Am ersten Mai-Wochenende war es wieder so weit und der Sand des Weißenhäuser Strandes färbte sich den Legenden nach schwarz ein – das Plage Noir Festival läutete die Festivalsaison 2022 für den Festivalveranstalter FKP Scorpio ein. Am Freitag und Samstag zelebrierten um die 3300 Gäste des Indoor-Festivals am schleswig-holsteinischen Ostseestrand die schwarze Szene mit einem dunklen Programm aus Konzerten, Lesungen und Fashion-Shows. So oder so schlug das schwarze Herz durchweg höher.
Nach der Warm-Up-Party am Donnerstagabend, stand am 05.05.2022 der erste Festivalabend im Resort des Weißenhäuser Strandes an. Wie wir es schon vom letzten Jahr, vom Rollingstone Beach oder dem Metalhammer Paradies kannten, wurden die vier Bühnen in die Resortanlage eingebettet. So konnte man entweder Tanzwut oder Lord Of The Lost auf der Hauptbühne im eigens aufgebauten Zirkuszelt bejubeln oder zu der Mischung von Deutscher Todeskunst mit elektronischen Parts von Das Ich oder Nachtmahr im Ballsaal zu mittelalterlichen Klängen tanzen. Neben den Attraktionen auf den Bühnen, sorgte das Plage Noire Festival für allerlei Sehenswertes drum herum. Neben vielzähligen Fashionshows und Walks, die für sich in der Galerie ihren eigenen kleinen Programmpunkt bildeten, konnte alternativ über den Mittelaltermarkt oder den Bazar geschlendert werden, die das Gezeigte ausstellten.
Viele weitere modische Accessoires und diverse Modestücke konnten sowohl Mittelalterfans als auch Goths für sich gewinnen. Denn das Publikum ist selbst jedes Jahr ein Highlight und begeistert mit unsterblichen Looks. Bei jedem Fan ist sichtbar, wie viel Liebe und Leidenschaft in das eigene Outfit geflossen ist, und wie sehr man sich mit dem Schwarz identifiziert. Den letzten Höhepunkt am Freitagabend lieferten dann passend dazu der Headliner Subway To Sally. Mit einem furiosen Auftritt verhalf die Band aus Potsdam dem ersten Tag zu einem guten Gelingen. Bei allen diesen Highlights aus dem Festival selbst heraus, wollen wir nicht die einzigartige Kulisse vergessen, von derer Ambiente die hier stattfindenden Festivals profitieren. Denn nach einem kurzen Spaziergang entlang einer Galloway-Weide (wenn man Glück hatte, konnte man die putzigen Giganten am Zaun sogar streicheln!) befand man sich am kilometerlangen Sandstrand wieder. Dazu gab es am Wasser 18°C und kein Regen, sodass einem idealen Sundowner nichts im Wege stand.
Eben jene wunderschöne Szenerie mimt jedes Jahr den Hintergrund für das mittlerweile Tradition gewordene Gruppenfoto am Strand. Am Samstagvormittag bevor das Programm richtig Fahrt aufnahm, trafen sich die Festivalteilnehmenden, um eine große Sonne zu formen. Hier sah man erst, was man zwar bereits vermutete, aber durch den Kontrast zum hellen Sand noch einmal schön akzentuiert wurde, dass wirklich alle einheitlich schwarze Kluft wählten. Mit einem hellgrauen T-Shirt viel man auf wie ein bunter Hund. Allerdings gab es für dieses T-Shirt den guten Grund, dass es mit einem großen MTV-Aufdruck versehen war, denn mit der Lesung von Markus Kavka wartete das Nachmittagsprogramm des Samstages direkt mit einem Paukenschlag auf. Der Musikjournalist und Moderator, der seiner Tage mit MTV/VIVA groß geworden ist, und gab sich die Ehre aus seinem zuletzt erschienenen Buch „Depeche Mode“ vorzulesen. Darin erzählte er, unterstützt von Bild- und Videoaufnahmen, von der Gründung der Band, wie er in seiner Jugend zum Fan geworden ist und wie die Rockband sein Leben begleitete. Von der Cri de la Mouette ging es direkt in Galerie zum zweiten Fashionwalk des Tages. Das Label Your Shape rund um Designerin Sandra Wolf stellte seine neuesten Headpieces vor.
Direkt vom Catwalk, den die Models mit ihren schwindelerregenden Schuhen bravourös meisterten, ging es ins Le Chapiteau. Seit viertel nach fünf standen hier Combichrist auf der Bühne und sorgten für den besten Auftritt des Wochenendes. Zwar hatte die Viererformation am Anfang mit argen Soundproblemen zu kämpfen, doch zu „Get Your Body Beat“ konnte die kräftige Stimmung von Sänger Andy LaPlegua wieder übertragen werden. Mit voller Lautstärke wurde das Zelt und jede*r darin gerockt, sodass man ekstatisch zu den fordernden Drums und Gitarren sprang. Doch nun ging es Schlag auf Schlag wieder zurück ins Hauptgebäude, denn Monstermacher war mit der Tageskreation fertig drei Models mittels Kostüms und Ganzkörper-Bodypainting in die Disney-Bösewichtin Cruella De Vil mit zwei Dalmatinern zu verwandeln. Da durfte natürlich ein ausgedehnter Lauf über das Gelände nicht fehlen. Durch die Haupthalle und die Treppe hoch ging es direkt in den Salle de Fete zu Aesthethic Perfection, die mit einem Intro über Hannover lockten und im Folgenden den Saal in ihrem Bass erzittern ließen.
Das Abendessen muss um 19:15 Uhr noch ein bisschen warten, denn ein Highlight, dem im Vorhinein schon entgegengefiebert wurde, stand an: der Auftritt der 80er-Jahre-Ikone Joachim Witt. Mit seinen letzten Alben wendete er sich eher dem Düsteren zu und präsentierte seine eindrucksvollen Werke. Dabei fiel vor allem auf, wie gerne der mittlerweile 73-jährige mit einprägsamen Wiederholungen arbeitete. Uns konnte zwar nicht jedes Lied wie etwa „Wo blüht der Mohn“ überzeugen, doch war die Präsentation Witts mit dickem Wintermantel und Feeling wirklich nicht mehr die Rede sein konnte bei der düsteren Aura, durfte der berühmte Hit am Ende nicht fehlen. Auch dieser wurde dunkler interpretiert, was dem Mitsingfaktor keinen Abbruch tat. Der nächste Act, In Strict Confidence, brachte vor allem elektronischere Klänge mit ins Geschehen ein, bevor Deine Lakaien das Zelt füllten. Das Duo spielte sehr gefühlsbetonte und sphärische Musik, allen voran das erste Stück, welches sie veröffentlichten. Doch damit sollte es nicht genug sein, und sie kündigten an, alle Songs aus der „Dark Star“-Zeit zelebrieren zu wollen. Das taten sie im Folgenden auch unter einer sehr getragenen und emotional aufgeladenen Atmosphäre, die ihres gleichen suchte. Den großartigen Abschluss markierten anschließend De/Vision sowie Fields Of The Nephilim.
Somit konnte wir wie auch alle übrigen Besucher*innen und die Festivalveranstalter*innen ein erstes Festival im Jahr 2022 genießen, was nicht nur in einer außergewöhnlichen Location, sondern auch endlich wieder ohne Einlassbeschränkungen und Coronamaßnahmen durchgeführt werden konnte. Auf diese Weise fühlte es sich fast wie Feiern vor der Pandemie an. Das kreative und ausdrucksstarke Publikum tat neben den vielzähligen großartigen Programmpunkten sein Übriges, um das Wochenende unvergesslich zu machen.
Fotocredit: Kevin Randy Emmers