Zum Auftakt der deutschen Festivalsaison starteten die Zwillingsfestivals Rock am Ring (Nürburg) und Rock im Park (Nürnberg) mit als früheste Major-Festivals am ersten Juni-Wochenende grandios in das neue Festivaljahr. Wenngleich es einige technische Probleme sowie Kontroversen auf Social Media über die breitgefächerte Aufstellung des Line-Ups gab, konnte es einer fantastischen Stimmung von rund 150.000 Gästen am gesamten Wochenende nichts anhaben. Die Fans sorgten für eine unvergleichliche Atmosphäre, da man sich dieses Jahr über eine kleine Sensation freuen durfte: Das Wetter während der drei Festivaltage war meteorologisch bestätigt so gut wie seit 30 Jahren nicht. Wie sich dies in ein herausragendes Festival-Wochenende einfügte, lest ihr in der nachfolgenden ausführlichen Live-Review.
Freitag
„Es ist Freitag, zweiter Juni, 13:30 Uhr. Hier ist der Ring!“ Mit diesen Worten eröffnete der SWR 3 Moderator das Festival und jagte die erste Gänsehaut-Welle über unsere Körper. Der Ring und der Park starteten mit am frühestens als Major-Festivals am ersten Juni-Wochenende in den Event-Sommer. Der erste Act Flogging Molly von einem wolkenlosem Himmel und strahlendem Sonnenschein begleitet und mit einem euphorischen Countdown angezählt. Wie könnte man ein Festival besser eröffnen als mit irischer Gute-Laune-Musik zu bestem Wetter? Das haben sich von Glücksgefühlen durchströmt auch alle Anwesenden gedacht und tanzten losgelöst vom Alltag ins Festival. Band und Publikum hatten gleichermaßen Lust, sodass seit der ersten Sekunde die Stimmung ohne Zögern direkt am Start war. Erste kreiselnde Bewegungen ließen sich im Publikumsbereich erkennen, die Arme wurden aufgelockert und andere Publikumsinteraktionen wurden bei diesem impulsiven Auftakt vorführt. Nach den ersten 45 Minuten wurden direkt Zugabenrufe laut und ein fantastischer Anfang wurde gemacht. Ein politischer Kontext erhielt mit der Folgeband Jinjer aus der Ukraine Einzug auf der Hauptbühne . Der Krieg ist nach wie vor ein allgegenwärtiges Thema und die Sängerin bedankte sich für den europäischen Support, der sich ebenfalls in einigen mitgebrachten Flaggen widerspiegelte. Doch noch wichtiger war natürlich der brutale Sound, der von der Gruppe ausging und das Infield erzittern ließ. Leider fingen hier schon einige der Soundprobleme an, die uns noch länger beschäftigen sollten. Davon ließ sich die professionelle Sängerin jedoch nicht aus der Ruhe bringen, fing noch einmal von vorne an und begeisterte das Publikum mit ihren einzigartigen stimmlichen Variationen.
Festhalten ist angesagt, denn Fever333 standen als nächstes in den Startlöchern, und Kinder, es wurde wild. Meister der Inszenierung, wie sie nun einmal sind, stand Jason zunächst regungslos auf der Bühne, bevor er unter erschütternden Bass seine Faust hob, was ihm die ersten zwei Wellenbrecher gleichtaten. Danach war komplette Eskalation angesagt, allen voran der Sänger selbst, der sich seiner Performance vollends selbst hingab. Die Menschen im Infield zirkelten zunehmend umeinander, während die Band für die Befreiung des einzelnen Individuums spielte. Am meisten im Gedächtnis blieb jedoch der alles umfassende Bass, der durch das Publikum und die scheiß Tribüne vibrierte. Auf letzterer war man bestens für den nachfolgenden Special Guest positioniert, denn um 17 Uhr stand überraschend Olaf der Flipper in einem roten Glitzer-Jackett auf der Mainstage. Dafür hatte er am heutigen Tage definitiv den Outfit-Preis verdient. Mit blendender Laune gab er „Lotusblume“, „Mona Lisa“ und „Wir sagen dankeschön“ zum Besten. Und weil es so schön war gab es den letzten Titel zum Anfang und zum Ende seines Mini-Sets. Viele haben den Schlager freudig begrüßt, während andere schmähend feststellen, dass das Rock am Ring gerade seine Seele verkauft hätte. Diese Kontroverse über die musikalische Ausrichtung des Festivals entflammte während des Wochenendes noch einige Male auf Social Media.
Dann lieber schnell ohne Vertun mit Yungblud und seinem alternativen Rock fortfahren. Der junge Brite hatte sein Publikum ausgezeichnet im Griff, indem er es zum Springen und exzessiven Tanzen aufforderte. Unterstützt wurde er von den LED-Leinwänden, die die Botschaft „Teilt den Pit“ auf den Festivalground hinaustrugen. Daraufhin öffneten sich auf schönste Rockmanier zahlreiche Tanzkreise, in denen sich vergnüglich nähergekommen wurde. Dies war ebenfalls ein Thema bei Rapperin Juju, die kurze Zeit später auf der Mandora Stage spielte. Während die Zuschauenden anfangs noch etwas verhalten war, tauten sie spätestens zu dem obligatorischen SXTN-Medley auf und tanzten nun auch vergnügt. Juju sagte dazu vollkommen zurecht, dass gerade viele Artists in 2023 feministische Songs herausbringen, aber dass sie das mit Nura zusammen schon 2016 tat. Das nachfolgende Medley bestehend aus „Hassfrau“, „Fotzen im Club“ und „Von Party zu Party“ zementierte diese Aussage unumstößlich.
Zurück auf der Mainstage stand mit Limp Bizkit eines der möglichen Tageshighlights auf der Running Order. Man kann guten Gewissens sagen, dass mit der Band immer ein bisschen Glücksspiel einhergeht, was für ein Auftritt daraus resultiert. Entweder sind sie sehr schlecht oder sehr gut, aber etwas anderes außer diesen beiden Extremen gibt es eigentlich nicht. Unabhängig davon gab es durch eine herausgeflogene Sicherung erst einmal keinen Strom mehr, sodass Fred Durst verstummte. Bevor er wieder Party wie 1999 machen konnte, saß er also mit seiner grauen Perücke auf der Bühne und wartete. Als es dann wieder los ging, war wirklich mehr als augenscheinlich, dass die Amerikaner ihren Zenit mehr als überschritten haben, aber wenigstens gaben sie sich dieses Mal Mühe. Die Leute haben aus hauptsächlich nostalgischen Gefühlen heraus allerdings richtig Bock und formierten einige Löcher in den engstehenden Menschenmassen. Durch diese leidenschaftliche Hingabe der Fans wurde der Auftritt wesentlich verbessert. Während es wieder so manche Zwischensequenz seitens der Musiker gab, trug das Publikum die Show über weiter Teile, so unter anderem auch als sie als Chor „Behind Blue Eyes“ zu einem verdächtig nach Playback klingenden Sound schmetterten.
Generell war Nostalgie für den Rest des Abends ein gutes Stichwort, denn mit Rise Against, Silverstein und den Foo Fighters standen in den nächsten vier Stunden geballte 76 Jahre Erfahrung auf der Bühne. Wobei es immer drauf ankommt, was man daraus macht, wie man sehen konnte. Die technischen Probleme blieben uns erhalten, sodass die Hauptbühne erst um die 15 Minuten später starten konnte. Perfekt also, um während der Wartezeit in der Menschenmasse neue Bekanntschaften zu knüpfen; in diesem Sinne liebe Grüße nach Oldenburg und Berlin. Die Stimmung bei den Fans war kontinuierlich auf einem Hoch und es sind überwiegend alle gut miteinander ausgekommen, was sich auch in einem positiven Zwischenfazit von Polizei und Sanitätsdiensten am Samstagabend widerspiegelte. Auch bei Rise Against ließ sich die Frage nach dem Zenit nicht ganz vergessen, da auch Tim McIlrath und Konsorten leider nicht jünger werden. Selbstredend gibt es Songs wie „Hero Of War“ und „Prayer Of The Refugee“, die natürlich immer funktionieren, aber auch hier wurde wieder deutlich, dass die Fans einfach das Rückgrat des Ringes sind, wenn sie aus ganzer Kehle und mit Tränen in den Augen mitsangen. Die Vulkaneifel schenkte uns dazu das ultimative Plus eines in sattes Rot getauchten Sonnenunterganges; was braucht das Festivalherz mehr? Ja gut, manchmal wäre es schon geiler gewesen Rise Against ein bisschen besser abzumischen oder ihnen ihre komplette Spielzeit zu geben, aber wir wollen nicht zu kritisch sein. Head Of Production Sebastian Walz erinnerte in der Pressekonferenz ebenfalls daran, dass es immer noch eine Live-Produktion sei und warb für mehr Verständnis, dass Pannen passieren können.
Während die breite Masse für die Foo Fighters auf der Hauptbühne verblieb und sich dort weiter sammelte, trieb es uns zu der kleinsten Bühne, die äußerst aufgeräumt wirkte. In den nächsten 60 Minuten gaben Silverstein alles, um zu demonstrieren, wie man es auch anders machen kann. Die US-Amerikaner ließen sich von dem Fakt, dass sie nicht auf der Utopia standen überhaupt nicht beeindrucken und brachten ihre gesamte Energie auf die Orbit Stage. Damit sorgten sie für einen wesentlichen spannenderen Auftritt als vergleichsweise Rise Against oder Limp Bizkit zuvor, obwohl sie ebenfalls zur alten Riege zählen. Dennoch merkte man deutlich mehr Spannung im Auftritt, und es machte Spaß den Gig zu verfolgen. Wir hatten dazu aber nicht allzu viel Zeit, da der „ostdeutsche David Hasselhoff“ Finch wartete. Alle, die ihn schon einmal live gesehen haben, muss nicht beschrieben werden, was der 33-jährige für eine Show abreißt. Denjenigen, denen dieses Glück noch nicht zu teil wurde, kann man nur raten, seiner Tour im Sommer einen Besuch abzustatten, um nachvollziehen zu können, was für ein Erlebnis dies ist. In einem Festivalslot von 70 Minuten muss sein Repertoire etwas komprimierter abgespielt werden, sodass einige Songs verkürzt oder als Medley angespielt wurden. Nichtsdestotrotz durfte man sich über zwei Feature-Gäste freuen. Zum einen waren dies Electric Callboy, die Finchs Meinung nach zeitgleich auf die Mainstage gehört hätten, um etwas frischen Wind in den doch stark in die eine Richtung gerichteten Abend zu bringen. Und zum anderen gab es Besuch von Tream, der mit Finch den am gleichen Tag erschienenen Song „Liebe auf der Rückfahrt“ zum ersten Mal live spielte. Zudem wurde Finch nicht müde zu betonen, dass es auf seinen Konzerten keine technischen Probleme geben werde und dass man sich gleich sechs Mal Finchi für einmal Rock am Ring kaufen könne. Bei der Art und Weise wie der eigentliche Rapper ablieferte sollte dies auf jeden Fall eine Überlegung wert sein.
Samstag
Auch der zweite Tag startete wundervoll sonnig und rockig mit dem kanadischen Duo Cleopatrick. Vom Sound erinnerten sie während ihres Sets ein bisschen an Kings Of Leon, die später am Abend noch zu sehen sein sollten, nur noch eine Schippe lauter. Damit formierten sie den perfekten Opener auf der Mandora Stage, um gut gelaunt in den Tag zu starten. Der erste Act auf der Hauptbühne blond gab sich ebenfalls Mühe, die noch etwas verschlafenden Besuchenden aufzuwecken und ihnen den Schlaf aus den Augenwinkeln zu schütteln. Also tanzten Nina und Lotta in ihrem tüllüberladenden Bühnenbild der noch übersichtlichen Crowd vor, die die Aufwärmungen munter aufnahm. Wild wurde es als Lotta den Ring fragte, ob er Bock auf Stress hätte, was das Publikum euphorisch bejahte. „Jetzt ist die Frage, haben wir Stress?“, die Lotta an Johann stellte und naja, sagen wir es so, es endete damit, dass blond Tiergeräusche, wie das RAwR vom Tiger, durchgegangen sind und es eine Art Circle Pit Spaziergang gab. Auch hier wurde der Auftritt anscheinend erneut von massiven technischen Problemen geplagt, was die Lust etwas dämpfte. Zum Ende hin sind wir aber wieder ein bisschen in Schwung gekommen, sodass dass Set mit „Männer“, was genau für dieses Festival geschrieben wurde, bravurös zu Ende gebracht wurde. Im Anschluss gab es die Wahl zwischen coolem Old School Punk von Hot Water Music, die nächstes Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiern, und den Briten Nothing But Thieves mit ihrer Rock-Spielart mit einem Hang zu Indie- und Pop-Allüren. Beide Bands zeigten ihr Können solide und lieferten ab. Ein Highlight erwartete uns als nächstes auf der Mandora Stage. Halestorm, die die Woche zuvor in Großbritannien mit dem Heavy Music Award als bester internationaler Artist ausgezeichnet wurde, machten ihrem Titel alle Ehre. Lzzy forderte die Menge auf ihre Hände zu ihrem atemberaubend schönen Gesang in die Hände zu strecken sowie die Ladies auf die Schultern zu sitzen. Es war absolut beeindruckend wie eindringlich ihre Stimme überkam, sodass trotz 20 Grad Celsius in der Sonne Gänsehaut angesagt war. Die Fans haben die Gesangskünste der US-Amerikanerin in Verbindung mit dem Heavy Rock der weiteren drei Bandmitglieder absolut zelebriert.
Nach so viel Rock und Herumlaufen, die zehn Kilometer Tagesziel wollen ja erreicht werden, konnte man gemeinsam mit Tenacious D die Abendsonne und eine unterhaltsame Show genießen. Diese hätten gerne noch mehr Leute gesehen als die Kapazität von 20.000 Plätzen in den ersten beiden Wellenbrechern hergab. Im weiteren Verlauf entzerrte es sich etwas, da man den nächsten Act Papa Roach einfach mitnehmen musste. Auch diese Band kann auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken, aber kaum jemand ist nach wie vor so Feuer und Flamme bei der Sache dabei wie Frontmann Jacobi Shaddix und seine Band. Das Quartett ist nach wie vor authentisch geblieben und fackelte mit pyrotechnischen Feuerelementen im wahrsten Sinne des Wortes eine Show ab, die sich sehen lassen konnte. Dazu erzählte er rührend, wie Rock ‚n‘ Roll Musik sein Leben rettete und inspirierte die Anwesenden mit seiner geballten Energie. Damit gehörte der Auftritt neben Halestorm und Finch zu einem der stärkeren des Festivals bisher und verdiente sich einen Platz auf der Liste an Acts, die man definitiv gesehen haben sollte.
Ein weiteres Highlight folgte auf dem Fuße. Für den Sundowner inklusive Konfettiregen ging es zurück zur Utopia Stage auf der nun K.I.Z. stand, die sich selbstironisch als die größte deutsche Rock-Band der Neuzeit betitelten. Dafür, dass im Onlineraum heftig kritisiert wurde, dass Hiphop oder gar Rap am Ring nichts zu suchen hätte, war das Infield jedoch bestens gefüllt und die Leute hatten sichtlich Bock auf das Trio, welches von Drunken Masters am DJ Pult unterstützt wurde. Letzterer hat am Anfang so einen heftigen Bass rausgehauen, dass die Tribüne heftig vibrierte und so die Menschen nur weiter anstachelte. Nach dem basslastigen Intro wurden die Party-Nummern „VIP in der Psychiatrie“ und „Rap gegen Hass“, bevor K.I.Z. „nach dem ganzen stressigen Gitarrenzeug heute“ laut eigener Aussage die Band zum Runterkommen sein wollte. Diesen gewünschten Switch verbauten sie unter anderem in „Unterfickt und geistig behindert“. Nach dieser kurzen Entspannungsphase wurde am Ende des Sets aber noch einmal alles aus dem Publikum herausgeholt, als es zum gemeinschaftlichen Rudern aufgefordert wurde und sich augenblicklich mehrere 200er Boote fanden. Abgerundet von „Ein Affe und ein Pferd“ sowie „Hurra die Welt geht unter“ konnte für den zweiten Tag sowieso nichts mehr schief gehen.
Während der Headliner Kings Of Leon, zog es erneut eher zu den anderen beiden Bühnen, da hier der Act VV um 23:50 Uhr spielte. Hinter dieser kryptischen Abkürzung verbirgt sich niemand Geringeres als Ville Valo seines Zeichens Sänger der ehemaligen Band HIM. Vielleicht hätte es geholfen diese Zusatzinformationen im Timetable zu inkludieren, weil es leider wirklich übersichtlich vor der Orbit Stage zuging, obwohl danach noch Evanescence spielten. Der Schwede, der in seinem Bühnenoutfit tatsächlich exakt so aussah wie auf seinem Albumcover, streute hier und da HIM Songs ein, sodass man das legendäre „Join Me In Death“ nicht vermissen musste. Irgendwie cool war, dass sein Sound richtig roh und nicht gänzlich perfekt klang, was aber nur seine Live-Wirkung bestärkte und ihn wahnsinnig authentisch machte.
Sonntag
Am Sonntag ging es für die mehr als 70.000 Besuchenden in die dritte Runde, und das Wetter war, sage und schreibe immer noch bombastisch. Damit hätte wirklich niemand gerecht. Noch besser ist, dass trotz den erwarteten Anstiegen an sonnenbezogenen Unfällen die Zahl nicht so hoch ausfiel, wie erwartet und sich der Sanitätsdienst in der Pressekonferenz am Samstagabend ebenfalls zufrieden zeigte. Zudem gab es aus ökologischer Sicht noch einen Grund zur Freude, denn dank der zahlreichen Sonnenstunden konnte die hauseigene Photovoltaik-Anlage zusätzlich in Betrieb benommen werden, sodass man voller Freude verkünden konnte, dass der Feststrom, der verwendet wurde zu 100 % aus Ökostrom bestand. Neben der Nutzung von Mehrweggeschirr sowie der Partnerschaft mit DB Cargo war dies ein wichtiger Schritt um eine etablierte Rolle in Sachen Nachhaltigkeit zu erreichen. Mit diesen erfreulichen Nachrichten startete der dritte und letzte Festivaltag in die Vollen. Dort springen wir direkt zum ersten Highlight, welches einer der voraussichtlich letzten Auftritte von Sum 41 beschrieb. Das Interesse an dieser Darbietung war immens und der gesamte Platz wurde bereits von Menschen gesäumt, die eine tolle Atmosphäre schufen, wie sie das ganze Wochenende schon bestand. Das Quintett fackelte nicht lange und gab sich dem Auftritt gewohnt leidenschaftlich hin. Wenngleich sie ein paar Lieder von anderen Bands anspielten, tat das der fantastischen Stimmung keinen Anspruch und die Fans feierten die Basslines von „Smoke On The Water“ und „Seven Nation Army“ genau so wie das folgende eigene „Pieces„. Sum 41 wollen es noch einmal richtig wissen, sodass man von Abschiedsschmerz gar nichts merkte. Zur Freude vieler kündigte Frontmann Deryck Whibley ein weiteres Album sowie eine Abschlusstournee im nächsten Jahr an. Damit kann man sich noch ein letztes Mal auf die Punkrock-Band live freuen, die auf jeden Fall eine phänomenale Werbung mit ihrem Auftritt betrieben.
Der Nachmittag verging dann mit weiteren Acts wie Three Days Grace oder Charlotte Sands wie im Flug, sodass man geschwind dem Ende einer weiteren Ära von NOFX beiwohnen konnte. Die Jungs haben den Fokus jedoch etwas weniger aufs Singen als mehr auf ihr Entertainment gelegt und so waren es eher vereinzelte Ausschnitte mit sehr viel Unterhaltung dazwischen. Das kam auch beim Publikum nicht überall gut war, sodass es deutlich leerer war als zuvor bei Sum 41 trotz des späteren Slots. Am Ende gab es dann noch die Nippel von Fat Mike zu sehen, wobei nicht gesagt werden kann, ob es die Gesamtsituation nun verbesserte oder nicht. Spaß hatten sie alle Mal bei der Sachen, und wenn sie gespielt haben, war es schön punkig. Die ganz großen Rockstarallüren wurden noch einmal zum Set des heutigen Sonnenunterganges mit US-Superstar Machine Gun Kelly (MGK) ausgepackt. Die Band um den 33-jährigen spielte ihre Songs so, dass sie sich nicht nur gut anhörten, sondern ebenfalls verdammt gut aussahen. Jedes Mitglied hat immer den Kontakt zur Kamera gesucht, was ein optisch ansprechendes Erlebnis bot. Das dürfte den meisten Leuten aber herzlich egal gewesen sein, da sie einfach nur zu Songs wie „maybe„, „jawbreaker“ oder „forget me too“ abrockten. Dazu bastelte der Rapper publikumswirksam einen seiner Tracks an einer Loop-Station einzeln nach. Noch krasser wurde es aber am Ende des Sets als er auf einmal nicht mehr auf der Bühne zu finden waren und alle Fotografen und Fotografinnen schlagartig ihr Equipment griffen und losliefen. Grund dafür war der spektakuläre Stunt des Rappers. Er kletterte mit seinen Haaren, die zu igelartigen Stacheln hochgegelt waren, auf eine Stahlkonstruktion und performte in schwindelerregender Höhe vor der untergehenden Sonne. Damit schenkte MGK den Festivalgästen einen einzigartigen und verrückten Moment. Dazu ließ sich nur sagen „Holy Shit“, was er folgerichtig mit „Heile Scheiße“ übersetzte.
Sonntagabend wurde mit das letzte Ausrufezeichen von den „alten Knackern aus Düsseldorf“ beschrieben, die wissen wollten, ob die Leute trotz drei Tage Festival vom Feinsten in den Knochen noch feiern könnten. Die wenig überraschende Antwort war: und wie! Nach einem kurzen Intro, gab es die zuletzt erschienene Single zur aktuellen, gleichnamigen Tour „Alle sagen das„. Darauf folgten mehrere Klassiker, unter anderem „Auswärtsspiel“ zu dem mit mitgebrachten, verbotenen Bengalos eine Fußballatmosphäre kreiert wurde. Als Zuschlag der Klassiker wurde des Weiteren noch das Lied „Schlampe“ von Anfang der 2000er vorgeführt, das so gut wie nie live gespielt wurde. Damit begeisterten die Hosen ihre eingefleischten Fans. Bei der Energie, die die Band an den Tag legte und ihre Songs hintereinander durchprügelte, lässt sich kaum vermuten, dass Campino schon von Anfang der 1980er und den Magic Mystery Gigs erzählen konnte. Es ist wirklich beachtenswert, was der Leadsänger immer noch für eine charismatische Ausstrahlung und Power hat. So erzählt er mehr schreiend als redend, dass, wenn er 65 Jahre alt ist, er die Scheiße, gemeint sind die Bühnenaufbauten wie Machine Gun Kelly zuvor, wieder raufklettern wird und wenn das 13 statt drei Minuten dauern wird. Bevor es aber soweit sei, stünde erst einmal auf der Bucketlist des Sängers, dass er mit 60 Jahren „Forever Young“ bei Rock am Ring singen möchte. Gesagt und in einer echt coole, rockigen Version getan. Damit sicherte er sich vollends alle Sympathien des Publikums, das mehr als bereit war den Abend noch einmal mit einer amtlichen Eskalation zu beenden, wenn man nicht noch bei Bring Me The Horizon oder Thees Uhlmann vorbeischauen wollte.
Für uns besiegelte der Auftritt der Toten Hosen ein perfektes Festival-Wochenende. Es lässt sich wirklich festhalten, dass der Nürburgring einen ganz besonderen Flair als Event-Location ausstrahlt und die Menschen trotz 20.000 weniger verkauften Karten absolut Bock auf dieses Festival im Jahre 2023 hatten. Die Fans haben Großteile wesentlich getragen und technische Schwierigkeiten oder nicht ganz so eindrückliche Auftritte mit einer wahnsinnigen Passion aufgefangen und durchweg eine fantastische Atmosphäre kreiert. Nicht nur seitens des Veranstaltenden wurde betont, dass es sich mit Rock am Ring wirklich um eine Herzensangelegenheit handele und es jedes Jahr wie eine Art Klassentreffen sei. Dies können wir ohne zu zögern bestätigen, da die herzlichen Fans, 13.000 fleißige Crewmitglieder sowie wachsame Veranstaltenden dem Ring seinen unvergleichlichen Charakter verliehen, den man seit der ersten Sekunde spüren konnte. Die Tatsache, dass das Wetter so gut war wie seit 30 Jahren nicht, rundete das ohnehin schon wunderbare Wochenende nochmals ab. Wenn ihr diese besondere Atmosphäre im nächsten Jahr selbst erleben wollt, könnt ihr euch den 7.-9. Juni 2024 vormerken.
Fotocredits: Kevin Randy Emmers