Es gibt kaum eine Band, deren Platten ich von morgens bis abends rauf und runter hören kann, ohne dass mir schwindelig wird. Eine der wenigen Ausnahmen ist I Prevail. Doch welches Geheimrezept ist es, dass die Musik der fünf Jungs aus Michigan so besonders macht? Wenn ihr euch diese Frage bis hierhin noch nicht beantworten könnt, dann ja vielleicht am Ende dieser Review. Aller spätestens jedoch, wenn der dritte und langersehnte Tonträger der Band „True Power“ ab dem 19. August bei euch nonstop auf Heavy Rotation läuft. Denn so viel sei gesagt: Wenn ihr schon Fan der Post-Hardcore-Formation seid oder die Vorgänger „Lifeline“ und „Trauma“ zumindest erträglich fandet, werdet ihr „True Power“ mächtig abfeiern.
Doch nun zu dem Wieso, Weshalb und Warum. Die Zeit rund um die Produktion ihres zweiten Albums „Trauma“ war für die Band alles andere als eine Halli-Galli-Drecksau-Party. Denn Sänger Brian Burkheiser kämpfte mit einer schweren Stimmbandverletzung und Shouter Eric Vanlerberghe trauerte um den Tod seines besten Freundes. Lange Zeit wussten die Jungs nicht so recht, wie es weitergehen soll. Doch wie es die glückliche Fügung wollte, brachte Brian seine Stimmband-OP erfolgreich hinter sich, sodass sich die Fünf dazu entschieden, all ihren Herzschmerz in ihrem zweiten Longplayer namens „Trauma“ zu verarbeiten, der 2019 erschien.
Mit „True Power“ begann schließlich ein neuer Abschnitt: „Wenn man dieses Trauma verarbeitet und herausgefunden hat, wie man es kanalisieren kann, hat man ein neues Selbstvertrauen und die Fähigkeit, als Person zu wachsen: man wird wirklich man selbst“, berichtet Brian aus seinen Erfahrungen.
Wenn ihr euch einige Momente Zeit nehmt und „Trauma“ und „True Power“ gegenüberstellt, werdet ihr wahrscheinlich recht schnell merken, dass es euch schwerfällt, die dritte Platte in eine Schublade zu stecken. Denn I Prevail scheint sich beim Songwriting keinerlei Regeln auferlegt zu haben. Die 15 Tracks des Albums sind teils heavy („Body Bag“, „Choke“), teils experimentell („Self-Destruction“), teils poppig („Bad Things“, „Fake“) – oder haben den von der Band bekannten Hauch von Hip-Hop und Elektro („FWYTYK“). Nichts von alldem klingt aber so, als ob jemand versucht hätte, in den Songs auf Krampf Elemente aus den unterschiedlichen Genres unterkriegen zu wollen. Vielmehr klingt es so, als ob die Band sich einfach von ihrem Instinkt leiten ließ – und der scheint es mächtig in sich zu haben:
Nachdem der Countdown im Intro „000“ die große Sause für die Ohren einleitet, warten harmonische Melodien, die sich tagelang ins Hirn brennen, eingängige Riffs und ein abwechselndes Battle zwischen aggressiven, Shout- und gefühlvollen Clean-Vocal-Parts, wie sie nicht besser sein könnten. Hinzu kommen die sehr intimen, teils düsteren, aber mutmachenden Texte, die beim Hören auf ganz besondere Art und Weise berühren.
Beim Songwriting war der zweite Track des Albums „There‘s Fear Of Letting Go“ ein großes Mantra für die Band, wie Sänger Brian erzählt: „Ja, es kann beängstigend sein, Dinge loszulassen, aber es kann dir auch helfen, alles, was dir gehört, zurückzuerobern: und genau das haben wir auf diesem Album getan.“
Gemeinsam mit Produzent Tyler Smyth gelang dem Quintett mit „True Power“ also eine harmonische Reise durch die wilden Klänge der Post-Hardcore-Gefilde, ohne interessante Einflüsse aus anderen Genres achtlos außen vor zu lassen. Neben den vielen eingängigen, treibenden und echt fetzigen Songs ist der letzte Track der Platte „Doomed“ mein persönliches Highlight. Mit einer ruhigen und sehr gefühlvollen Piano-Session gibt der Song dem Album nach der wilden Achterbahnfahrt einen krönenden Abschluss – „until the music stops“.
Tracklist:
- 0:00
- There’s Fear In Letting Go
- Body Bag
- Self-Destruction
- Bad Things
- Fake
- Judgement Day
- FWYTYK
- Deep End
- Long Live The King
- Choke
- The Negative
- Closure
- Visceral
- Doomed
Fotocredit: Adam Elmakias