Nach 20 Jahren ist es nun leider so weit und Sunrise Avenue gehen in den wohlverdienten Rock-Ruhestand. Die Finnen beenden ihre gefeierte Karriere, die 2006 mit dem Durchbruch „Fairytale Gone Bad“ startete, und sagen nun mit ihrer Abschiedstournee „Thank You For Everything“. Von 17 Stationen ihrer The Final Tour 2022 durch Finnland, die Schweiz, Österreich und Deutschland fielen Hamburg zwei Termine im August zu. Besonders am zweiten Abend sorgte die Band für viele emotionale Gänsehautmomente und spielte ein gutes Konzert, um Abschiede zu feiern.
Eingeläutet wurde der Abend vom ebenfalls finnischem Support Cyan Kicks, die um Frontfrau Susanna Alexandra versuchten mit ihrem Electronic Modern Rock zu begeistern. Dabei war der Sound durchaus etwas härter als der von Sunrise Avenue, die von ihren Fans für ihre Rock-Balladen verehrt werden. Trotzdem machte die Vorband ihre Sache gut und setzte vor allem mit dem rockigeren Cover von „Rockabye“ ein erstes Highlight. Nach der Umbaupause startete das Intro zunächst mit dem Song „Wellerman“. Darauf folgte dunkle Stille, in der die Aufregung und Vorfreude der hauptsächlich weiblich gelesenen Fans förmlich greifbar war. Schon in diesem Trailer ließen Sunrise Avenue keinen Zweifel daran, dass sie sich eine stimmungsintensive Inszenierung rund um ihren Abschied aus dem aktiven Musikgeschäft überlegt haben. So erzählte Frontsänger Samu Haber sinngemäß „There is no tomorrow. Just this moment. Here and now. This is the end.”. Dieses Motiv zog sich selbstverständlich durch die folgenden circa zwei Stunden Spielzeit bis zum großen Applaus durch. Immer wieder begleiteten uns die emotionalen Einspieler mit denen sich die fünfköpfige Band verabschiedete. Wenngleich die Texte teilweise an der Grenze zum Pathetischen kratzten, konnte man sich der geballten Emotionalität des Konzertes wirklich nur schwer entziehen.
Für dieses tiefe Gefühl der Verbundenheit sorgten sowohl die Musiker als auch das Publikum selbst. Durch die geteilte Übertragung der Videoleinwand, konnte man sehen, dass den Bandmitgliedern deutlich ins Gesicht geschrieben stand, wie bewegt sie waren, und wie sehr sie diese Augenblicke in der Hansestadt genossen. Vor allem Samu nickte immer wieder sehr bestätigend und wissend, dass fraglos war, dass die Zuschauenden Zeug*innen vom Ende einer beispiellosen Rock-Ära wurden. Denn mit dem permanenten Wechsel zwischen dem, was die Band ausmacht, also rockigeren Titeln und Balladen brillierte die Musikgruppe immer wieder. Normalerweise ist so ein Unterfangen immer recht heikel, da es Gefahr läuft letztendlich keine der beiden gewünschten Stimmungen zu erzeugen. Doch Sunrise Avenue schalteten problemlos wie gewünscht um und schufen ausnahmslos flüssige Übergänge. So gelang beispielsweise der Übergang vom umjubelten „Heartbreak Century“, das erstmalig für ein Stimmungshoch sorgte, spielend leicht zu „Beautiful“, welches vom gleichen Album etwas mehr Gefühl erforderte. Insgesamt stammten ein Drittel der Setlist aus diesem Album „Heartbreak Century“ aus dem Jahre 2017.
Doch egal, ob der Titel nun „Afterglow“ oder „Forever Yours“ lautete, welche auch direkt aufeinander folgten, das Publikum war komplett textsicher. Da Sunrise Avenue sich einer vorrangig weiblich gelesenen Anhängerschaft erfreuen dürfen, bildete sich ein wunderschöner Chor, welcher die Band unnachlässig begleitete. Somit konnten die Fans Samu passagenweise ganz ersetzen und erfüllten die Barclays Arena mit genauso schönen Klängen. Neben diesem stimmigen Einsatz der Fans, sorgte die Band immer wieder für ihre schöne Inszenierungen. So benutzten die drei Spieler der Seiteninstrumente regelmäßig den aufgebauten Steg weg von der hervorragend beleuchteten Hauptbühne hinein ins Publikum. Auf diese Weise hatten auch Gitarrist Riku Rajamaa und E-Bassist Raul Ruutu ihre Momente. Letzterer glänzte beim Auftakt zur neuen Auflage von „Forever Yours (2022 Version)“. Wenngleich dies sehr passend war, hätten sich wohl manche, uns eingeschlossen, über die gängige oder sogar akustische Version des Hits noch ein bisschen mehr gefreut. In den nächsten Songs wechselnden sich freudige Stimmung und Emotionalität wieder sehr stark ab: während „Lifesaver“, „I Can Break Your Heart“ und „I Help You Hate Me“ zum begeisterten Mitklatschen oder sogar „2,3,4,hey“-Rufen animierte, waren „Home“ sowie „Little Bit Love“ bewusst mit Zwischentrailer emotionaler aufgeladen. Samu stellte in weiteren Ansagen zudem noch einmal deutlich heraus, wie angetan er von Hamburg ist und nach dem ersten Termin am Dienstag noch zwei Stunden durch die Stadt Motorrad gefahren sei. Zudem teilte er Anekdoten über die ersten kleinen Clubshows und den Menschen, denen sie begegneten. Eine davon war seine gute Freundin, die mittlerweile seine Jeansjacken in Handarbeit fertigt. Das Rückenstück des heutigen Exemplars zierte dementsprechend eine Ansicht der Großen Freiheit 36. Als er später besagte Jacke ins Publikum am Ende des Steges warf, gab es kurz eine tumultartige Szene, weil jede das Kleidungsstück sehnlichst haben wollte.
An dieser Stelle sollte kurz Erwähnung finden, dass das Ende des Steges eine andere Ticketkategorie bildete als der Bereich unmittelbar vor der Bühne weiter vorne. Für diesen sogenannten „Golden Circle“ hätte es Extratickets gebraucht, die im Vorverkauf rasant schnell ausverkauft waren. In der Halle blieb es dafür in Rängen und dieser obersten Ticketkategorie erstaunlich leer. Anscheinend wurden kurzfristig eine große Anzahl von Karten zurückgegeben, sodass es sogar noch eine Abendkasse für Kurzentschlossene gegeben hätte. Gelohnt hätte es sich alle Mal, da die Finnen zum großen finalen Endakt ansetzten. Am Ende von „Welcome To My Life“ fand sich das Trio versammelt vorne am Steg ein und legte eine Rockstar-Performance hin. Diese Energie in Verbindung mit dem Applaus wurde direkt für „Question Marks“ genutzt, bevor sich während „Point Of No Return“ alle Euphorie in Springen auflöste. Sympathische Outtakes kündigten die Zugabe an, die seitens des Pianisten Osmo Ikonen hoch emotional eröffnet wurde. Er spielte ein umwerfendes Solo umflutet von lilafarbenem Licht und getragen vom Publikum, bevor dann das Lied „Fairytale Gone Bad“ akustisch angestimmt wurden. Die nachfolgenden Minuten waren ein Genuss für jeden Sunrise Avenue Fan und wohl die besten unserer Woche. Nach dem fulminanten Ende von „Hollywood Hills“ wurden die Stars minutenlang unter frenetischem Applaus gefeiert. Dazu gab es wissendes Nicken von Samu, der sichtlich ergriffen war und so wie viele Anwesende Tränen in den Augen hatte. So sagt man richtig Danke für 20 Jahre Sunrise Avenue und „Tschüss“ in Hamburg. Die Band aus Finnland hat damit ihren letzten großen Auftritt in der Hansestadt absolviert und eine angenehme Balance gefunden ihren Abschied würdig zu feiern, ohne an Emotionen einzubüßen.
Fotocredit: Benjamin Ebrecht