Hamburg, Barclays Arena, ein frostiger Novemberabend – doch drinnen liegt Wärme in der Luft, lange bevor die ersten Akkorde erklingen. Rund 7000 Fans sind gekommen, einige mit funkelnden Augen der Vorfreude, andere mit leiser Skepsis. Roxette ohne Marie Fredriksson – kann das funktionieren?
Punkt 20 Uhr verstummt die Saalmusik abrupt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Die Band stürmt auf die Bühne, keine große Geste, kein aufgebautes Pathos – einfach Musik. Mit „The Big L.“ legt das neue Duo aus Per Gessle und Lena Philipsson los, direkt, kraftvoll, fast schon überraschend unverblümt. Philipsson im kurzen Glitzerkleid wirkt kein bisschen wie eine Kopie der einstigen Frontfrau. Ihre Stimme: dunkler, erdiger, eigen. Sie versucht gar nicht erst, in Maries Fußstapfen zu schlüpfen – sie zeichnet die Wegmarken neu.
Beim zweiten Song „Sleeping in My Car“ taut das Publikum merklich auf. Gessle, in roter Schlaghose und mit spürbarer Spielfreude, holt die Menge ab wie ein alter Freund, der nach langer Zeit wieder vorbeischaut. „Singt mit – auch wenn ihr die Texte nicht könnt!“, ruft er lachend. Ein Satz, der sofort wirkt: Die Arena wird mit jeder Minute lauter.
Ein neues Duo, ein vertrauter Klang
Spätestens mit „Crash! Boom! Bang!“ zeigt sich, wie gut Philipsson in den emotionalen Roxette-Kosmos passt. Die Balladen, einst Paradedisziplin von Marie Fredriksson, tragen bei ihr einen etwas neuen Ton – weniger kristallklar, dafür wärmer, fast intim. Und doch verliert kein Song seinen alten Zauber.
Die Bühne bleibt angenehm schlicht: ein paar Sternenbilder, der Bandname, gelegentlich bunte Ballons zu „Joyride“. In Zeiten gigantischer LED-Welten wirkt dieses Understatement fast nostalgisch – und vielleicht genau deshalb so passend.
Zwischendurch grüßt Gitarrist Christoffer Lundquist die Stadt musikalisch mit einem kurzen Zitat aus „Hamburg, meine Perle“ – kleine Geste, große Wirkung. Die Arena jubelt.
Der Moment, der alles verändert
Kurz vor 21 Uhr wird es stiller. Philipsson tritt nach vorn, blickt ins Publikum und kündigt jenen Song an, den wohl jeder im Saal mit einer eigenen Geschichte verbindet: „It Must Have Been Love“.
„Ich weiß, dass ihr Marie genauso vermisst wie ich. Also singt so laut ihr könnt. Vielleicht hört sie uns ja“, sagt sie – und für einen Atemzug hält die Arena den Atem an.
Dann setzt die Band ein. Doch ehe die neue Sängerin die erste Strophe singt, übernimmt das Publikum. 7000 Stimmen, ein Chor, der die Erinnerungen von drei Jahrzehnten trägt. Es ist der emotionalste Moment des Abends – ein Tribut, der unter die Haut geht.
Die Zeitreise zum Finale
Mit einer Serie von Zugaben – darunter eine schlicht-wunderschöne Akustikversion von „Spending My Time“, nur Gessle und Philipsson – endet der Abend nach gut 105 Minuten. Kaltes Licht flutet die Arena, Türen öffnen sich zur klaren Hamburger Nacht, und die Menschen tragen ein leises Lächeln hinaus.
Was bleibt? Ein Gefühl. Ein bittersüßer Mix aus Nostalgie und Aufbruch.
Per Gessle hat einmal gesagt, er gründe kein neues Duo – Marie bleibe unersetzlich. Und dennoch schaffen er und Lena Philipsson etwas Besonderes: keine Kopie, keinen Ersatz, sondern eine würdige Fortsetzung. Eine Erinnerung, die in die Gegenwart reicht.
Fazit: Es war bezaubernd. Und es war – überraschend – ganz und gar Roxette.
Fotocredit & Review: Sascha Beckmann