„Being Funny In A Foreign Language“ – also in einer fremden Sprache lustig sein… bedeutet sinngemäß, sich auf fremden Terrain wohl zu fühlen. Genau das machen The 1975 mit ihrem fünften Studioalbum hörbar. Die „fremde Sprache“, um die es hier geht, ist sehr intim, sehr pur und klar – weg von Synthesizer und Maximalismus, hin zu Akustikgitarre und Minimalismus. Die Briten machen spürbar, dass sie sich dabei pudelwohl fühlen und dass sie keine Angst davor haben, sich „nackig“ zu machen und kleine, persönliche Geschichten zu erzählen – und zwar ohne Effekt-Feuerwerk. Dabei bleiben The 1975 am Ende natürlich The 1975 und präsentieren sich so vielseitig und wandelbar, wie wir es von ihnen kennen und lieben.
Los geht‘s mit dem selbstbetitelten Song „The 1975“, in dem die Briten ihr eigenes Leben und ihr Dasein als Band reflektieren. Immerhin blicken sie bereits auf 20 Jahre Bandgeschichte zurück – mit vielen Höhen und Tiefen, Identitätskrisen, Streitereien, der Heroin-Sucht von Frontmann Matthew Healy, aber auch großen Erfolgen wie dem BRIT Award 2019 in der Kategorie Beste britische Band und Bestes britisches Album („A Brief Inquiry into Online Relationships“). „I’m sorry if you’re living and you’re seventeen“ – ist die Textzeile vielleicht eine Hommage an ihre Anfänge? Die Unsicherheiten und Ängste oder kurz gesagt: die Teeniezeit, in der die Welt für viele oft richtig besch… eiden war? So oder so: all das haben The 1975 überwunden, sind in den letzten Jahren erwachsen geworden, haben Kinder bekommen, alte Laster abgelegt, sind angekommen und stehen mit beiden Beinen fest im Leben. Der Song macht diese Entwicklung ganz deutlich. Am Anfang noch ruhig und melancholisch, klettert die Stimmung bis zu einem versöhnlichen Höhepunkt.
Track zwei „Happiness“ ist deutlich leichter, heiterer, unbeschwerter – wirkt fast schon wie eine kleine Erlösung nach dem ersten Song. Der groovige Beat passt perfekt zu einem Herbst-Spaziergang bei gutem Wetter oder einem Sonnenuntergang am Meer. „Looking For Somebody To Love“ knüpft an dieser hoffnungsvollen Stimmung an. Für Track drei hat man den Synthesizer wieder stärker in den Fokus gerückt, was sofort 80s-Vibes auf den Plan ruft. Der treibende, funky Sound erinnert an die Titelmusik einer Serie aus den 80ern oder 90ern. Wer keine Lust auf Mitnicken hat und die Füße lieber still hält, sollte diesen Song wohl skippen (was ich allerdings nicht empfehlen würde).
Weiter geht es mit „Part Of The Band“, in dem sich The 1975 von ihrer sehr intimen Seite zeigen und musikalisch stark an verträumte „Feel Good-Balladen“ von Bon Iver erinnern. Der Track ist weich, zart, wie ein fluffiges Kopfkissen, in das man sein Ohr legt. Sänger Matthew Healy erzählt im Track von seiner Vergangenheit: „She was part of the Air Force, I was part of the band. I always used to bust into her hand. In my, my, my imagination. I was living my best life, living with my parents“.
„Oh Caroline“ ist ein absoluter Ohrwurm und einer meiner Lieblingssongs auf „Being Funny In A Foreign Language“. 10 Sekunden – nicht länger brauchen The 1975, um mich mit diesem Track zu kriegen und mich gedanklich an einen lauen Sommerabend irgendwo draußen und mit meinen besten Freunden zurück zu versetzen. „Oh, Caroline, I wanna get it right this time. Cause you‘re always on my mind“ – der Song und die Lyrics schaffen es, ganz viel Sehnsucht und Leichtigkeit zugleich zu transportieren. Ähnlich leicht geht es mit „I‘m In Love With You“ weiter. Ebenfalls ein heftiger Ohrwurm, der mich allerdings nicht ganz so krass in seinen Bann zieht und eher so dahin plätschert. Für mich ist es ein typischer „Autofahrsong“, der gute Laune verbreitet und 90er Jahre Backstreet Boys Vibes im Kofferraum hat.
Und was wäre ein The 1975-Album ohne eine Ballade? Ich meine, so eine richtig schwere, langsame Ballade mit ganz viel Herzschmerz, sodass man gar nicht anders kann, als mitzuleiden. „All I Need To Hear“ heißt in dem Fall: ein Piano und Textzeilen wie: „Tell me you love me that’s all that I need to hear“. Einmal den Schmerz fühlen, tief durchatmen und weiter geht’s…
Wie auch das Leben ist das gesamte Album ein Ping Pong zwischen Ups and Downs, zwischen einfach nur Glücklichsein und nachdenklichen, schwierigen Momenten. Song Nummer acht „Wintering“ bringt wieder einen heiteren, schnellen Beat mit sich und transportiert dieses Gefühl des unbeschwert und frei Seins. Beim nächsten Track „Human Too“ schalten The 1975 dafür wieder einen Gang zurück bzw. nehmen den Rückwärtsgang, alles wird wieder ein bisschen melancholischer und schwerer, es gibt keinerlei Effekte, nur ein ruhiges Piano und zarte Streicher, die im Hintergrund bleiben. Der Fokus liegt wieder ganz auf dem Gesang und die Atmosphäre erinnert an eine Jazz-Bar, in der viel geraucht und getrunken wird.
Der vorletzte Song des Albums zählt auch zu meinen Favoriten. „About You“ reißt mich ab der ersten Sekunde mit. Auch hier ist das Zusammenspiel von Gesang und Instumenten wieder perfekt abgestimmt, wenn’s darum geht, am Ende super deep und super eindringlich zu sein. Der Song baut sich langsam auf – ist am Anfang noch ganz zerbrechlich und am Ende fast hymnenartig, auf jeden Fall mächtig und anmutig – bleibt aber trotzdem verträumt. „I know a place. It’s somewhere I go when I need to remember your face. Do you think I have forgotten about you?“
Zum Abschluss, mit Song elf „When We Are Together“, kommen The 1975 mit keiner großen Überraschung um die Ecke, es gibt keinen Schnickschnack, kein großes Synthie-Feuerwerk. Stattdessen: eine Akustikgitarre, ein paar Streicher, ein sehr zurückhaltendes Schlagzeug und ganz viel Leichtigkeit und positive vibes. „The only time I feel it might get better is when we are together“ – mit diesen Worten beenden The 1975 ihr fünftes Studioalbum – ein Album, dass viel erwachsener und viel ausgeglichener als seine Vorgänger wirkt. Ein Album, für das man den Synthesizer öfter mal gegen ruhige Momente, Streicher, die Akustikgitarre und andere eher natürliche, teilweise an ein Orchester erinnernde Elemente ausgetauscht hat. Hier und da blitzern Retro-Vibes auf, die an Boybands der 90er Jahre erinnern, aber modern interpretiert wurden. Alles in allem ist „Being Funny In A Foreign Language“ ein großartiges Album, das mit sehr intimen und sehr ehrlichen Texten zum Träumen einlädt.
Tracklist:
1. The 1975
2. Happiness
3. Looking For Somebody To Love
4. Part Of The Band
5. Oh Caroline
6. I’m In Love With You
7. All I Need To Hear
8. Wintering
9. Human Too
10. About You
11. When We Are Together
Fotocredit: Samuel Bradley