In ihrem zweiten Album „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ offenbart die Band Sperling eine tiefe Reflexion über persönliche Herausforderungen und Sinnsuche in einer unsicheren Welt. Mit einem eindringlichen Blick auf ihre musikalische Reise und die Entstehung dieses bedeutenden Werkes, gewährt uns die Band Einblicke in ihren Schaffensprozess und die emotionale Tiefe hinter ihren Liedern. In diesem Interview mit uns teilen sie ihre Gedanken über den musikalischen Meilenstein, den Einfluss ihrer Erfahrungen und Zusammenarbeit mit anderen Künstlern sowie die tiefgreifenden Themen, die sie in ihrem Album ansprechen.
Frontstage Magazine: „Menschen wie mir verzeiht man die Welt oder hasst sie“ repräsentiert euer zweites Album. Wie fühlt es sich an, diesen musikalischen Meilenstein zu erreichen?
Sperling: Natürlich sind wir stolz hier angekommen zu sein und sind super dankbar für alles, was wir bisher erleben durften. Wir waren viel unterwegs, haben viel gespielt, viel gesehen und so viele großartige und interessante Menschen getroffen, von denen ja sogar zwei auf dem Album gelandet sind. Es ist auch nicht unbedingt selbstverständlich sich als Band, und als Freunde, nach der vielen Zeit auf Touren und Shows, noch so gut zu verstehen und Bock auf das zu haben, was man macht! Das geht auch nur durch alle, die unsere Musik entdecken und sich darin wiederfinden! Gerade seit dem ersten Album haben wir viele Menschen erreichen können und wir bekommen immer wieder emotionale, ehrliche Nachrichten von Menschen, die uns sagen, dass sie die Musik und Texte nachfühlen! Deshalb ist auch immer ein wenig Druck da, vor allem aber von innen, weil man auch hohe Erwartungen an sich hat und hofft, dass alle die sich aufs Album freuen, auch abgeholt werden! Man verbringt in der ganzen Produktionszeit und Planung, wahnsinnig viel Zeit damit, sich mit den Songs, dem Album, Artworks, etc auseinanderzusetzen. Je nach Emotion, Situation und Stimmung hat man auch eine unterschiedliche Sicht auf die Musik. Man verliert sehr schnell den Abstand und bewertet die eigene Kunst ganz anders (meistens kritischer) als andere. Daher sind wir auch sehr aufgeregt und gespannt, freuen uns aber mega, die Songs endlich veröffentlichen zu können und zu sehen, was damit passiert.
Frontstage Magazine: Euer Debütalbum „Zweifel“ war ein großer Erfolg. Inwiefern hat dieser Erfolg eure Herangehensweise an die Musikgestaltung für „Menschen wie mir“ beeinflusst?
Sperling: Wir wissen nicht, ob es direkt einen musikalischen Einfluss hat. Wir machen das, was uns am meisten Bock macht, und haben das Glück damit Leute zu erreichen, die das genauso lieben und die Texte nachfühlen können. Das ist eine krasse Bestätigung und beflügelt das, was wir machen. Die Musikgestaltung hat sich trotzdem mit der Zeit verändert. Bei der Produktion der ersten Platte waren unsere persönlichen Umstände und Situationen andere als bei der zweiten Produktion. Zum Beispiel haben wir zu der Zeit noch alle im Hunsrück gewohnt, konnten regelmäßiger proben und alle waren in ihrer privaten Zeitgestaltung noch sehr viel freier. Dadurch sind Songs auch eher im Proberaum entstanden und erst später mit dem Plan ein Album zu machen, zu „Album-Tracks“ geworden. Bei der musikalischen Produktion des neuen Albums war jedoch ein gezielter Zeitraum gesetzt, in welchem die Songs geschrieben und produziert sein sollten. Wie das aber oft so ist, sind diese zeitlichen Pläne nicht ganz einfach einzuhalten, zumal auch immer wieder etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommen kann. Bei der Vorproduktion in Mannheim im Proberaum kam es zum Beispiel dazu, dass Josh und ich zu unterschiedlichen Zeiten krank geworden sind und in der Zeit nicht aktiv am Prozess beteiligt sein konnten. Dadurch geriet die Planung durcheinander und man verliert Zeit. Wir hatten zwar viele Arrangements fertig, jedoch die meisten ohne ausgearbeitetes Cello. Das hat ebenfalls sehr viel Zeit in der Vorproduktion in Anspruch genommen – sogar so viel, dass Malte seine Gitarren erst nach der regulären Studiozeit aufnehmen konnte. Die Produktionsphase hat aber trotz wahnsinnig viel Spaß gemacht und auch der Druck, den man von innen (und manchmal auch außen) verspürt, gehört eben dazu. Und treibt einen auch an.
Frontstage Magazine: Das Album reflektiert eine intensive Sinnsuche. Wie habt ihr versucht, diese kathartische Reise in eurer Musik einzufangen?
Jojo: Die Musik wie auch die Texte erzählen natürlich viel von inneren Konflikten und dem Gefühl auf der Stelle zu laufen, ohne etwas dagegen tun zu können. Ich glaube, dass eben diese Sinnsuche für viele dieser Emotionen sorgt. Man fühlt sich schnell überwältigt und überfordert, und hat dabei den Eindruck zu stagnieren. Das Album erzählt aber nicht nur von Hoffnungslosigkeit, im Gegenteil, es hat immer auch etwas Tröstendes und Hoffnungsvolles. Obwohl es die Sinnfrage, nach irgendwas, nicht erklären oder beenden kann, setzt es sich doch trotzdem damit auseinander und zeigt zumindest, dass niemand mit dem Gefühl allein ist, sondern sich noch ganz viele andere damit rumschlagen müssen.
Ich denke vor allem der 3. Song auf dem Album „November“ setzt sich viel mit Sinnsuche und gerade auch Sinnlosigkeit auseinander und behandelt einhergehende Emotionen wie Einsamkeit und Selbstzweifel. Das Album beschreibt oft das Gefühl, auf einer Suche zu sein. Auf einer Suche nach Erfolg, Liebe oder aber auch oft nach sich selbst. Leider habe ich sehr oft das Gefühl, gerade an dieser Herausforderung zu scheitern, bevor ich richtig damit beginnen kann. Auch das Gefühl Ohnmächtig und hilflos zu sein fördert dieses Gefühl und verstärkt die Stagnation nur noch mehr.
Frontstage Magazine: Die Zusammenarbeit mit Künstlern wie Being As An Ocean und Blackout Problems bringt neue Dimensionen in eure Musik. Wie habt ihr diese Kooperationen erlebt und was haben sie eurem Sound hinzugefügt?
Sperling: Wir haben mit Being As An Ocean im November 2022 eine Europatour gespielt, die wahnsinnig viel Bock gemacht hat, aber natürlich auch viel Zeit zum Kennenlernen gegeben hat. Das sind alles superliebe Jungs und mit ihnen unterwegs zu sein, auch als erste Tour für uns, war eine richtig coole Erfahrung. Der Song „Meer“, der dann mit Joel von BAAO auf dem Album gelandet ist, ist tatsächlich auch auf eben dieser Tour entstanden, ohne, dass wir da schon den Plan hatten eine andere Band mit ins Boot zu holen. Da der Song aber stilistisch dann so gut gepasst und von Joel mit seinen Vocals und seiner Art zu singen so gut ergänzt wurde, war für uns klar, dass wir Joel dafür fragen. Auch mit Mario und den restlichen Blackout Problems haben wir vorher schon ein sehr gutes Verhältnis und waren einige male auf Shows zusammen und haben sogar zusammen mit MUNICH WAREHOUSE einen Weihnachtspulli rausgebracht.
Die Szene der Musik wie wir sie machen, ist in Deutschland dann doch so winzig, dass man sich immer wieder über den Weg läuft und irgendwie in Kontakt bleibt. Wir hatten 2021 nach unserem Album ZWEIFEL den Song ANGST in Duisburg mit Beray produziert. Schon damals fanden wir den Stil der Blackout Problems sehr cool und Marios Stimme sehr besonders, und wollten ihn gerne auf einem Song haben. Wir waren damals auch in Kontakt mit ihm und haben sogar schon Demos und Parts hin und hergeschickt, es war dann aber (wie so oft) Zeitlich doch leider so eng, dass wir nichts mehr produzieren konnten, mit dem alle happy gewesen wären. Wir hatten den Song DIE KLEINE ANGST ohne Refrain und ohne Titel fertig und wirklich nicht mehr viel Zeit, bevor wir ins Studio gingen, wollten aber unbedingt noch jemanden mit dabei haben den wir gerne mögen und der einen coole Stil mit in den Song bringt und genau das macht Mario auch. Durch seine sehr einzigartige Stimme und Art zu schreiben hat er dem Song genau das gegeben was noch gefehlt hat – und durch seine Lyrics dann letztlich sogar den Songtitel gegeben!
Frontstage Magazine: Auf dem Album zeigt ihr eine verstärkte Selbstreflexion. Wie hat sich euer Schreibprozess im Vergleich zu „Zweifel“ geändert?
Jojo: Malte hat die Musik und die Arrangements zum größten Teil geschrieben, im Studio passiert natürlich immer noch etwas an den Songs, und die Texte habe ich diesmal zum größten Teil über die fertige Musik geschrieben. Bei der Aufnahme zum letzten Album sind viele Songs gemeinsam im Proberaum entstanden, durch Jammen oder einfach Musik machen und Sachen ausprobieren. Auch Texte habe ich meistens ohne Vorlage oder Demo geschrieben, und dann später sind die Songs eher darum herum entstanden. Es hat sich seitdem nicht nur in der Band – sondern auch in unseren Privatleben viel verändert. Wir sind in unterschiedliche Städte gezogen, wohnten nicht mehr so nah beieinander und konnten uns dementsprechend seltener treffen. Außerdem gehen wir alle noch arbeiten, wodurch sowieso wenig Zeit für alles ist. Daher hat es sich einfach so ergeben, dass Malte viel zuhause geschrieben hat. Die meisten Demos und Arrangements kommen von ihm und sind dann im Studio ausgearbeitet worden. Die Texte habe ich dann meistens auf die fertigen Tracks geschrieben. Das hatte für mich den großen Vorteil, vom ersten Ton an, in eine gewisse Stimmung zu kommen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Emotionen er ausdrücken soll. Das hat großen Spaß gemacht und auch gut funktioniert. Malte und ich haben uns dann oft zu zweit getroffen und Songs aufgenommen. Der Song „WACH“ zum Beispiel ist aus einer dieser kleinen Sessions entstanden. Das Ganze hatte leider den Nachteil, dass nicht alle in gleichen Teilen in den Schreibprozess involviert waren, da jeder seine eigenen Aufgabenbereiche hat. So gab es zum Beispiel irgendwann 10 verschiedene Ordner mit einzelnen Songparts, und erst ein paar Tage vor der Vorproduktion haben alle zum ersten Mal das ganze Album gehört.
Frontstage Magazine: Die Themen des Albums spiegeln die Herausforderungen einer zunehmend unsicheren Welt wider. Wie habt ihr versucht, diese Unsicherheit musikalisch zu verarbeiten?
Sperling: Es handelt natürlich vor allem von innerer Unsicherheit. Es geht um Selbstzweifel und die Frage, ob man sich gerade auf dem richtigen Weg befindet. Auch Überforderung und das Zurechtkommen – oder vielmehr das Nichtzurechtkommen mit sich selbst, wodurch dann wieder andere Menschen, Freundschaften und Beziehungen leiden. Wir glauben auch, dass man sich selbst viel Druck macht, der sich wie Druck von außen anfühlt. Es ist kein Geheimnis, dass vor allem auf Social Media Plattformen ein Erfolgs- und Schönheitsideal verbreitet wird, dem man in der Regel gar nicht gerecht werden kann. Dadurch schleicht sich schnell das Gefühl ein, allein mit seiner Unsicherheit zu sein. Ich glaube auch, das ist etwas, was Menschen in unserer Musik wiederfinden.
Frontstage Magazine: „Meer“ und „November“ sind nur zwei Beispiele für die tiefgehenden Songs auf dem Album. Wie habt ihr versucht, die emotionale Tiefe in eurer Musik zu vermitteln?
Jojo: Die Songs sind natürlich emotional und beschäftigen sich viel mit mir und meinen Gedanken und auch inneren Konflikten. Ich denke, die Emotionen kommen viel durch die persönlichen Texte, aber auch durch die musikalische Struktur. Das Cello und die verschiedenen Sounds tragen durch das Album, verändern sich aber ständig und sind eben je nach Song mal traurig, mal aber auch hoffnungsvoll und tröstend. Der Song „Meer“ zum Beispiel handelt vor allem von einer Sinnsuche und einem Gefühl, nicht voranzukommen – bzw. niemals anzukommen. Die Hürde vor einem ganzen Meer zu stehen und es durchqueren zu müssen, scheint unmöglich. So gibt es im Leben und im Alltag immer wieder Phasen, in denen alles zu schwer scheint und Ziele unmöglich zu erreichen sind. Das Gefühl stetig auf der Stelle zu laufen und nicht weiterzukommen, löst in mir sofort eine Art Ohnmachtsgefühl aus, und ich fühle mich wie lahmgelegt. Der Song „November“ ist eher eine Collage aus Gedanken und Emotionen, die ich in dem Jahr und den Monaten vor der Produktion hatte. Die habe ich immer wieder aufgeschrieben – mal mit düsteren Gedanken, manchmal auch hoffnungsvoll – und dann zu einem Text zusammengefügt. Als ich die Demo zu „November“ gehört habe, hat sich gleich wieder diese Emotion eingestellt, und da wusste ich auch, welche Geschichte der Song erzählen soll. Auch hier geht es viel um Selbstzweifel, Unsicherheit und den Auseinandersetzungen, die man oft mit sich selbst hat. Mit ein wenig Abstand sieht das alles nicht mehr so schlimm aus, und ich bin sowieso sehr gut im Schwarzmalen – ich weiß aber, dass solche Situationen immer wieder kommen und mich schnell wieder handlungsunfähig machen können.
Frontstage Magazine: Das Album endet mit einer Mischung aus Emotionen. Was möchtet ihr eurem Publikum mit dem Album vermitteln?
Jojo: Die Texte und Songs erzählen viel von eigenen Schwächen und einem Gefühl, nicht weiterzukommen – und auch nie richtig anzukommen. Ich glaube, das ist etwas, was viele nachvollziehen können, die unsere Musik entdecken und sich darin wiederfinden. Ich habe oft das Gefühl, mit meinen Problemen allein zu sein, obwohl ich rational gedacht natürlich weiß, dass es vielen anderen genauso geht. In dem Moment steckt man aber doch so tief in seinen Gedanken, dass man nichts um sich herum wahrnimmt. Das Album erzählt auch viel von inneren Konflikten und davon, dass ich mit mir selbst nicht zufrieden bin – ja, eigentlich nicht mal zurechtkomme. Wenn man mit sich selbst nicht umgehen kann, fällt es einem in der Regel genauso schwer, mit anderen umzugehen. Darunter leiden andere Beziehungen und Freundschaften. Ich habe wahnsinnig viel Angst, die Mitmenschen, die mir sehr wichtig sind und mir viel bedeuten, dadurch zu verlieren. Auch das wird im Album viel thematisiert und beschreibt quasi den Albumtitel „MENSCHEN WIE MIR VERZEIHT MAN DIE WELT ODER HASST SIE“. Es soll aber nicht nur erzählen, wie schlimm alles ist und wie traurig ich bin. Es soll auch ganz viel Hoffnung mit auf den Weg geben und eigentlich ein tröstendes Album sein. Vor allem Songs wie „LUFT“ und „100 TONNEN KUMMER“ erzeugen diese Emotion, wie es sich anfühlt, aus einer schweren Phase auszubrechen und wieder frei atmen zu können. Es erzählt von Beziehungen, Freundschaften, von Problemen und fehlenden Lösungen, Stagnation aber auch Motivation. Es soll zeigen, dass es okay ist, sich schlecht zu fühlen. Es ist okay, wenn du dir gerade selbst im Weg stehst und nicht weißt, wo du hingehörst. Es soll auch zeigen, dass man nicht immer eine Lösung suchen muss, manchmal gelingt es einem auch Abstand zu gewinnen, Dinge hinter sich zu lassen und dadurch zu erkennen, dass alles nicht so aussichtslos ist, wie man denkt.
Fotocredit: Crankmerino