Dass für viele Menschen das Wacken Open Air (W:O:A) nicht bloß ein Festival ist, sondern es viel mehr ein Zustand aus Lärm, Schlamm und Gemeinschaft bedeutet, durfte in der letzten Juli-Woche zum 34.ten Mal unter Beweis gestellt worden sein. Bereits seit dem Anreisewochenende strömten mehr als 85.000 Menschen in das norddeutsche Metal-Mekka, um das größte Heavy-Metal-Festival der Welt zu begehen. Die 2000-Seelen-Gemeinde Wacken wurde eine Woche lang zum Epizentrum des Festivalbetriebes und brachte neben einem vielseitigen Rahmenprogramm vor allem laute und rohe Musik auf den Acker. Wie so oft in Wacken wurde das Wetter zum eigenständigen Protagonisten und hielt die Festivalproduktion auf Trab. Vor allem am Dienstag und Mittwoch musste zwangsweise im Regen gefeiert werden.
Mit dem offiziellen Einlass ins Infield um 15:30 Uhr war es endlich so weit: Der „Holy Ground“, der in diesem Jahr von Matsch in allen Facetten verziert wurde, wurde von zahlreichen gut gelaunten Metallheads gestürmt. Schon in den Tagen davor hatten sich die seit Sonntag anreisenden Besuchenden auf den kleineren Bühnen eingegroovt, bevor nun das Herzstück des Geländes seine Tore öffnete. Die Faster, eine der beiden Zwillings-Hauptbühnen, wurde standesgemäß von der italienischen Band Wind Rose eröffnet, welche zum ersten Mal das weitläufige Gelände füllte. Für Alteingefleischte wie für neue Gäste sorgte der erste Anblick für einen beeindruckenden Gänsehautmoment: Ein Meer aus in schwarz gekleideten Menschen, die einheitlich ihre Fäuste im Takt der Musik und unter euphorischem Geschrei reckten. Ein umfassendes Gefühl für Einheit flutete den eigenen Körper und man wusste, dass jetzt das Open Air so richtig begann.
Bands aus aller Welt stellten das mannigfaltige Line-Up, unter anderem die Finnin Tarja. Die Sopranistin war bis 2005 Frontsängerin der Band Nightwish. Solo inszenierte sie einen dramatisch gewählten Einstieg fortgesetzt von Songs wie „Dark Star“ und „I Walk Alone„. Stimmgewaltig zog sie ihr Publikum zunehmend in ihrem Bann, sodass man fast vergaß, dass es unablässig aufs Gelände herabregnete. Die Feuereffekte, die eingebunden wurden, um das opernhafte Metal zu unterstreichen, sorgten nicht nur für visuelle Reize, sondern wärmten sekundenweise das Publikum auf. Viel Bewegung brauchte es auf der Bühne nicht, um den melodischen Gesang zu tragen. Dennoch heizte Tarja immer wieder das Publikum an, indem sie Klatschbewegungen vormachte und Metalhände zeigte. Zwischen den Songs dankte sie mehrfach dem Publikum und ließ sich sichtbar auf die instrumentalen Parts der Show ein und genoss ihre Momente vollkommen. Im zweiten Teil des Auftrittes betrat ihr früherer Bandkollege Marco Hietala die Bühne und trieb die Stimmung mit seinen Saitenschlägen zum finalen Hoch.
Von diesem Moment der Euphorie träumten ebenfalls From Fall to Spring. Die Jungs aus dem Saarland haben mit ihrem Auftritt beste Chancen darauf, denn sie haben sich mit ihrem ersten Wacken-Auftritt bereits ihren Lebenstraum erfüllt – und das nach mehr als 15 Jahren Bandgeschichte. Mit dieser Haltung gingen die sechs Musiker spürbar auf die Bühne und gaben von der ersten Sekunde an alles von ihrer Seele, um den Gig zum besten ihres Lebens zu machen – und das ist ihnen voll und ganz gelungen! Mit ihrem Crossover-Ansatz zeigten sie eine spannende Varianz von Rap zu Growls und verpackten alles in Energie. Zudem ließen sie ebenfalls charmant ihre diesjährige ESC-Erfahrung miteinfließen, denn in diesem Format fehlte es „definitiv an Heavy Metal“. Dementsprechend heavier wurden auch die nächsten Songs des Sextetts inklusive Crowdsurfing und „In the End„-Cover als Hommage an ihre Inspirationsquelle Linkin Park. Damit feierte die Band tatsächlich den Auftritt ihres Lebens, wenngleich das Publikum sich nicht ganz so frei entfalten konnte wie gewohnt. Es gab so viel Bewegung, wie es das matschige Gelände zuließ. „Ohne Schlamm wäre es ja auch langweilig“ spaßte einer der Sänger.

Und recht hatte er, denn schließlich gehörte genau diese Wetterthematik zu Wacken dazu. Alle Anwesenden konnten darüber eigentlich nur müde lächeln, „Wacken!“ rufen und weiter durch den Schlamm stiefeln. Besonders ist, dass trotzdem alle ihre gute Laune beibehalten und die widrigen Umstände irgendwie akzeptiert haben. Das einhellige Wacken-Gefühl verzieh vieles. Nichtsdestotrotz fiel bereits am ersten Tag auf, dass der Matsch viel Bewegungsspielraum einstrich, was sich im weiteren Verlauf des Festivals nicht verbessern sollte. Immerhin hätte man während des Laufens einwandfreien ASMR-Content produzieren können, welcher die gesamte Bandbreite an Matschgeräuschen hätte aufzeigen können. Das Team des W:O:A setzte zudem von Anfang an alles daran der Lage Herr zu werden. Dazu zählten Maßnahmen wie mobile Fahrwege, mehrere Tonnen Holzhackschnitzel sowie eine gezielte Informationskultur. Nichtsdestotrotz.blieb das Wetter das bestimmende Momentum.
Also schnell weiter zur nationalen Riege am Abend, die den matschigen Boden zum Vibrieren bringen wollte. Den Anfang machten Beyond the Black, die mit ihrem Symphonic Metal für Begeisterung sorgten. Für uns ging es an den beiden Hauptbühnen vorbei zur dritten großen Bühne im Bunde, die Louder. Dementsprechend haute es um Punkt 21 Uhr dementsprechend laut in die Saiten, sodass die Wartenden regelrecht zusammenzuckten. Es folgte jede Menge grüner Rauch, der verdächtig nach Silvester roch. Aus dem Rauch stieg Deine Cousine hervor, die mit einer Liebeshymne an den Hamburger Stadtteil St. Pauli ihren Auftritt einläutete. In „Go Fuck Yourself“ nahmen die Musiker*innen die Zuschauenden mit auf eine emotionale Fahrt zwischen Wut und Verbundenheit, ganz Deine Cousine. Darauf folgte ein Tribut an den kürzlich verstorbenen Ozzy Osborne mit Ina Bredehorn am Piano, welches von vier Grabkerzen geschmückt wurde. „Dreamer“ erklang übers Festivalgelände. Wie es sich gehörte, wurde das Set mit einer klaren Kante gegen Rassismus, Diskriminierung, Sexismus und Hass in Form einer cool gemachten Ansage zu Ende gebracht. Die Ehre den Abend gelungen abzurunden oblag in der Folge Saltatio Morris, die ihr 25-jähriges Bestehen mit einer besonderen Jubiläumsshow feierten.
Die weitere Nacht würde jäh gegen halb zwei unterbrochen. Per Lautsprecherdurchsage wurde von einem heranziehenden Unwetter gewarnt. Dementsprechend galt die Evakuierung ins Auto. Zum Glück zog das Gewitter vorbei und ließ das W:O:A unbeschadet zurück, sodass nach einer Dreiviertelstunde bereits wieder Entwarnung gegeben werden konnten. Wenn mehrere Lautsprecher sich jedoch überlagerten erinnerte das ganze zwischendurch mehr an einen Horrorfilm. Zum Glück war damit die erste Aufregung gemeistert und man schaute gespannt auf die nächsten Tage, die in Bezug auf das Wetter Besserungen versprachen. Nichtsdestotrotz blieb es ungewöhnlich, dass lokale Zellen sich so schnell in dieser Region aufbauen konnten, wie ebenfalls die Festival-Meteorologin bestätigte. Es bleibt spannend in Wacken.

Fotocredits: Kevin Randy Emmers