base. Die Zeit zwischendrin ist für alles leider zu kurz. Ich bin sicherlich nicht die einzige, die sich sehr gerne alles anschauen würde. Aber aufgrund der gesetzten Stage Times funktioniert dies leider nicht. Der Beat von DJ Quicksilver animiert jedenfalls wieder sehr das Tanzbein und lässt mich den Wunsch verspüren hier einfach so weiter machen zu können. Derweil hat sich die Menge auch wieder reichlich ausgedünnt.
Ob viele schon dem Alkohol erlegen sind?! Man weiß es nicht. Alle anderen feiern heftig, munter und fröhlich weiter. Und der Tanzstil vor der Wonderful Days Stage wird immer ausgelassener. Jenny Berggren hat ihren Auftritt auf der MainStage begonnen. Die Sängerin von Ace of Base hat zwei Tänzerinnen und Sängerinnen mitgebracht. Auch hier finden sich wieder viele Fans in der ersten Reihe ein, die textsicher sämtliche Texte mitsingen. Mit Feuer und Konfetti kriegt das ganze noch etwas mehr Glamour und Glitzer. Das Cover „Gimme Gimme“ Von Abba holt dann auch noch den letzten aus der Reserve – der nicht gerade bei DJ Charly Lownoise vor der Bühne am raven ist. Nun fehlt auf der MainStage nur noch der Headliner Vengaboys.
Ich glaube es freuen sich eine Menge Fans auf diesen wilden Party-Auftritt. Allerdings hat das ganze schon reichlich Verspätung und der Überschnitt und die Unsicherheit, wann es tatsächlich los geht, machen es leider nur schwer möglich, zwischen den Bühnen hin und her zu hüpfen. Ein kleines Manko an diesem Tag. Aber dann ist es endlich so weit. Die niederländische Eurodance Band ist für viele Fans der 90er live Tour das Highlight des Tages. Und mir wird einmal mehr in Erinnerung gerufen, wie viele Hits die Band in ihrer 90er Karriere veröffentlicht hat. Auch wenn der Abend nun seinen Höhepunkt erreicht hat, verlassen die Vengaboys nach dreißig Minuten Spielzeit die Bühne wieder. Mola Adebisi und DJ Christian Schall, die den ganzen Tag auf der Mainstage die Change Over Zeiten für gute Stimmung gesorgt haben, verabschieden die Fans zurück in das Jahr 2024.
Fotocredit & Bericht: Sarah Fleischer