Nachhaltiges Touren: So gelingt Green Touring für Künstler und Bands
Tourneen sind das Herzstück eines jeden Künstlers – sie verbinden Musikerinnen direkt mit ihrem Publikum und schaffen unvergessliche Erlebnisse. Doch der ökologische Fußabdruck von Tourneen ist erheblich: von energieintensiven Bühnenshows über lange Transportwege bis hin zu Unmengen an Einweg-Plastik. Die gute Nachricht? Immer mehr Künstlerinnen, von Superstars wie Coldplay bis hin zu Newcomern, zeigen, dass es auch anders geht. Green Touring ist kein Trend, sondern eine Notwendigkeit – und bietet gerade jungen Künstler*innen die Chance, von Anfang an nachhaltige Praktiken in ihre Karriere zu integrieren.
Green Touring in Aktion: Vorbilder und Initiativen
Coldplay hat mit ihrer „Music of the Spheres“-Tour neue Maßstäbe gesetzt. Die Band aus UK hat es geschafft, ihre direkten CO₂-Emissionen im Vergleich zur letzten Stadiontour (2016–17) um 59 Prozent zu reduzieren. Neben dem Einsatz erneuerbarer Energiequellen wie Solarinstallationen, kinetischen Böden und Fahrrädern, die zusammen pro Show etwa 15 kWh Strom erzeugen, werden alle nicht vermeidbaren Emissionen kompensiert. Für jedes verkaufte Ticket wird zudem ein Baum gepflanzt in der Kooperation mit der Organisation One Tree Planted – vermutlich zum Schluss über 10 Millionen weltweit.
Auch im Bereich der Abfallreduktion setzt Coldplay neue Standards: 72 Prozent des Abfalls wurden von Deponien ferngehalten, und LED-Armbänder, die während der Shows genutzt werden, bestehen zu 80 Prozent aus recycelten Materialien, mit einer beeindruckenden Rücklaufquote von 86 Prozent. Selbst Fans werden aktiv eingebunden: Wer umweltfreundlich anreist, beispielsweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Fahrgemeinschaften, erhält Rabatte auf Tickets.
Aber natürlich gibt es auch für kleinere Bands gut umsetzbare Maßnahmen. Die Berliner Agentur The Changencyrund um ihre Gründerinnen Sarah Lüngen und Katrin Wipper ist einer der Vorreiter im Bereich nachhaltiger Konzert- und Tourorganisation und zeigt eindrucksvoll, dass Umweltbewusstsein und Musikbusiness kein Widerspruch sein müssen. Gegründet mit dem Ziel, die Musikindustrie klimafreundlicher zu gestalten, berät The Changency Bands und Festivals in Sachen Emissionsreduzierung, klimaneutrale Eventplanung und nachhaltige Produktion. Das Unternehmen arbeitet mit namhaften Acts wie SEEED, AnnenMayKantereit, Milky Chance, Die Ärzte, Mayberg und vielen mehrzusammen, um nachhaltige Konzepte von der Logistik bis hin zum Catering in den Touralltag zu integrieren. Dank ihrer wissenschaftlichen Analysen und individuellen Nachhaltigkeitsstrategien konnten zahlreiche Konzerte bereits umweltschonender gestaltet werden. Neben der Optimierung von Tour-Routen und dem Einsatz umweltfreundlicher Transportmittel setzt The Changency auf regionale Kooperationen, um nachhaltige Catering- und Merch-Alternativen zu fördern. Ihr Credo: Nachhaltigkeit muss kein Hindernis sein, sondern kann für Künstler*innen und Fans gleichermaßen ein inspirierendes Erlebnis werden. Weitere Initiativen wie das Green Touring Network bestätigen die steigende Relevanz dieses Themas im internationalen Musikmarkt.
So wird Green Touring möglich
Künstler*innen haben eine einzigartige Plattform, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen – nicht nur durch ihre Songs, sondern auch durch ihre Handlungen. Nachhaltigkeit auch im Live-Geschäft zu leben, zeigt, dass sie ihre Verantwortung ernst nehmen und inspiriert im besten Fall ihre Audience, selbst aktiv zu werden. Jede Fan-Entscheidung, vom Kauf von Merch bis zur alternativen Anreise, trägt zum Klimaschutz bei. Hier einige praktische Tipps:
1. Nachhaltig starten und darüber sprechen
Es beginnt alles mit dem Willen, eine Veränderung anzustoßen. Milky Chance gehen mit gutem Beispiel voran und setzen das Thema Nachhaltigkeit konsequent um. So lässt die Band nachhaltigen Merch produzieren, verschickt einen Green Rider an die Promoter und vor allem: Sie sprechen über das Thema in den Medien. So werden ihre Fans, die Industrie und andere Bands auf mehr Nachhaltigkeit im Musikgeschäft aufmerksam und dafür sensibilisiert.
2. Smartes Tour-Routing nutzen
Eins ist offensichtlich: Sofern möglich, sollte eine Tour geografisch logisch aufeinander aufbauen. Je nach Größe und Relevanz der jeweiligen Band für den jeweiligen Markt, sollten sich alle Beteiligte (Booking, Management, Promoter und Band) für das Routing entsprechend abstimmen, um keine unnötigen Reisewege und damit Emissionen zu verursachen. Besonders Fly-In-Shows, also Konzerte, für die Band & Crew extra einfliegen muss, sollten nach Möglichkeit vermieden werden.
Die Wahl des Transports von Band, Crew und Produktion hat ebenso erheblichen Einfluss auf die Umwelt. Bei Solo-Künstler:innen ist es eine gute Überlegung, einfach mit der Bahn zu fahren und den Van stehenzulassen. Oder man wechselt auf einen nachhaltigen Antrieb: Coldplay verwendet beispielsweise erneuerbaren Diesel, der die CO₂-Emissionen um bis zu 95 Prozent reduziert.
3. Abfall reduzieren
Einweg-Plastik im Backstage-Bereich lässt sich leicht durch wiederverwendbare Flaschen ersetzen. Die Toten Hosen kooperieren in diesem Fall schon jahrelang mit der Hamburger Organisation Viva Con Agua, die vor Ort auf Konzerten und Festivals das Pfand der Gäste sammelt und für Zugang zu sauberem Wasser in bedürftigen Gebieten einsetzt. Auch im Catering sollte nach Möglichkeit nicht mit Plastikbesteck, sondern besonders bei großen Produktionen mit wiederverwendbaren Materialien gearbeitet werden. Ein wiederbefüllbarer Wasserspender im Catering mindert das Problem der Plastikflaschen.
4. Nachhaltiges Merchandise anbieten
Klar, Merch gehört immer dazu. Doch es ist nicht egal, von welchem Anbieter es produziert wird. Denn dieser Posten ist riesig: Weltweit werden schätzungsweise bis zu 11 Milliarden Euro an Musik-Merchandise umgesetzt. Die Wichtigkeit, hier fair, transparent und sustainable aufgestellt zu sein, erkennen die Profis. Jack Johnson verkauft Merch, der ausschließlich aus nachhaltigen Stoffen besteht, und verwendet biologisch abbaubare Verpackungen. Coldplay plant sogar, Vinyl-Schallplatten aus recycelten Plastikflaschen zu produzieren. Ein paar Anbieter für nachhaltiges Merchandise sind beispielsweise Sustain oder Das Merch.
5. Energie sparen bei Bühnentechnik
Der Einsatz energieeffizienter LEDs und erneuerbarer Energiequellen senkt den Stromverbrauch. LED-Lampen verbrauchen bis zu 90 Prozent weniger Strom bei gleichbleibender Lumen-Strahlkraft. Die kanadische Band Arcade Fire verwendet für ihre Konzerte Solarpanels, um Bühnenlichter zu betreiben, und optimiert ihre Shows für geringeren Energieverbrauch. In England werden LED-Lampen eingesetzt, um auf Festivals bis zu 25 Prozent weniger Energie zu verbrauchen. Jede einzelne ausgetauschte Glühlampe erwirkt also einen unmittelbaren, nachhaltigen Unterschied.
6. Fans einbeziehen
Zu guter Letzt: Bewegt euer Publikum zum Mitmachen – zum Beispiel durch Rabatte für Fahrgemeinschaften, das Nutzen öffentlicher Verkehrsmittel oder einfach eine transparente Kommunikation über Social Media, um eure Fans zu inspirieren und Teil eurer Aktionen werden zu lassen. Haltet eure Ergebnisse fest und trackt euren Fortschritt. Massive Attack kooperierte mit Wissenschaftler:innen des Tyndall Centre for Climate Change Research, um den CO₂-Fußabdruck von Konzerten zu analysieren und ihre Fans für umweltfreundliche Anreisemöglichkeiten zu sensibilisieren, nachdem The Changency ihnen das Projekt mit AnnenMayKantereit als Vorlage geschickt hatten. Zusammen mit AnnenMayKantereit wurde das Projekt “Ticket To Ride” umgesetzt, bei dem eine nachhaltige Publikums-Anreise bei Grossveranstaltungen untersucht wurde.
Eure Fans sind der beste Multiplikator für eure grünen Ideen und setzen sich in vielen Fällen fortlaufend auch weiterhin für ein nachhaltiges Morgen ein: zu Hause, in der Familie oder im Job. Ein Triple-Effekt, die ihr angestoßen habt. Ziemlich cool, oder?
Das Einsparpotenzial im deutschen Musikmarkt
Jetzt gilt es zu handeln, denn das Potenzial ist riesig: allein in Deutschland könnten jährlich über 50.000 Tonnen CO₂ eingespart werden – das entspricht den Emissionen von mehr als 10.000 durchschnittlichen Haushalten. Künstler*innen, Veranstalter und Fans haben gemeinsam die Möglichkeit, den Wandel aktiv mitzugestalten. Green Touring ist nicht nur eine Verantwortung, sondern auch eine Chance, die Musikbranche langfristig klimafreundlicher aufzustellen. Nun liegt es an euch, diese Maßnahmen umzusetzen und Teil der Lösung zu sein.
Foto: Projekt Ticket To Ride – nachhaltige Publikumsanreise bei Großveranstaltungen
Credits: Lenny Rothenberg
Text: Sebastian Wittag