Review: Yaenniver – Nackt

Jennifer Weist wurde bekannt als Frontfrau von Jennifer Rostock. Außerdem ist die Moderatorin und eine der ehrlichsten Personen in der deutschen Medienlandschaft. Dementsprechend gespannt war ich als sie im letzten Jahr verkündete, dass sie während der Bandpause ein Soloprojekt startet. Unter dem Namen YAENNIVER erscheint am 18.02.2022 ihr Debütalbum „Nackt“ und wir haben es uns für euch angehört.

„Was ist sie denn jetzt? Sängerin, ja, Moderatorin, Business-Woman, muss das sein? Sicher, Digga, und wenn ich Bock hab‘, mach ich noch Schmuckdesign“ – mit „Intro“ (war außerdem die erste Singleauskopplung) räumt YAENNIVER direkt mit allen Vorurteilen ihr gegenüber auf und nimmt potentiellen Hatern direkt den Wind aus den Segeln. Aber auch die anderen bisherigen Singles sorgten mitunter für einige Schlagzeilen („Ich Ficke Jeden“), aber auch Empowerment („Halb So Ich“, „Ich Setz Dir Ein Zeichen“).

Allerdings war eine Single sehr besonders – „Mädchen Mädchen“. Die „Älteren“ mögen sich eventuell noch an das Original von Lucilectric aus dem Jahr 1994 erinnern. In den letzten Jahren (bzw. Jahrzehnten) wollten bereits unzählige Menschen ein Cover oder neue Version des Songs herausbringen und keiner bekam die Genehmigung. YAENNIVER bekam nicht nur die Freigabe, sondern holte sich direkt Luci van Org (die Frontfrau von Lucilectric) mit an Bord. Entstanden ist ein schmerzhaft wahrer Song darüber was es bedeutet ein Mädchen zu sein.

Inhaltlich ganz weit vorn ist der Track „Allergisch“. Mir fällt kein anderer Song ein, der so gekonnt verschiedene Themen anschneidet und einen sprachlos zurücklässt. Der Track „Kifferin“ ist ebenfalls ein Ohrwurmgarant. Dahingegen ist „Energie“ im ersten Moment fast überfordernd, da der Bruch zwischen den beiden Songs einem kurz den Boden wegreißt. Sobald man sich gefangen hat, ist es ein starker Song. „For Real“ ist ein Feature mit Sway Clarke. Textlich ebenfalls ein starker Song, allerdings in der Umsetzung nicht ganz so meins. Ebenso wie „Finger Auf die Lippen“, da finde ich bislang noch keinen richtigen Zugang. Dahingegen sorgt „Sag Deiner Freundin“ für einen Ohrwurm. Der Song macht Spaß und ich gut tanzbar.

Ein Gänsehautsong ist „Seebrücke“. Sowohl textlich („Unsere Tränen sind der Grund warum die Ostsee salzig schmeckt“) als auch durch die sehr reduzierte und leise Umsetzung jagt dieser Song einem einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.

Zu jedem „Intro“ gehört ein „Outro“. Während das „Intro“ mit einem Urknall das Album eröffnet hat, verabschiedet das „Outro“ einen musikalisch relativ sanft hinaus, dafür mit einigen sehr persönlichen Erkenntnissen – „Ich habe so lange geglaubt, wenn alles nur taub ist, wird es irgendwie leichter. Ich habe lange gebraucht bis ich kapiert hab – so geht es nicht weiter“.

Es fällt mir wirklich schwer „Nackt“ in Worte zu fassen. Dieses Album gleicht einer kleinen Naturgewalt, da es so roh, ehrlich und ungeschönt daherkommt. Dazu kommt es ohne platte Attitüden oder zigmal aufgewärmte Phrasen aus. YAENNIVER macht sich mit diesem Album wirklich „Nackt“ und gibt einen offenen Blick in ihr Seelenleben preis. Dazu zeigt es – z.B. durch „Seebrücke“ Facetten, die öffentlich bisher wenig wahrgenommen wurden. Darüber hinaus gibt dieses Album denjenigen eine Stimme, die sich bisher nicht getraut haben zu sich zu stehen. „Nackt“ ist auf so vielen Ebenen ein wichtiges Werk.  

Trackliste
Intro
Halb So Ich
Allergisch
Ich Ficke Jeden
Mädchen Mädchen (feat. Luci van Org)
Kifferin
Energie
For Real (feat. Sway Clarke)
Finger Auf Die Lippen
Sag Deiner Freundin
Seebrücke
Ich Setz Dir Ein Zeichen
Outro

Tourdaten 2023

Fotocredit: Offizielles Pressefoto zur Verfügung gestellt von Sony Music