Als ich im Frühjahr 2024 in der restlos ausverkauften Wembley Arena stand, um Enter Shikari bei ihrer bis dato größten Headline-Show zu erleben, war schnell klar: Das hier ist mehr als nur ein weiteres Konzert. Es war ein emotionaler, energetischer und künstlerisch durchkomponierter Meilenstein – der Soundtrack eines Triumphs. Mit Live At Wembley haben Enter Shikari diesen Moment nun für die Ewigkeit konserviert – und das auf eine Art, die ihrer Karriere und Vision gerecht wird.
20 Tracks umfasst das neue Livealbum, das Teil der „Bootleg Series“ ist, und dokumentiert einen Streifzug durch alle sieben Studioalben der Band. Von den rohen Anfängen bis hin zur politisch geschärften, poppigeren Neuzeit wird hier nichts ausgelassen. Und genau das macht Live At Wembley so besonders: Die Band schafft es, ihre stilistische Entwicklung zu feiern, ohne dabei den roten Faden zu verlieren.
Der Opener „System / Meltdown“ reißt das Publikum sofort mit – eine kluge Wahl, die das Chaos kanalisiert und die politische Dringlichkeit der „A Flash Flood of Colour„-Ära wiederaufleben lässt. Klassiker wie „Juggernauts“ oder „Sorry, You’re Not A Winner“ zünden nach wie vor, aber besonders spannend wird es bei neueren Songs wie „Bloodshot“ oder „It Hurts“, bei denen die Band beweist, wie sehr sie an Songwriting-Reife gewonnen hat, ohne dabei ihren Biss zu verlieren.
Was das Album zusätzlich aufwertet, sind die Gastbeiträge. Jason Aalon Butler brüllt sich in „Losing My Grip“ durch ein Feature, das in seiner Intensität kaum zu überbieten ist, während Sam Ryder mit seinem Beitrag zu „satellites* *“ für den vielleicht emotionalsten Moment des Abends sorgt – ein Live-Duett, das man so nicht erwartet hätte, aber umso mehr wirkt.
Hinzu kommen clevere Live-Remix-Elemente, etwa das Reso-Outro bei „Anaesthetist“, das dem Track eine neue, elektronische Dimension verleiht. Diese Details zeigen, wie viel Liebe und Feingefühl Enter Shikari in ihr Liveset legen – und wie weit sie über den Tellerrand klassischer Rockshows hinausblicken.
Im Vergleich zu früheren Livealben der Band – etwa Live „At Alexandra Palace“ – wirkt „Live At Wembley“ weniger roh, dafür aber deutlich runder und durchdachter. Das liegt nicht nur an der Setlist, sondern auch an der Reife, mit der Enter Shikari heute auftreten. Während frühere Releases vor allem von jugendlicher Wut und Energie lebten, wirkt das neue Livealbum wie ein selbstbewusstes Statement: „Wir sind angekommen, aber wir haben noch lange nicht genug.“
Was Studioalben betrifft: „A Kiss For The Whole World“ – das dem Livealbum zugrunde liegt – ist sicherlich nicht das stärkste Werk der Band. Trotz eingängiger Hooks fehlt dort stellenweise die Tiefe und das Überraschungsmoment früherer Werke wie „The Mindsweep“ oder „Common Dreads„. Doch live gewinnen viele der neuen Tracks eine Wucht, die ihnen im Studio gefehlt hat. Genau darin liegt die Stärke dieser Veröffentlichung.
„Live At Wembley“ ist keine einfache Liveplatte. Es ist ein Manifest – für eine Band, die es geschafft hat, sich treu zu bleiben und trotzdem konstant weiterzuentwickeln. Wer Enter Shikari nur von Platte kennt, bekommt hier einen mitreißenden Einblick in das, was ihre Live-Shows so einzigartig macht. Und wer – so wie ich – live dabei war, bekommt einen Soundtrack, um diesen ganz besonderen Abend immer wieder neu zu erleben.
Fotocredit: Jez Pennington